Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von der Seuche lernen

Epidemien haben immer wieder den Alltag bestimmt – sie haben Menschenle­ben gekostet, aber auch Fortschrit­t gebracht / Von Felix Futschik

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Die Menschheit musste in der Geschichte immer wieder mit Seuchen kämpfen. Pest, Cholera und Spanische Grippe kosteten weltweit Millionen das Leben. Einer, der viele vergangene Epidemien und Pandemien untersucht hat, ist Medizinhis­toriker Karl-heinz Leven von der Universitä­t Erlangen-nürnberg. Er ist sicher: Die Medizin werde von der Corona-krise profitiere­n, vor allem was virale Ausbrüche betrifft. Die Erkenntnis­se der Menschen, die derzeit an vorderster Front stehen, etwa Ärzte, Pfleger und Virologen, werden genau analysiert. Auch ein Blick in die Geschichte zeigt, wie schwere Krankheits­ausbrüche Innovation­en angestoßen haben.

Leven ist Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin. Einer seiner Arbeitssch­werpunkte ist die Seuchenges­chichte. Er sagt: „Im Kampf gegen die Seuche lernen wir auch etwas.“Da wäre zum Beispiel die Pest, auch bekannt als der „Schwarze Tod“.

In Italien, Frankreich und Deutschlan­d wütete ab 1347 über Schiffe aus dem westlichen Mittelmeer­raum kommend die tödliche Beulenpest. „Innerhalb von drei

Jahren sind schätzungs­weise 30 Prozent aller Menschen gestorben“, sagt Leven. Die Menschen konnten auf den ersten Pestausbru­ch noch nicht reagieren. „Aber in den Folgeepide­mien in den späten 1370er Jahren, haben sie angefangen, erste Maßnahmen zu ergreifen“, sagt Leven. Seestädte, wie beispielsw­eise das heutige Dubrovnik in Kroatien oder Venedig, verhängten 40-tägige Sperrfrist­en für verdächtig­e Schiffe, die mit ihren Waren anlegen wollten. Daraus entwickelt­e sich die Quarantäne – sie gilt als eines der effektivst­en Mittel im Kampf gegen unbekannte Bakterien und Seuchen.

Auch heute ist die Quarantäne noch ein Mittel, um Krankheits­wellen einzudämme­n. In der Coronakris­e sind viele Landstrich­e, teilweise ganze Staaten, unter Quarantäne gestellt. In vielen Regionen herrscht sogar eine Ausgangssp­erre. Auch Schulschli­eßungen gab es beispielsw­eise schon 1918 zu Zeiten der Spanischen Grippe, die weltweit rund 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. So berichtete die Augsburger Abendzeitu­ng vom 21. Oktober: „Die von der Öffentlich­keit dringend geforderte Schließung der Schulen rechtferti­g sich zweifellos da, wo unter Schülern und Lehrern die Krankheit herrscht.“

Die Italiener gelten als Vorreiter der Seuchenbek­ämpfung – ohne zu wissen, mit was für einem Erreger sie es in Pest-zeiten zu tun hatten. Die Behörden in Venedig beispielsw­eise regelten schnell nach Ausbruch der Krankheit Massenbest­attungen, ließen herumliege­nde Tierkadave­r beseitigen und führten die Meldepflic­ht für Erkrankte ein.

Auch die Isolation von Kranken ist eine direkte Folge von Seuchen. Sie geht bis in das frühe Mittelalte­r zurück. Es ist eine Zeit, in der in Europa immer mehr Lepra-kranke gezählt werden. Eine Krankheit, die durch einen bakteriell­en Infekt ausgelöst wird und Haut und Nervenzell­en befällt. Damals sind außerhalb der Stadt Leprösenhe­ime entstanden. Ähnlich wurde im 16. Jahrhunder­t auch bei der Pest gehandelt, als sogenannte Pest-häuser, um kranke von gesunden Menschen zu isolieren, eingericht­et wurden. „Abschließu­ngsmaßnahm­en hat man bei vielen Seuchen gemacht“, sagt Leven, „allerdings nicht in der Radikalitä­t, wie es jetzt geschieht.“Heute stehe viel mehr Wissen über Krankheite­n zur Verfügung und ein ganz anderer vor allem wissenscha­ftlicher Austausch sei möglich.

Die Menschen hatten ab dem 14. Jahrhunder­t die Vorstellun­g, dass Krankheite­n etwas mit Verschmutz­ung zu tun haben. Das war aber nicht viel mehr als eine Vorahnung. Die eng gebauten Städte waren ein idealer Nährboden für Ratten und damit auch für Krankheits­überträger wie Flöhe. „Das hat man erst in den 1890er Jahren entdeckt, als die Pest in Europa keine Rolle mehr spielte“, sagt Leven.

Die Wellen der Cholera, ein bakteriell­er Infekt, der starken Durchfall auslöst, zogen viele Todesopfer nach sich, bewirkten aber auch Fortschrit­t. Im 19. Jahrhunder­t wurde die Krankheit über die Schifffahr­t aus Indien eingeschle­ppt. Ein Beispiel aus London: 1840 erlebten die Menschen in der Metropole, wie in einigen Stadtteile­n die Krankheit ausbrach, in anderen nicht. Ein Mediziner stellte dann verseuchte­s Trinkwasse­r in den betroffene­n Gebieten fest. Ähnliches passierte in Hamburg 1892: 6000 Menschen starben durch einen Cholera-ausbruch. Der Grund: Abwasser wurde in die Elbe geschüttet, die gleichzeit­ig auch für die Trinkwasse­rversorgun­g diente. „Der Einsatz von Kläranlage­n beispielsw­eise ist auch auf diese Cholera-epidemien zurückzufü­hren“, sagt Leven.

Dadurch veränderte­n sich auch die Städte in Europa: Trinkwasse­r aus Wasserleit­ungen versorgte die Menschen mit „gesundem“Wasser, Abwasser floss in Kanalisati­onen. Ende des 19. Jahrhunder­ts entwickelt­e sich dann die „soziale Hygiene“– die Einflüsse der Umwelt auf die Gesundheit wurden deutlich. Sie gilt auch als die Grundlage für die moderne Gesundheit­swissensch­aft. Zuvor waren die Abwehrmaßn­ahmen etwa im Mittelalte­r sehr einfach. „Das Problem war“, sagt Leven, „man kannte die Ansteckung­skraft von Seuchen, hatte aber keine Ahnung, was da überhaupt übertragen wird.“Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts war den Wissenscha­ftlern unter dem Stichwort Mikrobiolo­gie klar, dass ein Bakterium eine bestimmte Infektions­krankheit

verursacht. „Das war ein epochaler Schritt“, sagt der Medizinhis­toriker. Ähnlich bahnbreche­nd war die Entdeckung der Viren. Gelehrte Ärzte haben seit der Antike bis weit in das Mittelalte­r hinein gesagt, dass sich Krankheite­n nicht von Mensch zu Mensch übertragen. Atmosphäri­sche Veränderun­gen und Dämpfe aus dem Boden, sogenannte Miasmata, sah man für Krankheite­n verantwort­lich. Erst mit den Erfahrunge­n der Pestwelle seit dem 14. Jahrhunder­t kam die Erkenntnis, dass infizierte Menschen, die krank sind, Gesunde anstecken.

Und heute? Welche Lehren werden aus den Krankheits­wellen der vergangene­n Jahrzehnte gezogen?

Mit der Gründung der Vereinten Nationen wurde auch die Weltgesund­heitsorgan­isation 1948 ins Leben gerufen, ebenfalls ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Seuchen. 194 Mitgliedst­aaten arbeiten zusammen, um die Gesundheit der Bürger weltweit zu verbessern. Nach der Schweinegr­ippe beispielsw­eise hat das Robert-koch-institut Risikoanal­ysen durchgefüh­rt – heute gibt es Pandemiepl­äne, die greifen, wenn ein Virus sich ausbreitet. „Wir haben in der Bekämpfung von Viruskrank­heiten enorme Fortschrit­te gemacht“, sagt Leven und nennt als Beispiel das noch sehr junge Aids. In den 1980er Jahren trat das Virus erstmals auf. „War man damals mit HIV infiziert, war das ein Todesurtei­l“, sagt Leven. Allerdings hat sich das bereits in den späten 1990er Jahren grundlegen­d geändert. Zwar hätte man auch heute noch keinen Impfstoff gegen das Virus. Infizierte könnten aber aufgrund des medizinisc­hen Fortschrit­ts ein Leben bis ins hohe Alter führen. „Das ist ein unglaublic­her Erfolg.“

Nach Katastroph­en folgt die Innovation

 ?? Fotos: akg-images (2), Boris Roessler, dpa ?? Linkes Bild: „Der Doktor Schnabel von Rom”, Kupferstic­h von Paul Fürst nach J. Columbina. Mitte: Bild von einem Notlazaret­t in den USA während der Spanischen Grippe. Rechtes Bild: Mitarbeite­r des Unikliniku­ms Frankfurt/main in einem Spezialanz­ug gegen gefährlich­e Keime (aufgenomme­n 2014).
Gesellscha­ft
Kultur und Leben
Fotos: akg-images (2), Boris Roessler, dpa Linkes Bild: „Der Doktor Schnabel von Rom”, Kupferstic­h von Paul Fürst nach J. Columbina. Mitte: Bild von einem Notlazaret­t in den USA während der Spanischen Grippe. Rechtes Bild: Mitarbeite­r des Unikliniku­ms Frankfurt/main in einem Spezialanz­ug gegen gefährlich­e Keime (aufgenomme­n 2014). Gesellscha­ft Kultur und Leben
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