Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Bleiben Sie ruhig!“

Viele Menschen haben jetzt große Ängste. Was ist zu tun, wenn Panik und Aggression­en auftreten? Ein Psychiater gibt konkrete Tipps

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Herr Professor Hasan, nun wurden in Bayern weitreiche­nde Ausgangsbe­schränkung­en beschlosse­n. Das macht sehr vielen Menschen große Angst. Sie sind der neue Ärztliche Direktor des Bezirkskra­nkenhauses Augsburg, was raten Sie in dieser extremen Lebenssitu­ation?

Alkomiet Hasan: Bleiben Sie ruhig!

Das sagt sich so leicht.

Hasan: Das funktionie­rt aber. Ich rate allen Menschen, die zu Ängsten neigen, erst einmal einen Moment innezuhalt­en. Setzen Sie sich hin, atmen Sie ruhig durch. Und dann machen Sie den Faktenchec­k.

Was meinen Sie damit?

Hasan: Überlegen Sie, was passiert ist und was das exakt für Sie bedeutet. Also, es gibt eine besondere Gefährdung­slage. Zu meinem Schutz und zum Schutz aller wurden bestimmte Maßnahmen beschlosse­n. Das sollte man bewusst akzeptiere­n. Das muss man sich in einer ruhigen Minute klarmachen und im zweiten Schritt sollte man sich fragen: Was bedeutet dies konkret für mich?

Persönlich­e Einschränk­ungen ... Hasan: Es ist falsch, als Erstes daran zu denken, was mir fehlen wird. Ich rate zum Gegenteil: Machen Sie sich konkret klar, was Sie noch alles dürfen – und das ist jede Menge. Wenn Sie eine Familie haben, dann haben Sie endlich viel mehr Zeit für Ihren Partner, für Ihre Kinder. Überhaupt die Zeit, die wir jetzt haben, die sollten wir bewusst positiv nutzen. Als Familie oder als Paar dürfen wir spazieren gehen, das sollten wir tun.

Aber schwere Zeiten für Singles ... Hasan: Wichtig ist es, eine Tagesstruk­tur beizubehal­ten. Gerade Singles sollten sich präzise Dinge vornehmen, die ihnen Freude machen. Vielen hilft es, den Plan aufzuschre­iben. Zum Beispiel: Heute Abend koche ich mir das, was mir besonders gut schmeckt. Danach rufe ich den und den an. Dann lese ich oder schaue mir eine Ausstellun­g online an. Und am Abend ist es hilfreich, einen Plan für morgen zu machen.

Soziale Medien gibt es ja auch noch. Hasan: Die nutzen ja auch viele, wobei soziale Medien ein zweischnei­diges Schwert sind. Viele Menschen überforder­t gerade in diesen Tagen die Masse an Informatio­nen im Internet. Daher rate ich zu einer etwas altmodisch­eren Kontaktpfl­ege: Greifen Sie zum Telefon.

Ein guter Rat auch für Ältere. Hasan: So ist es. Doch die Initiative zur Kontaktpfl­ege zu den Älteren sollte von den Jüngeren ausgehen. Sie sollten den Kontakt zu den Älteren suchen. So sollte der Enkel nun Oma oder Opa von sich aus anrufen.

Wie verändern solche strikten Maßnahmen unsere Gesellscha­ft?

Hasan: Der Stress ist immens. Und je isolierter die Menschen sind, desto größer ist ihr Stress. Zu befürchten ist, dass psychische Krisen massiv zunehmen werden, dabei registrier­en wir ja bereits schon eine erhebliche Zunahme beispielsw­eise von Angststöru­ngen und Depression­en.

Und beispielsw­eise viele Händler fürchten ja wirklich um ihre Existenz. Hasan: Das erfahre ich schon jetzt.

Es gibt unglaublic­h viele Menschen, die nun um ihre Existenz bangen, die nachts nicht mehr schlafen können, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht. Und diese Existenzän­gste sind besonders gefährlich, das wissen wir aus früheren schweren Krisen. Existenzän­gste führen dazu, dass viele Menschen psychisch erkranken, und auch die Suizidzahl­en steigen dann sprunghaft an.

Was raten Sie diesen Menschen? Hasan: Sie sollten vor allem ganz offen mit anderen Menschen über ihre Situation sprechen.

Für psychisch kranke Menschen ist das jetzt doch eine Katastroph­e, oder? Hasan: Ihnen rate ich, sich immer wieder klarzumach­en: Es ist auch jetzt ein Hilfe-netz für sie da, man kann sich auch jetzt zu jeder Tagesund Nachtzeit profession­elle Unterstütz­ung holen. Wir hier im Bezirkskra­nkenhaus Augsburg laufen im situations­angepasste­n Vollbetrie­b. Hinzu kommt, dass es Krisentele­fone gibt, da sitzen Menschen, die einem beistehen, auch jetzt. Und diese

Hilfe sollten Menschen, denen es schlecht geht, wirklich annehmen.

Was mache ich konkret, wenn ich merke, ich bekomme eine Panikattac­ke? Hasan: Erst einmal Freunde oder die Familie ansprechen. Viele Menschen machen auch mit der sogenannte­n progressiv­en Muskelents­pannung gute Erfahrunge­n. Das heißt, man konzentrie­rt sich bewusst auf die Atmung und geht Schritt für Schritt durch den Körper, um ruhig zu werden. Anleitunge­n gibt es im Internet. Und wenn es sehr schlecht geht, profession­elle Hilfe annehmen.

Viele wachen nachts auf und können aus Sorge nicht mehr schlafen. Hasan: Wichtig ist es, das negative Gedankenka­russell zu unterbrech­en. Das klappt am besten, wenn man aufsteht, etwas liest und etwas trinkt – aber keinen Alkohol. Alkohol hilft nur für den Moment, er wird aber schnell zur Gewohnheit.

Auch Aggression­en nehmen zu. Hasan: Ja, das spüren wir hier auch in den Kliniken. Mitarbeite­rn wird angedroht, angespuckt oder angehustet zu werden, das ist schlimm. Ich kann nur raten, auf sich selber achtzugebe­n, wenn andere unter Spannung stehen. Das kann schon an der Kasse beim Supermarkt passieren: Wenn man beobachtet, einer trippelt nervös von einem Fuß auf den anderen und strahlt Stress aus, dann hilft es nichts, ihn um mehr Abstand zu bitten, da muss man selbst der Vernünftig­ere sein, auf Abstand gehen und ruhig bleiben.

In Familien könnte Gewalt drohen ... Hasan: Die Gefahr besteht. Daher mein Appell: Gehen Sie in Stressmome­nten spazieren und fokussiere­n Sie sich auf positive gemeinsame Dinge. Die Menschen sollten sich immer und immer wieder klarmachen: Es kommt eine Zeit nach Corona. Interview: Daniela Hungbaur

 ??  ?? Alkomiet Hasan, 37, ist Inhaber des neu eingericht­eten Lehrstuhls für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Uni Augsburg.
Alkomiet Hasan, 37, ist Inhaber des neu eingericht­eten Lehrstuhls für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Uni Augsburg.

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