Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kultur per Klick? Da fehlt doch was… Corona und wir
„Besuchen Sie uns online!“, erschallt es aus den geschlossenen Theatern und Museen. Doch der virtuelle Kunstgenuss hat seine Grenzen
Theater, Konzert, Kino, Museum … Für einen, für den all dies seit Jahrzehnten einen nicht unbeträchtlichen Lebensbestandteil darstellt, ist die derzeitige Generalschließung eine, sagen wir mal, ungewohnte Situation. Aber, könnte man fragen, wo ist denn hier das Problem, wo wir doch in digitalen Zeiten leben? Ist ja alles verfügbar, Beethoven, Shakespeare, Leonardo und all die anderen, sämtlich nur ein paar Klicks entfernt!
Stimmt. „Besuchen Sie uns online!“, schallt es aus allen Ecken des digitalen Postfachs hervor. In einer Fülle, dass man schon nicht mehr weiß, wohin man zuerst gucken, hören soll. „Lucia di Lammermoor“aus München oder „Rosenkavalier“aus Berlin? Dem Pianisten Igor Levit ins Wohnzimmer folgen oder lieber dem Geiger Daniel Hope? Virtuell an den Gemälden des Frankfurter
Städel entlangflanieren oder gleich den Sprung in die Eremitage nach St. Petersburg wagen?
Und so kann man seine Nase unvergleichlich nah an die Pixeloberfläche eines van Gogh heranrücken oder die Berliner Philharmoniker beim Rackern im sinfonischen Dickicht verfolgen – und hält’s in den wenigsten Fällen lange am Bildschirm aus. Denn stets wird man vom selben Gefühl beschlichen: Da fehlt etwas. Und zwar etwas Entscheidendes.
Es fehlt der Freiraum und der besondere Lichteinfall, den ein Museum aufzubieten vermag, es fehlt dieser besondere Moment der Betrachtung vor dem Original, so als wäre man selbst der Künstler, der vor hundert oder fünfhundert Jahren von eben dieser Warte aus sein Werk in den Blick nahm. Es fehlt die unvergleichliche Akustik eines originären Konzertsaals, diese Luftigkeit und die spezifische Verzögerung, bis der Klang eines Orchesters das Ohr erreicht.
Und schon gar nicht will sich in der eigenen Stube diese besondere Konzentration einstellen, der Wille eines Kollektivs, über einen bestimmten Zeitraum hinweg nichts anderes zu tun, als eine künstlerische Darbietung zu verfolgen. Eine gesteigerte Aufmerksamkeit, die in einer Livesituation
auch von den Interpreten erfasst wird und ihrerseits potenzierend wirkt und die jetzt, beim virtuellen Konsum, so ganz und gar nicht aufkommen will. Ganz zu schweigen von anderen heimatlichen Störfaktoren, dem bimmelnden Telefon, dem Rumpeln der Waschmaschine, dem unaufschiebbaren Anliegen der Tochter …
Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Die digital vermittelte Kultur, sie hat auch einen Vorteil. Wo man in der echten Theaterwelt, wenn mal gar nicht taugt, was einem geboten wird, hoffnungslos eingezwängt bleibt in seiner Sitzreihe: Daheim am Bildschirm genügt ein Klick, und ’raus bist du.
An dieser Stelle berichten täglich Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Arbeitsalltag in Zeiten von Corona.