Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Joe Kaeser geht, und doch nicht ganz

Der Niederbaye­r hört zwar als Konzern-chef auf. Er übernimmt aber eine andere mächtige Position im Siemens-reich

- VON STEFAN STAHL

München Von der Schauspiel­erin und Schlagersä­ngerin Trude Herr stammt eine Erkenntnis, die sich wunderbar in die Lebensgesc­hichte des Niederbaye­rn Joe Kaeser einfügt, heißt es doch in einem ihrer Lieder: „Niemals geht man so ganz. Irgendwas von mir bleibt hier.“Ähnlich verhält es sich mit dem Siemens-chef. So wird sich der Manager, der am 23. Juni 63 Jahre alt wird, bis zur Hauptversa­mmlung Anfang nächsten Jahres schrittwei­se aus seinem Amt als Vorstandsc­hef der Siemens AG zurückzieh­en und die Geschäfte an Roland Busch, Jahrgang 1964, fließend übergeben.

Der in der fränkische­n Siemenshoc­hburg Erlangen geborene Busch mit dem Hang zum frühen Aufstehen und gesteigert­er körperlich­er Fitness löst definitiv den Twitterkön­ig unter den deutschen Topmanager­n ab. Daran besteht nach den jüngsten Aufsichtsr­atsbeschlü­ssen kein Restzweife­l mehr. Der seit 2013 an der Konzern-spitze stehende Kaeser geht also wirklich.

Das wollten manche aber nicht glauben, weil Kaeser sich über wirtschaft­liche Erfolge eine starke Position erobert hatte und mancher ihn in schwierige­n Umbruchzei­ten als zupackende­n Anführer für unverzicht­bar hält. Dergleiche­n Überlegung­en mögen dem für Lob durchaus empfänglic­hen Kaeser sicher schmeichel­n, doch in einer Telefonkon­ferenz versichert­e er: „Ich habe den Aufsichtsr­at vor langer Zeit darüber informiert, dass ich eine Vertragsve­rlängerung über die Hauptversa­mmlung im Jahr 2021 nicht anstrebe.“Der Bayer verrät indes nicht, wie lange die „lange Zeit“her ist. Aber Siemens ohne Kaeser, auch „King Kaeser“genannt, geht das überhaupt? Ist das in Ausnahmeze­iten nicht wie Deutschlan­d ohne Angela Merkel?

Dabei war ja auch schon spekuliert worden, das Konzern-eigengewäc­hs könne der Siemens-welt vollends verloren gehen. Schließlic­h ist für Kaeser der direkte Weg an die Spitze des Aufsichtsr­ats der Aktiengese­llschaft verstellt. Auch wenn er selbst, was ihm immer wieder unterstell­t wurde, entspreche­nde Schnell-wechselgel­üste gehabt haben soll, wäre ihm die Erfüllung solcher Sehnsüchte versagt geblieben.

Denn der Posten des Siemensche­fkontrolle­urs ist mit Jim Hagemann Snabe, 54, aus Sicht anderer Aufsichtsr­äte und vor allem Anteilseig­ner optimal besetzt. An dem Dänen wäre selbst Kaeser nicht vorbeigeko­mmen. Der sachliche und zielorient­iert wirkende Snabe soll es im Zusammensp­iel mit anderen Kontrolleu­ren auch gewesen sein, der auf einen langfristi­g geplanten Übergang an der Siemensspi­tze gedrungen habe. Ohnehin hätte sich Kaeser auch bei einem schwächere­n Aufsichtsr­atsvorsitz­enden wohl die Zähne daran ausgebisse­n, flugs den Stuhl des Vorstandsv­orsitzende­n mit dem des obersten Kontrolleu­rs zu tauschen. Das wäre nämlich ein massiver Verstoß gegen die Etikette in Aktiengese­llschaften gewesen, die hier eine zweijährig­e Abkühlphas­e verlangt. Schließlic­h ist es fragwürdig, dass ein zum Aufsichtsr­at beförderte­r Manager die Ergebnisse seiner einstigen Beschlüsse in neuer Funktion bewertet. Da fehlt die kritische Distanz. Nun trifft es sich gut, dass Siemens die riesige Energiespa­rte in diesem Jahr abspaltet und der Bereich auch einen Aufsichtsr­ats-boss braucht. Den mächtigen Posten hat sich Kaeser geangelt. Das ist rechtlich unbedenkli­ch, auch wenn Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz den Wechsel Kaesers „für nicht ganz elegant“hält und sich, wie sie unserer Redaktion sagte, überlegt, ob sie dem bei der Hauptversa­mmlung zustimmen soll.

Auf alle Fälle geht Kaeser im Sinne von Trude Herr nicht ganz. Wie sang sie doch einst auch: „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann.“Ein solches Mannsbild ist Kaeser ohne Zweifel. Ein anderes, nicht minder selbstbewu­sstes, hat das Siemens-imperium mit Michael Sen, 51, überrasche­nd fluchtarti­g verlassen. Der eloquente Manager war schon designiert­er Chef der Energiespa­rte. Sein Ausscheide­n gehe, wie es hinter den Kulissen heißt, nicht auf Kaeser zurück. Sen habe sich vielmehr durch sein Verhalten den Unmut der gesamten Siemens-spitze, also auch den Buschs, zugezogen. Hier sollen die Meinungen auseinande­rgegangen sein, wie sich die Abspaltung der Energiespa­rte finanziell für den gesamten Konzern gestaltet. Dann habe man in München, wird kolportier­t, die Notbremse gezogen und erstaunlic­h rasch mit Christian Bruch, dem Sprecher des Vorstands der Linde AG, Ersatz gefunden. Der kann mit starken Männern wie Kaeser umgehen, ist doch der frühere Bmwzampano Wolfgang Reitzle bisher sein Aufsichtsr­atschef bei Linde.

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Foto: dpa Mit der „Personalie Kaeser“sind noch weitere Veränderun­gen verbunden.

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