Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Geckos unter den Funktionären
Es gibt nicht mehr viele, die unbeirrt der Corona-krise trotzen. In weiten Teilen der Welt ruht der Sport. In Europa nahezu komplett. Nur ein nicht ganz so kleines Radrennen stemmt sich gegen den Trend. Die Macher der Tour de France entfalten noch größere Klebkräfte als das IOC. Letzteres steht unter der Herrschaft von Thomas Bach und knickte erst ein, als Sportler und mit Kanada eine ganze Nation ankündigten, auf eine Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen in Tokio zu verzichten, sollten sie in diesem Jahr stattfinden. Die Spiele wurden auf nächsten Sommer verschoben.
Im internationalen Vergleich sind aber die Franzosen die Geckos unter den Sport-funktionären. Mit beeindruckender Sturheit haften sie an dem größten Radrennen der Welt. Tour-direktor Christian Prudhomm sagte unlängst, dass es bisher nur zwei Ereignisse gab, die das Rennen seit dessen Premiere 1903 stoppen konnten: Den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Was ist dagegen so eine läppische Pandemie?
Jetzt wird darüber nachgedacht, das Rennen ohne Zuschauer durchzuführen. Wie das funktionieren soll, weiß aber niemand so genau. 3470 Kilometer spulen die Radprofis in den drei Wochen zwischen dem Start in Nizza und dem Ziel in Paris ab. Um diese Strecke abzusperren, wäre vermutlich das gesamte französische Militär nötig. Hunderttausende pilgern jedes Jahr an die Straßenränder, um die Fahrer anzufeuern. Im vergangenen Jahr waren insgesamt rund zehn Millionen Menschen unterwegs. Das neuartige Coronavirus würde höchst komfortabel aus kürzester Distanz kreuz und quer durch die Gegend gespeichelt.
Zugute halten kann man den Organisatoren, dass die Tour etwas einfacher und kurzfristiger abzusagen ist, als Olympische Spiele. Trotzdem ist es bestenfalls naiv zu glauben, dass das Rennen tatsächlich stattfinden wird. Niemand kann gewährleisten, dass alle zu Hause vor dem Fernseher sitzen bleiben, wenn die besten Profis der Welt durch ein radsportverrücktes Land fahren. Dazu kommt, dass der Tross aus Fahrern, Betreuern, Technikern und Journalisten riesig ist. Zwei Meter Abstand? Unmöglich.
Also wird auch die Tour de France erst verschoben und dann abgesagt werden. Für diese Prognose muss man kein Hellseher sein. Nur wahrhaben will es (noch) keiner in Frankreich. Wie bei Olympia beginnt aber auch hier der Widerstand in den Reihen der Sportler. Ex-gesamtsieger Geraint Thomas sagte, eine Tour ohne Zuschauer wäre nicht die Tour. Er muss sich keine Sorgen machen. Es wird sogar eine Tour ohne Fahrer.