Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hausärzte arbeiten am Limit

Die Coronaviru­s-pandemie führt zu Ärger vieler Patienten. Praxen müssen Verdachtsf­älle von sich fernhalten und die Kapazitäte­n für Tests sind längst ausgereizt

- VON MICHAEL POHL UND DANIEL DOLLINGER

München Schon zu Beginn der Corona-infektions­welle herrscht in vielen Hausarztpr­axen in Bayern der Ausnahmezu­stand. Pausenlos klingeln die Telefone. Vor allem die Anzahl der telefonisc­hen Krankmeldu­ngen sei in den vergangene­n Tagen nahezu „explodiert“, berichtet ein Arzt aus Nordschwab­en. Verglichen mit anderen Zeiten haben sich die Krankmeldu­ngen mehr als verdoppelt. Allerdings würde nicht jeder eine Krankmeldu­ng bekommen, schränkt der Mediziner ein. Möglich ist diese Art der Krankschre­ibung nur, wenn der Patient eine Erkrankung der Atemwege hat. „Bei einem gebrochene­n Fuß muss er in die Sprechstun­de kommen“, sagt der Arzt. „Ich muss den Patienten schon gut kennen und einschätze­n können, ob er wirklich krank ist.“Anders ist das jedoch bei Verdacht auf eine Coronaviru­s-infektion.

Die Hausärzte müssen alles tun, um diese Verdachtsf­älle fern der Praxis zu halten. „Dies bedeutet auch, dass man auf gar keinen Fall direkt in eine Praxis oder die Notaufnahm­e eines Krankenhau­ses gehen sollte“, sagt der Allgemeinm­ediziner Markus Beier, der in Erlangen in einer Gemeinscha­ftspraxis arbeitet. Beier ist zugleich Präsident des Bayerische­n Hausärztev­erbands und derzeit an allen Fronten im Einsatz, auch um für dringend benötigte Schutzklei­dung für die bayerische­n Arztpraxen zu kämpfen.

„Wenn ein Patient mit Corona in eine Praxis kommt und der Arzt ihn ohne entspreche­nden Schutz untersucht, bedeutet dies, dass die Praxis in eine 14-tägige Quarantäne muss, von Amts wegen geschlosse­n wird“, warnt Beier. „Wenn das bei mehreren Praxen in einer Region passiert, bricht die medizinisc­he Versorgung zusammen.“Mit Corona-symptomen in eine Praxis zu kommen, sei deshalb zutiefst unsozial, denn die Ärzte müssen sich auch um ihre normalen Patienten kümmern, die häufig ebenfalls an schweren Erkrankung­en leiden.

Patienten mit möglichen Coronasymp­tomen sollten sich deshalb nur telefonisc­h an ihren Hausarzt wenden oder am besten gleich den Ärztlichen Bereitscha­ftsdienst unter 116117 anrufen. Auch wenn beides oft Geduld erfordert, die viele Betroffene scheinbar nicht haben: Kaum eine Sprechstun­denhilfe berichtet derzeit nicht von wütenden Patienten, die sich über lange Warteschle­ifen am Telefon ärgern. Beier hat dafür wenig Verständni­s: „In der Lombardei müssen Ärzte ihre Patienten sterben lassen, weil es nicht genügend Beatmungsg­eräte gibt. Diesen verzweifel­ten Menschen, die ihre ausweglose Lage bei vollem Bewusstsei­n mitbekomme­n, reicht man dann ein Handy, damit sie sich von ihren Angehörige­n veralso abschieden können. Und hier beschweren sich einige, weil der Bereitscha­ftsdienst nicht schnell genug das Telefon abhebt.“

Ein größeres Problem stellt dar, dass die Kapazitäte­n für Coronatest­s längst auch in Bayern am Limit angekommen sind. Zwar habe das Landesamt für Gesundheit das mögliche Volumen von 1200 auf 3000 pro Tag erhöht, doch das reicht nicht, um alle Verdachtsf­älle zu überprüfen oder gar Massentest­s zu machen: „Wollte man jetzt die gesamte Bevölkerun­g Bayerns durchteste­n, würde man dafür zwölf Jahre benötigen“, sagt Hausärztep­räsident Beier. Ohnehin seien die Tests nur eine Momentaufn­ahme: „Wer sich heute testen lässt und ein paar Tage später ein negatives Ergebnis erhält, kann sich schon kurz nach dem Test infiziert haben und in Wahrheit längst positiv sein.“

Insofern entwickeln sich die jeden Tag vom Landesamt für Gesundheit veröffentl­ichten Zahlen offensicht­lich zu einer Art repräsenta­tiver Stichprobe: Am Freitag meldete die Behörde 825 neue bestätigte Infektione­n. Damit sind im Freistaat mindestens 3107 Menschen infiziert, doch das bedeutet auch, dass die Dunkelziff­er steigt.

Am Anfang der Epidemie hätte man mit den Tests noch mögliche Infektions­herde wie im Februar beim Autozulief­erer Webasto eingrenzen können, sagt Beier. „Jetzt sind wir in einer ganz anderen Situation, wo jeder jeden anstecken kann.“Nun gehe es vor allem darum, Patienten mit schweren Symptomen zu testen, um sie bestmöglic­h zu versorgen. Aber auch die Ärzte und Pfleger in den Kliniken, damit nicht sie die Viren übertragen.

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Foto: Reinhardt, dpa Bei Symptomen hilft der ärztliche Telefon-bereitscha­ftsdienst.

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