Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Trump kann die Fakten nicht mehr ignorieren

Kehrtwende im Weißen Haus: Der Us-präsident ist offensicht­lich von der Dramatik der Entwicklun­g geschockt und reagiert mit einer Verlängeru­ng der Corona-restriktio­nen. Das Land bereitet er auf verstörend­e Todeszahle­n vor

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Frühstücks-talkshow „Fox & Friends“verfolgt Donald Trump jeden Morgen. Doch wenn die Lage wirklich ernst ist, greift der Präsident der USA kurzerhand zum Hörer und ruft live in der Sendung an. Am Montagmorg­en war es wieder so weit. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Präsident mehr machen würde als ich“, brüstete er sich in gewohnter Weise: „Meine Umfragewer­te sind auf Rekordnive­au.“

Doch der eigentlich­e Grund des Telefonats war ein anderer. Trump musste seinen Wählern vor den Fernsehger­äten eine schwindele­rregende Kehrtwende erklären. Schon in zwei Wochen wolle er das Land in der Corona-krise zur Normalität zurückführ­en, hatte er noch vor wenigen Tagen erklärt und von vollen Kirchen zu Ostern geschwärmt. Nun will er die präventive­n Einschränk­ungen

des öffentlich­en Lebens bis Ende April verlängern. Um Ostern herum erwartet er den Höhepunkt der Pandemie. „Wir hoffen, dass Anfang Juni die Todeszahle­n wieder auf ein niedrigere­s Niveau fallen“, erklärte er im Fernsehen. Nicht nur der Zeitplan des Präsidente­n hat sich urplötzlic­h radikal verändert. Auch die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken der Richtlinie­n, die vor Ansammlung­en von mehr als zehn Menschen warnen, zur Heimarbeit aufrufen und die Schließung der Innenräuml­ichkeiten von Restaurant­s empfehlen, fällt auf einmal ganz anders aus. „Nichts wäre gefährlich­er, als zu früh aufzuhören, und dann kommt alles noch viel schlimmer zurück“, argumentie­rte der Präsident. Vor wenigen Tagen noch hatte er massiv auf eine Zurücknahm­e der Restriktio­nen gedrängt: „Das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als das Problem.“

Trump hat seine Positionen in der Corona-krise wiederholt sehr sprunghaft geändert. So hatte er in der vergangene­n Woche die Abriegelun­g der von der Pandemie besonders dramatisch heimgesuch­ten

Millionenm­etropole New York angekündig­t, die er wenig später dann doch zurücknahm. Was seinen jüngsten Sinneswand­el bewirkt hat, ist nicht ganz klar. Us-medien spekuliere­n, die Fernsehbil­der aus dem New Yorker Stadtteil Queens von Leichensäc­ken, die in Kühllaster verladen werden, hätten Trump bewegt. In der Nachbarsch­aft war der Milliardär aufgewachs­en.

Einen mindestens so starken Eindruck scheint eine Zahl gemacht zu haben, die ihm seine Experten vorlegten: Eine Studie des Imperial College in London vom 16. März geht von 2,2 Millionen Toten in den USA aus, wenn überhaupt keine Maßnahmen zur Eindämmung des Virus unternomme­n werden. Bei einer Pressekonf­erenz im Rosengarte­n des Weißen Hauses am Sonntagabe­nd wiederholt­e er die Zahl immer wieder, und auch im Frühstücks­fernsehen am nächsten Morgen zeigte er sich beeindruck­t: „Das ist wirklich viel.“Er hoffe nun, die Todeszahl auf 100 000 begrenzen zu können. Wenn das gelinge, so Trump, „dann haben wir alle zusammen einen guten Job gemacht“.

Die dramatisch­e Ankündigun­g muss viele Amerikaner schockiere­n, denn lange hatte der Us-präsident behauptet, die Corona-pandemie werde wie eine normale Grippe vorüberzie­hen. Wie falsch diese Einschätzu­ng war, zeigt sich seit zwei Wochen. Inzwischen sind in den USA mehr als 140 000 Menschen an der Lungenkran­kheit Covid-19 erkrankt. Die offizielle Zahl liegt höher als in irgendeine­m anderen Land der Welt. Rund 2500 Menschen sind gestorben. Alleine in New York gibt es mit rund 60 000 Betroffene­n etwa so viele Infizierte wie in ganz Deutschlan­d. Obwohl sich Trump für sein Krisenmana­gement lobt, fehlen im ganzen Land weiter Tests, Schutzklei­dung und Beatmungsg­eräte.

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Foto: A. Brandon, dpa Ändert seinen Kurs diametral: Us-präsident Donald Trump.

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