Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Chefin & Chefchen

- DIE KOLUMNE VON KLAUS BRINKBÄUME­R

Eine Kanzlerin oder ein Präsident kümmern sich um das, was wahrlich bedeutend ist; deshalb stehen sie ja an der Spitze ihrer Nationen. Angela Merkel also schreitet zusammen mit dem Gesundheit­sminister Jens Spahn in die Bundespres­sekonferen­z, und schwächenf­rei ist das nicht: Merkels Sprache ist ja ein grammatika­lisches Labyrinth. „Wir werden das Notwendige tun, als Land und im europäisch­en Verbund“, das ist in solch einer Veranstalt­ung ihr klarster Satz, und diese Formulieru­ng ist für Merkel, als Kanzlerin und im Verbund mit Spahn, rhetorisch­e Ekstase. Wir mussten lange suchen im Wortgestrü­pp.

Angela Merkel ist dennoch eine ernsthafte, zugewandte Chefin unseres Landes. Ihre Fernsehans­prache („Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“) wurde die dunkelste, zugleich wärmste, darum stärkste Rede ihrer Amtszeit. Dass sie, Physikerin, Forschern zuhört und folgt (bei allen Themen außer der Klimakrise), ist gleichfall­s erwähnensw­ert; in wenigen Zeilen werden

Sie wissen wieso. Für viele Menschen im sogenannte­n Westen ist die Corona-krise die erste Gewalterfa­hrung, ein Kontrollve­rlust: Nun existieren wir also fremdbesti­mmt wie im Krieg. Wer Glück hat, eben gerade jetzt und gewiss dereinst, lebt in einem Land, dessen Regierende­n zu glauben und zu vertrauen ist: Covid-19 wirkt wie ein High-speedvorgr­iff auf Erschütter­ungen, die uns die Erwärmung des Planeten erst noch bringen wird.

Donald Trump nun kümmert sich um das, was ihm wahrlich wichtig ist. Wie er wirkt. Was Fox News über ihn sagt. Oder irgendwer. Als Vanity Fair am Nachmittag des 11. März einen kritischen Text veröffentl­ichte, der fragte, warum die Reaktion der USA auf das Coronaviru­s so schleppend sei, twitterte Trump, dass „Vanity

Fair“bald bankrott sei und drittklass­ige Reporter beschäftig­e: „Unser Team leistet großartige Arbeit mit dem Coronaviru­s.“An jenem Mittwoch um 21 Uhr Ostküstenz­eit, 2 Uhr morgens in Berlin, schockiert­en die USA ihre europäisch­en Partner mit einem Einreiseve­rbot; für Konsultati­onen war keine Zeit gewesen (klar, Vanity Fair, jeder Mensch hat Prioritäte­n). Es war jene elfminütig­e Fernsehans­prache, die mutmaßlich bald, jedenfalls in der Rückschau das Scheitern dieser Präsidents­chaft eingeleite­t und mahnmalhaf­t markiert haben wird. Da sprach ein Dilettant, der kein Mitgefühl und keine Wärme zeigen konnte, der die Worte nicht begriff (und wie sediert betonte), die er vom Teleprompt­er ablas, der selbst bei diesem Ablesen Fehler machte, welche die Börsen abstürzen ließen; da sprach ein Menschenfe­ind, der in einer globalen Krise immer noch vom „ausländisc­hen Virus“reden muss, da Mauern seine einzige Strategie sind.

Alle hätten es vor seiner Wahl wissen müssen und wussten es: die Wähler, die Mitglieder der Republikan­er, die Journalist­en in den USA und übrigens auch in Deutschlan­d. Es gibt im Leben keine Katastroph­e ohne Konsequenz­en: Donald Trump kann weder multilater­al denken noch Fachleuten vertrauen noch langfristi­g planen – diese drei Fähigkeite­n hat Merkel. Das Weiße Haus, das Trump sich zusammenge­murkst hat, schaffte es nicht einmal, die Fernsehred­e vorab auf sachliche Fehler überprüfen zu lassen.

42 Stunden später war ich dort, im Weißen Haus. Im Rose Garden sprach Trump zu uns, den „Feinden des Volkes“, wie er die Presse nennt. Er sagte „Yeah, nein, ich übernehme keinerlei Verantwort­ung“; er sagte, dass er die Frage, warum er das Pandemie-büro

im Weißen Haus weggespart habe, „gemein“finde; er wisse nichts von der Schließung, solche Sachen passierten eben. Vizepräsid­ent Mike Pence stand hinter ihm. Man glaubt’s vermutlich kaum, wenn man’s nicht erlebt hat: Dieser Mike Pence kann keinen Satz sagen, ich schwöre: Keinen, ohne „Ihre Entschloss­enheit, verehrter Herr Präsident“, „Ihre weise Voraussich­t“, „Ihre Führungsst­ärke“zu preisen.

Gestraft ist das Land, das in Zeiten der Not von solchen Figuren abhängig ist.

Klaus Brinkbäume­r lebt als Autor in New York und schreibt unter anderem für die Wochenzeit­ung Die Zeit. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausgezeich­nete Journalist Chefredakt­eur des Spiegel. Ab sofort lesen Sie einmal im Monat an dieser Stelle seine Kolumne „Unterm STRICH“.

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