Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Wir sollten Schutzmasken tragen“
Anselm Grün hat hunderte Bücher geschrieben. Sein neues könnte nicht aktueller sein: Er befasst sich darin mit dem Coronavirus und dem Leben in Quarantäne. Was er rät, was ihn schmerzt und was ihm Hoffnung macht
Pater Anselm, haben Sie Angst vor dem Coronavirus?
Pater Anselm Grün: Ich würde sagen Respekt. In dem Sinne, dass ich es ernst nehme. Aber ich vertraue darauf, dass ich einigermaßen davon verschont werde.
Haben Sie sich bereits testen lassen? Grün: Nein.
Sie haben sich Anfang März in einem Facebook-beitrag mit dem Coronavirus beschäftigt. Die Reaktionen darauf haben Sie selbst überrascht, schrieben Sie später. Können Sie sich das gewaltige Interesse inzwischen erklären? Grün: Zum damaligen Zeitpunkt habe ich mich schon gewundert. Es gab über 77000 Reaktionen. Die Menschen suchen offensichtlich nach Orientierung. Es besteht auch ein Hunger nach Informationen. Die Zeitungen sind voll davon. Die Menschen treibt die Frage um: Wie sollen wir mit der Krise umgehen?
Sie schrieben, die „Epidemie ist für mich auch eine spirituelle Herausforderung“. Wie genau meinen Sie das? Grün: Es ist auch ein Akt der Nächstenliebe, sich selbst und andere vor dem Virus zu schützen. Wir spüren in diesen Zeiten zudem, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren müssen.
War Ihr Facebook-beitrag der Anstoß für Ihr neues Buch „Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung“?
Grün: Meinem Verlag ist der Facebook-beitrag aufgefallen, und ich wurde gefragt, ob ich nicht ein Buch daraus machen wolle. Ich habe erst geantwortet: Mir fällt für ein ganzes Buch dazu jetzt nichts ein.
Das Buch entstand dennoch. Es ist kürzlich als E-book erschienen. Wie lange haben Sie daran gearbeitet? Grün: Es entstand aus einem längeren Gespräch mit dem Cheflektor des Verlags. Wir beide haben das dann verschriftlicht. Innerhalb einer Woche war das Buch fertig...
...weil Sie natürlich doch einiges zum Umgang mit dem Coronavirus und dem Leben in Quarantäne zu sagen haben. Liegt ja nahe: Ein Mönch wie Sie, der in einer Klosterzelle lebt! Grün: Im Kloster lebe ich in Klausur. Aber wir haben große Räume, den Kreuzgang, wo wir spazieren gehen können. Wir sind nicht nur in unseren Zellen. In der Zelle zu bleiben, sich selber auszuhalten, das gehört allerdings wesentlich zum Mönchstum. Es heißt: Bleibe in deiner Zelle, die Zelle wird dich alles lehren.
Wobei Sie als Benediktiner ja auch dem Motto „Bete und arbeite“folgen – Sie haben dutzende Vorträge, Seminare, Lesungen jedes Jahr. Wurde das alles wegen der Pandemie abgesagt? Grün: Es ist alles abgesagt. Das bringt mir Zeit zum Lesen und auch zum Schreiben.
Was ist der wichtigste Tipp Ihrer Gebrauchsanweisung zur Quarantäne? Grün: Ich kann jammern, ich kann mich als Opfer fühlen – oder ich kann versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich kann etwa versuchen, mich besser kennenzulernen. Ich sollte jetzt alles das tun, was meiner Seele guttut. Ansonsten kommt es darauf an, ob ich in Quarantäne in der Familie oder allein bin.
Beginnen wir mit der Familie.
Grün: In der Familie ist es wichtig, eine Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, um Streitigkeiten zu verhindern. Die Familienmitglieder sollten gemeinsam darüber nachdenken: Wie schaffen wir für jeden Rückzugsräume? Mal alleine, nicht im Familienverband, spazieren gehen – das wäre eine Möglichkeit. Gott sei Dank ist das ja den meisten erlaubt.
Und Menschen, die allein leben? Grün: Für sie ist es besonders wichtig, ihren Tag zu strukturieren. Welche Rituale habe ich? Wann kann und will ich etwas Bestimmtes tun? Denn Alleinsein kann traurig machen. Vielleicht hilft der Gedanke, sich eins zu fühlen mit allen Menschen, die nun auch die Corona-krise zu bewältigen haben.
Ältere haben es noch schwerer.
Grün: Auch weil sie zur Hochrisikogruppe gehören, ja. Ich beobachte aber, dass gerade eine neue Solidarität entsteht. Nachbarn helfen sich aus, Menschen bieten an, für andere Einkäufe zu übernehmen. Und auch der Glaube an Gott ist wichtig – zu wissen, Gott ist bei mir.
Was macht das mit Menschen, wenn Sie länger zu Hause bleiben müssen – viele in kleinen Wohnungen ohne Balkon oder Garten? Viele mit Ängsten vor der Zukunft, mit Geldsorgen ... Grün: Quarantäne macht ängstlicher, sie macht empfindlicher. Wenn man merkt, dass man aggressiv wird, dann hilft es nicht, andere zu beschuldigen – dann hilft zunächst einmal etwas Zeit für sich.
kennen Sie aus Ihrem Klosteralltag, oder? Sie und Ihre Mitbrüder leben auf engem Raum zusammen. Und auch im Kloster gibt es Streit.
Grün: Ich lebe seit 55 Jahren in der Gemeinschaft, und ich kann in ihr nur gut leben, wenn ich Rückzugsorte habe. Mir wird es manchmal zu viel mit den Gesprächen.
Stille muss man aber ertragen können. Grün: Der Beginn der Stille kann unangenehm, bedrückend, beängstigend sein. Eine Frau sagte mir einmal: „Ich kann nicht in die Stille gehen, da geht ein Vulkan in mir hoch.“Sie hatte Angst vor ihrem Inneren. Zuzulassen, dass unterdrückte Gefühle hochkommen, kann helfen. Diese Gefühle schaue ich an, bewerte sie aber nicht. Das kann ein Weg sein, mich anzunehmen und Ängste zu bewältigen. Ich kann mich zum Beispiel selbst umarmen, die Arme vor der Brust überkreuzt, die Hände an den Schultern. So
gebe ich mir Halt.
Wer im Homeoffice arbeiten und sich zugleich um die Kinderbetreuung kümmern muss, hat alles – nur keine Stille.
Grün: Hier ist wichtig, dass Eltern ihre Arbeitsstunden schützen, dass sie zu bestimmten Zeiten also nicht von den Kindern gestört werden. Aber es muss auch Zeiten der Kommunikation, des Miteinander-spielens geben. Man muss das mit den Kindern besprechen. Natürlich hängt das vom Alter der Kinder ab. Etwas älteren Kindern kann man durchaus zumuten, mal alleine zu sein – allerdings nicht vorm Computer oder Fernseher.
Glauben Sie, in dieser Zeit der Krise erkennen die Menschen, was sie an den Kirchen haben?
Grün: Ich glaube schon. Gerade jetzt, wo keine Gottesdienste mehr stattfinden, merken die einen oder anderen, dass da etwas fehlt. Im Gottesdienst erfährt man ja nicht nur Gemeinschaft, sondern auch eine andere Dimension des Lebens.
Die Kirchen streamen Gottesdienste inzwischen im Internet. Bischöfe und Priester halten sie in leeren Gotteshäusern. Stimmt Sie dieser Anblick eher traurig oder eher zuversichtlich? Grün: Das ist schon irgendwo eine künstliche Atmosphäre. Auf der anderen Seite nehmen viele diese Angebote wahr. Teilweise schauen mehr Menschen die Streams, als es sonst Gottesdienstbesucher gibt. Insofern ist das eine Chance, Menschen zu erreichen, die normalerweise nicht in die Kirche kommen.
Theologen debattieren: Darf es eine Eucharistiefeier, eine Messe „ohne
Volk“überhaupt geben?
Grün: Natürlich gehört die Gemeinschaft dazu. Aber wenn ich Gottesdienste streame, kommt eine Gemeinschaft zusammen, wenn auch eine virtuelle. Es wäre dennoch gut, wenn der Priester die Eucharistiefeier nicht ganz allein hält. Drei, vier Leute sollten in der Kirche sein – als Stellvertretung für das Volk Gottes.
Gottesdienste, Trauungen, Kommunionfeiern und Firmungen sind bis Ostern abgesagt. Was, wenn die Ostergottesdienste entfallen?
Grün: Das ist für mich eine schwere Vorstellung, mich würde das schmerzen. Ostern, das Fest der Auferstehung Jesus Christus’, kann man nicht gut allein feiern. Es wird in diesem Jahr eine Herausforderung. Aber Ostern fällt selbstverständlich nicht aus, wie das mancher bereits formuliert hat.
Wie werden Sie dieses denkwürdige Osterfest begehen? So wie immer wird es wohl nicht ablaufen – zumindest nicht mit dem Ostersingen auf dem Kirchplatz von Münsterschwarzach. Grün: Das wird es nicht geben. Wir haben immer mit vielen Jugendlichen Ostern gefeiert, sie haben unsere Gottesdienste mitgestaltet. Nun wird alles stiller sein. Ich kenne es allerdings, dass ich nicht immer in österlicher Freude war, etwa als ich krank war oder depressiv. Ich sagte mir dann: Jesus kam zu uns als Licht der Welt. Und dieses Licht vertreibt die Finsternis. Ich habe mir aber schon ein paar Gedanken gemacht.
Gedanken?
Grün: Ich habe vor, auf Facebook jeden Tag spirituelle Hilfen zu veröffentlichen. Und ich werde mir auch etwas für die Kar- und Ostertage ausdenken.
Die Benediktiner sind weltweit vertreten. Was hören Sie aus Italien?
Grün: Wir haben dort keinen Konvent, aber unser Präses, unser Leiter, ist in Rom. Er sagt, manche Klostergemeinschaften sind vom Virus infiziert; mehr als 50 Priester sind gestorben. In unseren Klöstern in aller Welt ist noch keine Infektion aufgetreten. Eine Garantie, dass es so bleibt, gibt es freilich nicht.
Haben Sie die Sorge, dass in Deutschdas land einmal ähnliche Zustände wie in Italien herrschen könnten? Überlastete Krankenhäuser; Soldaten, die Särge abtransportieren müssen ...
Grün: In Italien ist die Lage wirklich schlimm! Ich glaube, wir sind in Deutschland mit unserem Gesundheitssystem besser gerüstet. Wir dürfen aber nicht so arrogant sein und sagen, uns kann so etwas nicht passieren. Wir müssen uns alle jetzt dringend an die staatlichen Vorschriften halten, damit wir die Verbreitungskurve des Virus abflachen. Ich hoffe, die Maßnahmen wirken.
Fühlen Sie sich von Politikerinnen und Politikern verantwortungsvoll und gut durch diese Tage geleitet?
Grün: Ja. Auch wenn die Maßnahmen schmerzlich sind – sie sind sinnvoll. Schauen Sie nach Taiwan. Dort hat man frühzeitiger strenge Vorschriften erlassen, mit großem Erfolg. Dort tragen die Menschen überall auch Schutzmasken. So etwas ist in Deutschland fremd. Aber vielleicht sollten wir das auch tun und uns im öffentlichen Raum nur noch mit Schutzmasken bewegen.
„In Italien ist die Lage wirklich schlimm“
Wie problematisch sehen Sie die Beschränkungen unserer Freiheitsrechte? Grün: Es handelt sich doch um eine zeitlich befristete Lösung. Ich denke nicht, dass wir danach unserer Freiheitsrechte beraubt werden.
Wenn diese Krise überstanden sein wird – worauf kommt es dann an? Grün: Es wird um ein Überdenken unserer Maßstäbe und unserer Art zu leben gehen.
Und was wird Positives aus diesen Krisenzeiten bleiben?
Grün: Ich werde mich freuen, wenn ich wieder Vorträge halten kann. Aber ich muss das nicht tun, das ist mir bewusst geworden. Was bleibt? Ich hoffe Solidarität und Nachdenklichkeit. Und vielleicht auch eine neue Offenheit für Spiritualität.
Interview: Daniel Wirsching
● Anselm Grün wurde am 14. Januar 1945 in Junkershausen geboren, einem Ort ganz in Bayerns Norden. Von 1977 bis 2013 war er Cellerar der Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg, also deren wirtschaftlicher Leiter. In dieser Zeit wurde er auch Bestsellerautor.
● Neues Buch: Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung. Verlag Herder, 96 Seiten, 9,99 Euro (E-book)/14 Euro (gebundene Ausgabe, erscheint am 31. März)