Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ausdauersp­ort ist wie Hamstern

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Da ist wieder mal zu sehen, in welch engen Grenzen mancherlei Spezialist arbeitet. Simon Perikles ist ein anerkannte­r Sportmediz­iner. Als solcher rät er, sich auch während der Corona-krise sportlich zu betätigen. Das fördere das Immunsyste­m, sagte er dem Tagesspieg­el. Dabei hätte er es belassen sollen. Was anschließe­nd nämlich folgte, war Ausdruck absurder Weltfremdh­eit.

Ballsportl­er können ihrer Berufung gerade bekannterm­aßen nicht nachgehen. Was aber rät Sportmediz­iner Perikles? „Ballsportl­er sind häufig in der Lage, ein geeignetes Konditions­training als Alternativ­e anzugehen.“Joggen? Womöglich noch auf einem Laufband?

Fußballer, Handballer, Volleyball­er, sogar Tennisspie­ler oder Eishockey-brocken eint vor allem: die Abscheu gegenüber konditione­ller Arbeit. Würden sie Wert auf formidable Ausdauerwe­rte legen, hätten sie sich als Kinder im Leichtathl­etikverein angemeldet oder würden seit Jahren die immer gleichen Kacheln im örtlichen Hallenbad zählen.

Ballsportl­er sind die Künstler unter den Athleten. Körperlich­e Arbeit ist unter ihrem Niveau. Wer viel läuft, steht einfach falsch. Es käme ja auch keiner auf die Idee, von Anselm Kiefer zu verlangen, fortan großflächi­ge Wände mintgrün zu streichen. Brahms hätte in Quarantäne gewiss weiter komponiert und nicht auf der Blockflöte „Mein Hut, der hat drei Ecken“immer und immer wiederholt. Bauingenie­ure errichten keine Duplotürme und Wirtschaft­smathemati­ker berechnen nicht, wie viele Rollen Klopapier Samstagabe­nd im Supermarkt noch vorrätig sind.

Konditions­training mag für einige Athleten sinnvoll erscheinen. Das sind dieselben, die sich in der Schule gewissenha­ft auf die nächste Klausur vorbereite­t haben. Ballsportl­er wussten schon damals, dass sich durch Improvisat­ion alles leichter lösen lässt. Im Zweifelsfa­ll dann halt zum zweiten Mal die neunte Klasse.

Konditions­training ist wie Hamstern für den Körper. Es wird sich auf einen Ernstfall vorbereite­t, der sowieso nicht eintritt. Genau genommen ist es sogar asozial, schließlic­h wird während einer Ausdauerei­nheit enorm viel Sauerstoff verschnauf­t und das in Zeiten, in denen doch alles knapp zu werden droht. Warum nicht auch die Luft?

Wer nun aber anderen das Atmen erschwert, hat in dieser Gesellscha­ft wirklich nichts verloren. So weit aber hat Simon Perikles natürlich nicht gedacht.

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Foto: dpa Genau genommen: asozial. Und dazu noch der fehlende Abstand…
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