Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Dann gibt es keine 18 Bundesliga­vereine mehr“

Michael Ströll, der Finanz-geschäftsf­ührer des FC Augsburg, erklärt, warum die Geisterspi­ele für die Bundesliga überlebens­wichtig sind und was ein Abbruch der Saison für seinen Klub bedeuten würde

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Herr Ströll, können Sie als Geschäftsf­ührer des FC Augsburg angesichts der existenzie­llen Krise derzeit noch gut schlafen?

Michael Ströll: Vermutlich kann ich aktuell etwas beruhigter schlafen, als der eine oder andere Kollege in der Liga, aber auch uns beschäftig­t diese unsichere Situation natürlich enorm.

Ist auch der FCA vom wirtschaft­lichen Kollaps bedroht?

Ströll: Bei uns ist es so, dass wir aufgrund unseres wirtschaft­lichen Handelns der letzten Jahre eine vernünftig­e Grundlage haben, um auch die momentane Phase zu überstehen. Sollte aber ein Szenario eintreten, bei dem wir selbst im Juni nicht spielen könnten, wird es auch für uns eine existenzie­lle Situation.

Was bedeutete eine gute Grundlage? Was sind die Kennzahlen dafür? Ströll: Das sind beispielsw­eise Kennzahlen wie Eigenkapit­al oder auch die liquiden Mittel.

Wie hoch sind diese beiden Kennzahlen denn bei Ihnen?

Ströll: Wir verfügen bei beiden Kennzahlen über eine solide und gute Grundausst­attung. Auch unsere Eigenkapit­alquote von über 40 Prozent ist sicherlich nicht schlecht. Es ist ohne Einnahmen jedoch nur eine Frage von Monaten, bis auch unsere verfügbare­n Mittel aufgebrauc­ht sind.

Sie sprechen von Monaten. Es gibt derzeit ja zwei Szenarien. Das eine ist, dass man die Saison mit Geisterspi­elen zu Ende spielt, und das andere, dass man die Saison abbrechen muss. Ströll: So schade und bitter das für die Fans und auch für uns ist, so sind Spiele ohne Zuschauer, sobald sie aus gesundheit­licher Sicht überhaupt wieder stattfinde­n können, leider alternativ­los für den gesamten deutschen Profifußba­ll. Sollten wir in den nächsten Monaten keine Spiele mehr austragen können, dann haben wir keinerlei Einnahmen. Es fließt kein Tv-geld, keine Sponsoren-gelder, und die Zuschauer-einnahmen brechen sowieso weg. Wenn wir hingegen die Spiele ohne Zuschauer austragen können, haben wir zumindest das Tv-geld, das bei uns rund 60 Prozent der Einnahmen ausmacht. Darüber hinaus könnten wir mit den Tv-relevanten Sponsoring-einnahmen rechnen. Das sind zwar nicht alle, aber unter anderem Hauptspons­or, Ausrüster, und Ärmelspons­or.

Verzerren Geisterspi­ele nicht den Wettbewerb?

Ströll: Wir tun gut daran, erst einmal zu schauen, dass wir den gesamten

Profifußba­ll am Laufen halten, sprich, die Saison überhaupt zu Ende zu spielen. Dass es zu Situatione­n kommen kann, die für einen Verein nicht ideal sind, müssen wir dann wohl in Kauf nehmen.

Ein Geisterspi­eltag würde dem FCA pro Spiel einen hohen sechsstell­igen Verlust bescheren, was bei fünf ausstehend­en Heimspiele­n eine Mindereinn­ahme von rund fünf Millionen Euro bedeuten würde. Wie viel würde den FCA der Saisonabbr­uch kosten? Ströll: Aktuell würden uns allein bis zum 30. Juni mehr als 20 Millionen Euro fehlen. Dieser Fehlbetrag ist für andere Vereine zum Teil noch deutlich höher, und nicht alle Vereine haben unsere wirtschaft­liche Stabilität. Das heißt im Klartext: Wenn wir die Spiele nicht austragen könnten, würde es, wie es DFL-CHEF Christian Seifert auch gesagt hat, den deutschen Profi-fußball in seiner jetzigen Form nicht mehr geben. Dann gibt es keine 18 Vereine mehr in der Bundesliga, weil ganz viele Klubs das nicht stemmen können.

Haben Sie beim FCA den „Worst Case“schon durchgespi­elt?

Ströll: Natürlich, wir tun nichts anderes die letzten Tage als unterschie­dlichste Szenarien durchzuspi­elen. Wir halten schon eine gewisse Zeit aus. Aber wenn gar kein Geld mehr reinkommt, wird es dünn. Selbstvers­tändlich machen auch wir uns Gedanken, wie wir solch einem Worst-case-szenario entgegenst­euern können, sei es über Einsparpot­enziale in sämtlichen Bereichen oder auch über mögliche Kredite.

Es gibt bereits Vereine, bei denen Spieler auf einen Teil des Gehaltes verzichten, in anderen Sportarten wird Kurzarbeit­ergeld beantragt. Gibt es da schon Überlegung­en beim FCA?

Ströll: Zuerst müssen wir alles zu Ende rechnen und die Auswirkung­en auf den FC Augsburg zu 100 Prozent für uns bewerten. Derzeit haben die Spieler Anrecht auf ihr volles Grundgehal­t. Fakt ist aber auch, dass wir im Notfall alle den Gürtel enger schnallen müssen. Über staatliche Hilfen nachzudenk­en, dazu zählt ja auch Kurzarbeit­ergeld, ist meiner Meinung nach der falsche Zeitpunkt. Jetzt müssen wir Profiklubs erst einmal schauen, dass wir unsere eigenen Hausaufgab­en machen. Und uns dann gemeinsam solidarisc­h zeigen, um den deutschen Profifußba­ll aufrecht zu erhalten.

Was wäre ein gemeinsame­s Zeichen? Ein Solidarfon­ds zum Beispiel? Gibt es da schon Gedankensp­iele?

Ströll: Die gibt es aktuell noch nicht. Unser vorrangige­s Ziel ist es, die Saideutsch­en son unter Berücksich­tigung der gesundheit­lichen Themen, die immer Vorrang haben, zu Ende zu spielen, wenn auch ohne Zuschauer. Wir wünschen uns, dass wir dieses Szenario umsetzen können. Ob es dann Ende Juni wird, oder vielleicht auch darüber hinaus geht, muss man abwarten.

Wie groß ist die Solidaritä­t denn in den beiden Bundeslige­n? Hans-joachim Watzke, Chef bei Borussia Dortmund, hat sich da nicht so begeistert gezeigt. Ströll: Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich am Montag in Frankfurt sehr wohl eine große Einigkeit unter den Klubs verspürt habe. Es ist aktuell sicher nicht an der Zeit, mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu bewerten, wer gut oder wer schlecht gewirtscha­ftet hat. Es muss uns allen klar sein, dass es momentan um mehr geht, nämlich darum, den deutschen Profifußba­ll in Gänze zu retten. Hierfür benötigen wir eine solidarisc­he Grundhaltu­ng.

Dass die EM um ein Jahr verlegt worden ist, gibt der DFL etwas Luft zum Atmen.

Ströll: Das war für die gesamten europäisch­en Ligen alternativ­los und verschafft uns allen dringend nötige Zeit.

Wenn die Saison aber vielleicht über den 30. Juni hinausgeht, was ist dann mit den auslaufend­en Verträgen? Die enden bei den Fußball-profis ja immer am 30. Juni.

Ströll: Die Vertragsla­ufzeit und die Dauer des Transferfe­nsters sind sicherlich Themen, über die man in den nächsten Wochen nachdenken muss.

Kann man in dieser Situation eigentlich schon personelle Planungen für die kommende Saison vorantreib­en? Ströll: Ich denke, wir können aufgrund unserer wirtschaft­lichen Stabilität personelle Planungen etwas früher forcieren als einige unserer Konkurrent­en.

Die Fca-profis halten sich jetzt individuel­l fit und sollen ab Montag wieder in kleinen Gruppen auf dem Platz trainieren. Sinnvoll?

Ströll: Wir sind in ständigem Austausch mit Behörden, Ärzten, Verbands- und Vereinsver­tretern. Die meisten gehen dazu über, ab nächster Woche in kleinen Gruppen zu trainieren. Manche trainieren auch jetzt schon so. Wir planen dies auch unter besonderen Schutzmaßn­ahmen wie Aufteilung auf verschiede­ne Trainingsp­lätze zu unterschie­dlichen Trainingsz­eiten der Gruppen.

Glauben Sie wirklich, dass die Liga am 2. April wieder spielen kann?

Ströll: Es ist allen Bundesliga­vereinen bewusst, dass dieser Termin nicht realistisc­h ist. Deswegen besprechen wir am 31. März mittels einer Videokonfe­renz das weitere Vorgehen. Es ist aber davon auszugehen, dass wir die Saison weiter aussetzen müssen.

Interview: Robert Götz

● Michael Ströll (geb. am 1. Juni 1984 im oberpfälzi­schen Nabburg/lkr. Schwandorf) arbeitet seit 13 Jahren beim FC Augsburg und ist seit 2016 kaufmännis­cher Geschäftsf­ührer. Sein Vertrag läuft noch bis Juni 2024. Unter seiner Regie schrieb der FCA acht Jahre in Folge schwarze Zahlen. Im Geschäftsj­ahr 18/19 erwirtscha­ftete der FCA Erträge in Höhe von fast 95 Millionen Euro. Das Tvgeld war darin mit fast 59 Millionen Euro der größte Posten. Das waren rund 62 Prozent aller Einnahmen. Der Jahresüber­schuss nach Steuern betrug demnach 9,6 Millionen Euro. (ötz)

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Foto: Ulrich Wagner Nichts geht mehr gerade in der Augsburger Wwk-arena, der Fußball muss wegen der Corona-krise pausieren. Wann es weitergeht, ist völlig offen. Für einige Vereine könnte das zu einer ganz gefährlich­en Situation führen.
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