Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Chefin & Chefchen
Eine Kanzlerin oder ein Präsident kümmern sich um das, was wahrlich bedeutend ist; deshalb stehen sie ja an der Spitze ihrer Nationen. Angela Merkel also schreitet zusammen mit dem Gesundheitsminister Jens Spahn in die Bundespressekonferenz, und schwächenfrei ist das nicht: Merkels Sprache ist ja ein grammatikalisches Labyrinth. „Wir werden das Notwendige tun, als Land und im europäischen Verbund“, das ist in solch einer Veranstaltung ihr klarster Satz, und diese Formulierung ist für Merkel, als Kanzlerin und im Verbund mit Spahn, rhetorische Ekstase. Wir mussten lange suchen im Wortgestrüpp.
Angela Merkel ist dennoch eine ernsthafte, zugewandte Chefin unseres Landes. Ihre Fernsehansprache („Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“) wurde die dunkelste, zugleich wärmste, darum stärkste Rede ihrer Amtszeit. Dass sie, Physikerin, Forschern zuhört und folgt (bei allen Themen außer der Klimakrise), ist gleichfalls erwähnenswert; in wenigen Zeilen werden
Sie wissen wieso. Für viele Menschen im sogenannten Westen ist die Corona-krise die erste Gewalterfahrung, ein Kontrollverlust: Nun existieren wir also fremdbestimmt wie im Krieg. Wer Glück hat, eben gerade jetzt und gewiss dereinst, lebt in einem Land, dessen Regierenden zu glauben und zu vertrauen ist: Covid-19 wirkt wie ein High-speedvorgriff auf Erschütterungen, die uns die Erwärmung des Planeten erst noch bringen wird.
Donald Trump nun kümmert sich um das, was ihm wahrlich wichtig ist. Wie er wirkt. Was Fox News über ihn sagt. Oder irgendwer. Als Vanity Fair am Nachmittag des 11. März einen kritischen Text veröffentlichte, der fragte, warum die Reaktion der USA auf das Coronavirus so schleppend sei, twitterte Trump, dass „Vanity
Fair“bald bankrott sei und drittklassige Reporter beschäftige: „Unser Team leistet großartige Arbeit mit dem Coronavirus.“An jenem Mittwoch um 21 Uhr Ostküstenzeit, 2 Uhr morgens in Berlin, schockierten die USA ihre europäischen Partner mit einem Einreiseverbot; für Konsultationen war keine Zeit gewesen (klar, Vanity Fair, jeder Mensch hat Prioritäten). Es war jene elfminütige Fernsehansprache, die mutmaßlich bald, jedenfalls in der Rückschau das Scheitern dieser Präsidentschaft eingeleitet und mahnmalhaft markiert haben wird. Da sprach ein Dilettant, der kein Mitgefühl und keine Wärme zeigen konnte, der die Worte nicht begriff (und wie sediert betonte), die er vom Teleprompter ablas, der selbst bei diesem Ablesen Fehler machte, welche die Börsen abstürzen ließen; da sprach ein Menschenfeind, der in einer globalen Krise immer noch vom „ausländischen Virus“reden muss, da Mauern seine einzige Strategie sind.
Alle hätten es vor seiner Wahl wissen müssen und wussten es: die Wähler, die Mitglieder der Republikaner, die Journalisten in den USA und übrigens auch in Deutschland. Es gibt im Leben keine Katastrophe ohne Konsequenzen: Donald Trump kann weder multilateral denken noch Fachleuten vertrauen noch langfristig planen – diese drei Fähigkeiten hat Merkel. Das Weiße Haus, das Trump sich zusammengemurkst hat, schaffte es nicht einmal, die Fernsehrede vorab auf sachliche Fehler überprüfen zu lassen.
42 Stunden später war ich dort, im Weißen Haus. Im Rose Garden sprach Trump zu uns, den „Feinden des Volkes“, wie er die Presse nennt. Er sagte „Yeah, nein, ich übernehme keinerlei Verantwortung“; er sagte, dass er die Frage, warum er das Pandemie-büro
im Weißen Haus weggespart habe, „gemein“finde; er wisse nichts von der Schließung, solche Sachen passierten eben. Vizepräsident Mike Pence stand hinter ihm. Man glaubt’s vermutlich kaum, wenn man’s nicht erlebt hat: Dieser Mike Pence kann keinen Satz sagen, ich schwöre: Keinen, ohne „Ihre Entschlossenheit, verehrter Herr Präsident“, „Ihre weise Voraussicht“, „Ihre Führungsstärke“zu preisen.
Gestraft ist das Land, das in Zeiten der Not von solchen Figuren abhängig ist.
Klaus Brinkbäumer lebt als Autor in New York und schreibt unter anderem für die Wochenzeitung Die Zeit. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausgezeichnete Journalist Chefredakteur des Spiegel. Ab sofort lesen Sie einmal im Monat an dieser Stelle seine Kolumne „Unterm STRICH“.