Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Hausärzte arbeiten am Limit
Die Coronavirus-pandemie führt zu Ärger vieler Patienten. Praxen müssen Verdachtsfälle von sich fernhalten und die Kapazitäten für Tests sind längst ausgereizt
München Schon zu Beginn der Corona-infektionswelle herrscht in vielen Hausarztpraxen in Bayern der Ausnahmezustand. Pausenlos klingeln die Telefone. Vor allem die Anzahl der telefonischen Krankmeldungen sei in den vergangenen Tagen nahezu „explodiert“, berichtet ein Arzt aus Nordschwaben. Verglichen mit anderen Zeiten haben sich die Krankmeldungen mehr als verdoppelt. Allerdings würde nicht jeder eine Krankmeldung bekommen, schränkt der Mediziner ein. Möglich ist diese Art der Krankschreibung nur, wenn der Patient eine Erkrankung der Atemwege hat. „Bei einem gebrochenen Fuß muss er in die Sprechstunde kommen“, sagt der Arzt. „Ich muss den Patienten schon gut kennen und einschätzen können, ob er wirklich krank ist.“Anders ist das jedoch bei Verdacht auf eine Coronavirus-infektion.
Die Hausärzte müssen alles tun, um diese Verdachtsfälle fern der Praxis zu halten. „Dies bedeutet auch, dass man auf gar keinen Fall direkt in eine Praxis oder die Notaufnahme eines Krankenhauses gehen sollte“, sagt der Allgemeinmediziner Markus Beier, der in Erlangen in einer Gemeinschaftspraxis arbeitet. Beier ist zugleich Präsident des Bayerischen Hausärzteverbands und derzeit an allen Fronten im Einsatz, auch um für dringend benötigte Schutzkleidung für die bayerischen Arztpraxen zu kämpfen.
„Wenn ein Patient mit Corona in eine Praxis kommt und der Arzt ihn ohne entsprechenden Schutz untersucht, bedeutet dies, dass die Praxis in eine 14-tägige Quarantäne muss, von Amts wegen geschlossen wird“, warnt Beier. „Wenn das bei mehreren Praxen in einer Region passiert, bricht die medizinische Versorgung zusammen.“Mit Corona-symptomen in eine Praxis zu kommen, sei deshalb zutiefst unsozial, denn die Ärzte müssen sich auch um ihre normalen Patienten kümmern, die häufig ebenfalls an schweren Erkrankungen leiden.
Patienten mit möglichen Coronasymptomen sollten sich deshalb nur telefonisch an ihren Hausarzt wenden oder am besten gleich den Ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116117 anrufen. Auch wenn beides oft Geduld erfordert, die viele Betroffene scheinbar nicht haben: Kaum eine Sprechstundenhilfe berichtet derzeit nicht von wütenden Patienten, die sich über lange Warteschleifen am Telefon ärgern. Beier hat dafür wenig Verständnis: „In der Lombardei müssen Ärzte ihre Patienten sterben lassen, weil es nicht genügend Beatmungsgeräte gibt. Diesen verzweifelten Menschen, die ihre ausweglose Lage bei vollem Bewusstsein mitbekommen, reicht man dann ein Handy, damit sie sich von ihren Angehörigen veralso abschieden können. Und hier beschweren sich einige, weil der Bereitschaftsdienst nicht schnell genug das Telefon abhebt.“
Ein größeres Problem stellt dar, dass die Kapazitäten für Coronatests längst auch in Bayern am Limit angekommen sind. Zwar habe das Landesamt für Gesundheit das mögliche Volumen von 1200 auf 3000 pro Tag erhöht, doch das reicht nicht, um alle Verdachtsfälle zu überprüfen oder gar Massentests zu machen: „Wollte man jetzt die gesamte Bevölkerung Bayerns durchtesten, würde man dafür zwölf Jahre benötigen“, sagt Hausärztepräsident Beier. Ohnehin seien die Tests nur eine Momentaufnahme: „Wer sich heute testen lässt und ein paar Tage später ein negatives Ergebnis erhält, kann sich schon kurz nach dem Test infiziert haben und in Wahrheit längst positiv sein.“
Insofern entwickeln sich die jeden Tag vom Landesamt für Gesundheit veröffentlichten Zahlen offensichtlich zu einer Art repräsentativer Stichprobe: Am Freitag meldete die Behörde 825 neue bestätigte Infektionen. Damit sind im Freistaat mindestens 3107 Menschen infiziert, doch das bedeutet auch, dass die Dunkelziffer steigt.
Am Anfang der Epidemie hätte man mit den Tests noch mögliche Infektionsherde wie im Februar beim Autozulieferer Webasto eingrenzen können, sagt Beier. „Jetzt sind wir in einer ganz anderen Situation, wo jeder jeden anstecken kann.“Nun gehe es vor allem darum, Patienten mit schweren Symptomen zu testen, um sie bestmöglich zu versorgen. Aber auch die Ärzte und Pfleger in den Kliniken, damit nicht sie die Viren übertragen.