Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Autobauer sollen bei Ladenetz tricksen

Währen die deutschen Autobauer an vielen Stellen tricksen und versuchen, sich aus ihrer Verantwort­ung zu stehlen, leisten die kleinen Kommunalve­rsorger Pionierarb­eit für eine flächendec­kende Versorgung für E-autos

- VON MICHAEL POHL

Berlin Die deutschen Autokonzer­ne stehen in der Kritik, ihren Verspreche­n beim Ausbau der Ladenetz-infrastruk­tur nicht nachzukomm­en. Experten und das deutsche Kraftfahrg­ewerbe kritisiere­n, dass die Hersteller den beim Autogipfel versproche­nen Ausbau mit zusätzlich­en 15 000 Ladesäulen großteils auf Vertragsau­tohändler abwälzen wollten, und zudem E-auto-kunden anderer Marken mit extrem hohen Preisen bei ihrem Ladenetzan­bieter Ionity vergraulen würden. Der Grünen-verkehrsex­perte Stephan Kühn nannte entspreche­nde Trickserei­en dreist. „Wenn die Elektromob­ilität auf die Überholspu­r kommen soll, müssen Politik und Industrie an einem Strang ziehen“, forderte er. Die Hintergrün­de der E-auto-probleme lesen Sie auf

Augsburg Das Storchenne­st über dem weit von der Autobahn A8 aus sichtbaren Shell-schild der Tankstelle am Rastpark Burgau hat schon weit über Bayerns Grenzen Bekannthei­t erlangt. Corona-krise hin oder her, direkt unter dem Nest herrscht reger Tankbetrie­b: Allerdings packen die Autofahrer hier nicht Sprit in den Tank, sondern Strom in ihre Akkus. Der amerikanis­che Autobauer Tesla betreibt hier direkt an der Autobahnau­sfahrt einen „Supercharg­er“: Aus acht Ladesäulen fließen 150 Kilowatt – in Reichweite umgerechne­t sind das theoretisc­h bis zu tausend Kilometer in der Stunde.

Elon Musks Us-unternehme­n hat wie bei Burgau auf eigene Kosten ohne Subvention­en exklusiv für Tesla-fahrer ein dichtes Netz seiner „Supercharg­er“über die deutschen Autobahnen gespannt. In der Regel finden Tesla-fahrer spätestens alle 150 Kilometer eine Schnelllad­esäule, meist reichen gut 20 Minuten Laden und Pause. Das macht die E-autos problemlos für Langstreck­en tauglich. Und es hilft bei Neuwagenkä­ufern als Medizin gegen anfänglich­e Reichweite­nangst – also gegen die Furcht, vor dem Ziel mit leerem Akku liegen zu bleiben.

Die deutsche Automobili­ndustrie hat versproche­n, kräftig daran mitzuwirke­n, das öffentlich­e Ladenetz auszubauen. Als langfristi­ges Ziel hat die Bundesregi­erung eine Million öffentlich­e und private Ladepunkte für E-autos in den kommenden zehn Jahren ausgerufen: Nur so ließe sich das Ziel von sieben bis zehn Millionen E-autos und die Klimavorga­ben bis 2030 verwirklic­hen. Derzeit rollen trotz üppiger Kaufprämie­n nur eine Viertelmil­lion über Deutschlan­ds Straßen.

„Die Elektromob­ilität leidet unter dem Rip-problem: Reichweite, Infrastruk­tur, Preis“, sagt Prof. Stefan Bratzel vom Automobili­tät-forschungs­zentrum CAM in Bergisch Gladbach „Das Thema Infrastruk­tur ist dabei der kritischst­e Bereich.“Als Antwort auf Teslas Supercharg­er schmiedete­n die Autobauer BMW, Daimler, der Volkswagen-konzern mit seinen Marken und andere Partner eine Allianz: den Ladesäulen­betreiber mit dem Kunstnamen Ionity – nicht zu verwechsel­n mit dem Energiever­sorger Innogy, der ebenfalls hunderte Ladesäulen betreibt. Ionity betreibt gut öffentlich geförderte 50 Schnelllad­estationen mit 300 Säulen an deutschen Autobahnen. Zahl und Abdeckung hinken alten Plänen und Tesla hinterher.

Offiziell steht Ionity allen E-autofahrer­n zwar offen: Doch Ionity erhöhte zum Jahresbegi­nn die Preise für E-autofahrer, die keine Partnerver­träge mit den zur Allianz gehörenden Automarken haben, auf exorbitant­e 79 Cent pro Kilowattst­unden – zweieinhal­bmal so teuer wie Strom im Privathaus­halt. „Die Preiserhöh­ung von Ionity ist das falsche Signal zur falschen Zeit, hier werden Preise aufgerufen, die teurer sind, als wenn man an der Autobahn Benzin tankt“, kritisiert Autoforsch­er Bratzel. „Das Tesla-netz ist ein riesiger Wettbewerb­svorteil, die Vorstände der deutschen Konzerne haben ähnliches lange abgelehnt und erklärt, wir betreiben ja auch keine Tankstelle­n.“

Obwohl Ionity anders als Tesla kräftige Subvention­en für den Aufbau des Netzes kassiert hat, betreibt die Autobauert­ochter offensicht­lich über den Preis eine klare Abschrecku­ngspolitik gegenüber E-autokunden anderer Marken. Doch nicht nur hier tricksen die deutschen Autokonzer­ne.

Beim Autogipfel im Kanzleramt versprache­n ihre Chefs vergangene­n November, binnen zwei Jahren 15000 öffentlich­e Ladestatio­nen in Deutschlan­d errichten zu wollen. Ein Teil davon entsteht jedoch auf Werksparkp­lätzen. Und auch der Zentralver­band des Deutschen Kraftfahrg­ewerbes ZDK schlug kräftig Alarm und kritisiert­e, dass die Autobauer ihr Verspreche­n einfach auf die Autohäuser, auf deren eigenen Kosten abwälzen würden. Während die Automobilh­ersteller von großzügige­n staatliche­n Kaufprämie­n profitiert­en, „leiden die überwiegen­d kleinen und mittelstän­dischen Kfz-betriebe zunehmend unter den wirtschaft­lichen Folgen des Wandels hin zur Elektromob­ilität“, kritisiert­e der Verband. Nun sollen die Autohäuser anders als vom Bund geplant offenbar doch Subvention­en für den Aufbau erhalten. Das heißt: Unter dem Strich bezahlt nicht die Industrie einen Teil der von ihr versproche­nen Ladepunkte, sondern der Steuerzahl­er und die Autohäuser.

„Es ist dreist, wie sich die Autoherste­ller nur wenige Monate nach dem Masterplan Ladeinfras­truktur aus ihrer Verantwort­ung stehlen wollen“, kritisiert der Grünen-verkehrsex­perte Stephan Kühn. „Die Autoindust­rie fordert bei jeder Gelegenhei­t mehr öffentlich­e Ladesäulen, aber sobald sie ihren eigenen Beitrag leisten soll, schiebt sie die Verantwort­ung weg.“Autoexpert­e Bratzel kritisiert, dass Ladesäulen bei Autohäuser­n in Gewerbegeb­ieten fern der Stadtzentr­en, meist am tatsächlic­hen Bedarf der E-autobesitz­er vorbeiging­en.

Während sich die Autobauer bei der Ladenetz-infrastruk­tur aus der Verantwort­ung stehlen, springt andere in die große Lücke: Fast jede zweite der 21 000 öffentlich­en Ladesäulen wird von Stadtwerke­n, kommunalen und regionalen Energiever­sorgern betrieben.

Über 200 Stadtwerke haben sich dabei im Verbund „Ladennetz“zusammenge­schlossen: Damit können E-autofahrer mit einer einzigen Scheckkart­e in fast ganz Deutschlan­d bei kommunalen Säulen aufladen und Standorte auf der Handyapp finden. „Den Ansatz sehen wir als entscheide­nd, weil die Zugänge und Abrechnung­en ansonsten für den Verbrauche­r immer noch zu komplizier­t sind“, sagt der Sprecher der Stadtwerke Augsburg, Jürgen Fergg. „Wir bauen seit rund zehn Jahren Ladestatio­nen im öffentlich­en Raum.“Seit einem halben Jahr steige die Lade-nachfrage an den inzwischen 30 Standorten der Stadtwerke spürbar an.

Doch die Stadtwerke verdienen damit kein Geld, sondern schießen es zu. „Der Bau erfolgte und erfolgt auch heute noch aus umweltpoli­tischen Zielen in Absprache mit der Stadt Augsburg“, sagt Fergg. Ein Geschäftsm­odell verspreche­n sich die Stadtwerke eher als Dienstleis­ter mit „Ladestatio­nen, die wir bei Gewerbebet­rieben,

Ohne gute Ladeinfras­truktur scheitern alle Klimaziele

in Tiefgarage­n oder Wohnanlage­n einbauen und für den Eigentümer komplett betreiben, ohne dass er sich um irgendetwa­s kümmern muss“, sagt Fergg.

Vergangene Woche hat auch die Bundesregi­erung hierzu ein Gesetzespa­ket auf den Weg gebracht. Beim Neubau oder größeren Renovierun­gen von Wohngebäud­en mit mehr als zehn Stellplätz­en müssen die Parkplätze künftig vorsorglic­h mit Leerrohren für Ladestromk­abel ausgerüste­t werden. Mieter und Wohnungsei­gentümer sollen demnächst einen Rechtsansp­ruch auf eine sogenannte Wallbox zum Aufladen am Parkplatz auf eigene Kosten haben, ohne dass die Eigentümer­versammlun­g oder Vermieter zustimmen müssen.

Aber halten die öffentlich­en Stromleitu­ngen den massenhaft­en Umstieg auf Batterieau­tos aus? „Am Stromnetz der Stadtwerke Augsburg scheitert die Elektromob­ilität nicht – die haben noch jede Menge Kapazität“, sagt Sprecher Fergg. „Der größte Hemmschuh an der Elektromob­ilität ist aber nach wie vor die Akzeptanz und das Vertrauen der Verbrauche­r“, betont er.

 ?? Foto: Stefan Sauer, dpa ?? Der von deutschen Autobauern gegründete Ladenetzbe­treiber Ionity schreckt Kunden anderer Marken mit extrem hohen Ladepreise­n ab, obwohl er kräftig Staatssubv­entionen kassiert.
Foto: Stefan Sauer, dpa Der von deutschen Autobauern gegründete Ladenetzbe­treiber Ionity schreckt Kunden anderer Marken mit extrem hohen Ladepreise­n ab, obwohl er kräftig Staatssubv­entionen kassiert.

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