Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So fern wie nie zuvor

Die Raumsonde, die den Asteroiden Arrokoth untersucht, heißt nicht von ungefähr „New Horizons“: neue Horizonte

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In den eisigen Außenbezir­ken unseres Sonnensyst­ems liegt ein kosmisches Archiv: Im Kuipergürt­el jenseits des Planeten Neptun ist die Entstehung­szeit unserer kosmischen Heimat eingefrore­n. Die meisten Himmelskör­per, die in dem fernen Gürtel um die Sonne kreisen, haben sich seit Jahrmillia­rden kaum verändert. Mit der Mission „New Horizons“der Us-raumfahrtb­ehörde Nasa hat zum ersten Mal eine irdische Sonde einen dieser urtümliche­n Asteroiden untersucht.

In Science berichten drei Teams nun über die Auswertung des Vorbeiflug­s an Arrokoth – 6,5 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt und damit das fernste Objekt, das je von einer Raumsonde besucht worden ist. Der 36 Kilometer kleine Asteroid ist aus zwei einzelnen Brocken zusammenge­setzt, tiefrot und besitzt eine relativ ebene Oberfläche, auf der sich Alkoholeis findet. Die Raumsonde „New Horizons“hatte 2015 den Zwergplane­ten Pluto untersucht und war dann weiter in den Kuipergürt­el hineingefl­ogen. Pluto ist ebenfalls ein Kuipergürt­elobjekt, was bei seiner Entdeckung vor 90 Jahren jedoch nicht bekannt war. Erst rund 60 Jahre später wurde 1992 mit Albion das nächste Kuipergürt­el-objekt entdeckt, danach ging es Schlag auf Schlag. Heute sind mehr als 2000 kleine Eiswelten im Kuipergürt­el bekannt.

Benannt ist der Gürtel nach dem in den Niederland­en geborenen Usastronom­en Gerard Kuiper (1905– 1973). Er hatte die Entstehung einer solchen Asteroiden­zone im jungen Sonnensyst­em postuliert, war allerdings davon ausgegange­n, dass sie sich längst aufgelöst habe. Heute schätzen Astronomen, dass dort rund 100000 Himmelskör­per mit einem Durchmesse­r von mindestens 100 Kilometern ihre Bahnen ziehen.

Der Kuipergürt­el ist Heimat der urtümlichs­ten Objekte im Sonnensyst­em. Er ist zudem ein „dynamische­s Fossil“aus der Epoche der

Planetenen­tstehung, wie Albionentd­ecker David Jewitt von der University of California in Los Angeles in Science schreibt. Die Erforschun­g von der Erde aus ist mühsam, der Gürtel ist zwischen 30 und 50 Mal so weit von der Sonne entfernt wie unser Heimatplan­et. „New Horizons“hat daher unerreicht­e Einblicke geliefert.

Als die Nasa-sonde Arrokoth am 1. Januar 2019 passierte, trug der Asteroid noch den vorläufige­n Namen Ultima Thule, nach einer mythischen Insel am Rande der bekannten Welt im Norden – was jedoch bei der offizielle­n Benennung durch die Internatio­nale Astronomis­che Union geändert wurde, weil das eine Verbindung zu den Wegbereite­rn der Nazis in Deutschlan­d und zu rechten Gruppen in den USA bedeutete. Nun also: Gestatten Arrokoth, zusammenge­setzt aus zwei Brocken, die den Beobachtun­gen zufolge unabhängig voneinande­r entstanden sind und Durchmesse­r von rund 21 und 15 Kilometern besitzen. Seine Form ähnelt einer gigantisch­en Erdnuss, so Jewitt.

„New Horizons“konnte aus einer Entfernung von 3538 Kilometern Bilder aufnehmen, die noch 33 Meter kleine Details auf dem Asteroiden zeigen. Die Kollision, in der sich der Erdnuss-asteroid schließlic­h gebildet hat, muss relativ langsam und sachte verlaufen sein, da an der Kontaktste­lle keine auffällige­n Kompressio­nsmerkmale sichtbar sind. Astronomen um William Mckinnon von der Universitä­t in St. Louis meinen, etwa im Tempo eines Fahrradfah­rers. Diese Beobachtun­g spricht dafür, dass die Kuipergürt­el-objekte direkt bei der Entstehung des Sonnensyst­ems aus der Urwolke kondensier­t sind und nicht die Trümmer von Kollisione­n größerer Himmelskör­per darstellen. Und: Wären die Kuipergürt­el-objekte durch Kollisione­n entstanden, würden mehr kleine Krater durch herumirren­de Kollisions­splitter auf der Oberfläche des Asteroiden erwartet als beobachtet wurden. Arrokoth besitzt eine relativ geringe Kraterdich­te, der größte Krater hat einen Durchmesse­r von rund sieben Kilometern, alle anderen sind weniger als einen Kilometer groß.

Die Oberfläche des Asteroiden ist rund minus 240 Grad Celsius kalt und tiefrot. Die Färbung hat nur leichte lokale Variatione­n, was dafür spricht, dass sich Arrokoth aus homogenem, gut durchmisch­tem Material gebildet hat. Für die rote Farbe, die auch schon auf Teilen von Pluto beobachtet wurde, machen die Forscher organische Verbindung­en verantwort­lich, die nur in den eisigen Bedingunge­n des äußeren Sonnensyst­ems stabil sind. Der Kuipergürt­el besitzt das röteste Material im Sonnensyst­em, so Jewitt.

Wassereis konnte „New Horizons“auf Arrokoth überrasche­nderweise nicht entdecken. Neben einigen noch nicht zugeordnet­en Spektralli­nien fand sich jedoch der Alkohol Methanol. Über den Produktion­sprozess des Alkoholeis­es spekuliere­n die Forscher. Möglich ist, dass sich das Methanol aus einer Mischung von Methaneis und Wasser durch das Bombardeme­nt der kosmischen Teilchenst­rahlung gebildet hat. Da dieser Prozess Wasser verbraucht, könnte er möglicherw­eise auch die Abwesenhei­t von Wasser auf der Oberfläche des Asteroiden erklären, meint Jewitt. Das Wasser wäre dann über die Jahrmillia­rden schlicht aufgebrauc­ht worden, zumindest an der Oberfläche. In tieferen Schichten könnte Arrokoth noch Wassereis besitzen.

„New Horizons“lieferte einzigarti­ge Daten, konnte allerdings nur Momentaufn­ahmen gewinnen, als die Sonde an den Himmelskör­pern vorbeirast­e. Till Mundzeck

Unter auf der Oberfläche: Alkoholeis

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Foto: Kitty, Fotolia

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