Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Ernte-retter
Wegen der Corona-pandemie haben Bauern ein riesiges Problem. Denn viele Osteuropäer dürfen nicht mehr nach Deutschland, etwa zum Spargelstechen. Wie es kam, dass nun tausende Studenten oder Familienväter auf den Äckern aushelfen
Hohenwart Vielleicht wird Hubert Aiwanger manchmal auch einfach missverstanden. Der bayerische Wirtschaftsminister spricht schließlich, wie Leute eben sprechen, die aus Ergoldsbach in Niederbayern kommen. Sagt nicht Quarantäne, sondern Kworonteenee. Manchmal wirkt er auch recht hemdsärmelig. Am 20. März also wagte er einen Vorstoß: Bürger, die wegen der Corona-pandemie in Kurzarbeit gehen müssten, könnten sich doch mit Hilfsarbeiten Geld hinzuverdienen – „in den Supermärkten, als Spargelstecher, in der Landwirtschaft“. Eine Nation der Erntehelfer? Der bayerische Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes fand das „irrwitzig“. War Aiwanger falsch verstanden worden?
Wer an einem sonnigen Montagvormittag in den Transporter von Franz Schweiger steigt und mit ihm ein paar Minuten hinausfährt, vom Hof in Hohenwart – einer Marktgemeinde im oberbayerischen Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm – hinein in seine Felder, dem kommt Aiwangers Idee gar nicht mehr so irrwitzig vor.
Gut ein dutzend Helfer stapfen gebückt über den Ackerhügel, 1,6 Hektar, so groß wie 80 Tennisplätze. Der Wind peitscht unerbittlich. Unter Mützen und Kapuzen verstecken sich junge Gesichter. Schweiger ist Spargelbauer, sein Gesicht markant, seine Hände kräftig. Unter den Fingernägeln kleben Erdreste. Er sagt: „Ich muss alle von null anlernen.“Das klingt dramatisch. Doch für den 39-jährigen Landwirt ist es wohl das geringere Übel.
Seit ein paar Wochen ist nichts mehr, wie es war. Corona ist nicht mehr nur ein wässriges Bier, garniert mit Limettenschnitz. Und aus der Empfehlung Hubert Aiwangers von den Freien Wählern – Gehaltsaufstockung für Kurzarbeiter durch Spargelstechen – ist eine Notwendigkeit für die Bauern geworden.
Vor genau einer Woche beschloss das Bundeskabinett auf Initiative von Innenminister Horst Seehofer (CSU) ein Einreiseverbot für Erntehelfer, ausgenommen sind Polen, Tschechien und die Slowakei, bestätigt das Bundesinnenministerium auf Nachfrage. Doch die meisten der gut 300 000 Saisonarbeiter, die jährlich für den Mindestlohn auf deutschen Feldern ackern, kommen aus Rumänien. Und viele Polen zögern. Nach ihrer Rückkehr müssten sie für zwei Wochen in Quarantäne. Ohne sie aber könnte Deutschland ein Land fast ohne Schrobenhausener Spargel oder Hallertauer Hopfen werden. Denn wer soll sie ersetzen? Wie sollen die Landwirte die nächsten Monate überstehen?
Wäre Deutschland nicht in der Corona-krise, Johanna Reski würde an diesem Vormittag vermutlich an ihrer Bachelorarbeit sitzen, Thema: „Die Metalepse im Werk von Daniel Kehlmann“. Die 26-Jährige studiert in Augsburg Germanistik, Philosophie im Nebenfach. Jetzt aber gräbt sie mit der linken Hand Kuhlen in einen Erdwall, dort, wo die weißen Spargelköpfe bereits hinauslugen, und sticht mit der rechten Hand zu, dort, wo am Stecheisen eine grüne Markierung angebracht ist. Reski trägt Gummistiefel, lila Funktionsjacke. Eine aufgeweckte Frau mit rauchiger Stimme. Vor zwei Wochen hat sie ihren Aushilfsjob in einer Augsburger Bar verloren. Wo wegen einer Pandemie nichts getrunken werden darf, kann auch keiner ausschenken. „Ich war ein bisschen verzweifelt“, sagt sie. In der Zeitung liest sie von den Erntesorgen der Bauern. Reski googelt: „Spargelstechen“, immerhin hat sie während eines Aufenthalts in Neuseeland Äpfel geerntet, Zwiebeln gepflanzt, Weintrauben gepflückt, auf einer Reise durch Mexiko einen Permakulturgarten mitbewirtschaftet. Spargel. Sie findet eine Nummer – und landet bei Evelyn Plöckl.
Die Schrobenhausenerin ist in diesen Tagen schwer zu erreichen. Ihr Vater war einst Präsident des Spargelerzeugerverbands Südbayern, sie nannten ihn den Spargelpapst. Ihren Hof betreibt die Familie nicht mehr, dafür ein Hotel. Gerade ist kein einziges Zimmer belegt, es dürfen ja nur noch Geschäftsreisende übernachten. Und doch arbeitet Plöckl in ihrem Büro und nimmt ununterbrochen Anrufe entgegen. Sie sitzt am anderen Ende der Leitung einer Hotline, die der Verband eingerichtet hat, um frei
Erntehelfer mit bedürftigen Landwirten zusammenzubringen.
„Ich bin die Brücke“, sagt Plöckl, als man sie doch einmal erreicht. Es ist 15 Uhr. 30 Gespräche habe sie an diesem Tag schon geführt, im Postfach lägen bestimmt schon 30 bis 40 Mails. „Es melden sich alle möglichen Leute. Vom Piloten bei der Lufthansa bis zum Physiotherapeuten beim FC Bayern“, erzählt sie.
Die Spargelfelder werden gerade überschwemmt von einer Welle der Solidarität, könnte man sagen. Tausende sind Aiwangers Empfehlung gefolgt. Sie wollen helfen. Sie sollen helfen. Das Bundeskabinett hat inzwischen Arbeitszeitregelungen gelockert und Aufstockmöglichkeiten für Kurzarbeiter und Studenten erweitert. Der landwirtschaftliche Vereinigung Maschinenring startete das Internetportal „Das Land hilft“. Über eine Deutschlandkarte sind einige grüne und eine Menge blaue Markierungen verstreut. Grün steht für einen Betrieb, der Saisonarbeiter sucht. Blau für diejenigen, die gern helfen wollen. Mehr als „37 700 potenzielle Erntehelfer“hätten sich mittlerweile auf der Seite registriert, schreibt Guido Krisam vom Maschinenring, knapp 6 200 aus Bayern.
Darunter ein Koch aus Rain, der erzählt: „Ich will meine Freizeit nach der Arbeit anbieten. Wenn es auch nur zwei, drei Stunden täglich wären. Wenigstens eine Kiste!“Oder ein dreifacher Familienvater aus Ingolstadt, der mit seiner Frau aufs Feld will, beide derzeit in Kurzarbeit, er angestellt in einem Ingenieursbüro, sie in der Versicherungsbranche. Das eine sei das Finanzielle, das andere die Krisenbewältigung, findet er. „Irgendwo muss man in diesem Land ja auch zusammenhalten. Ich will einfach meine Unterstützung anbieten, das Gute im Menschen suchen“, sagt er.
Zurück auf der Spargelanlage. Es ist erst der dritte Erntetag, doch Jowillige hanna Reski spürt schon jeden gestochenen Spargel. Ihre linke Hand schläft oft ein in der Nacht. Sie kann sie nicht mehr richtig schließen. Bauer Schweiger rechnet mit einer entsprechenden Fluktuation bei seinen neuen Helfern.
Trotzdem sagt Reski: „Ich habe das Gefühl, dass ich was Sinnvolles tue. Das ist ein Jahrhundertding!“30 Freunde und Bekannte hat sie in
Eigeninitiative zusammengetrommelt. Eine ihrer besten Freundinnen ist eigens aus Köln angereist. Zu elft stechen sie jetzt Spargel. „Alle brauche ich noch nicht. Wir sind am Anfang der Saison“, sagt Schweiger. Vier Rumänen haben es noch vor der Einreisesperre nach Hohenwart geschafft, 75 stellt er üblicherweise zur Hochsaison an. In einem normalen Jahr. Nach all den Sommern wissen sie, wie man das Gemüse pflanzt, wie man sortiert, wie man sticht. Die Neuen müssen das in wenigen Tagen lernen.
Bald ist Mittagspause. Reski stapelt ein paar Stangen auf Erdhügeln, bevor sie sie in eine rote Kiste legt. Vier davon wird sie heute wohl schaffen, gut 70 Kilo. Ein erfahrener Saisonarbeiter erntet das Vierfache. „Passt scho“, sagt Schweiger, fragt man ihn nach der bisherigen Ausbeute. In Bayern ein Kompliment.
Rund die Hälfte seiner Erntehelfer-neulinge hat er bei sich auf dem Hof aufgenommen. Inzwischen gibt es Wlan. Wenn es warm bleibt abends, sitzen die Mittzwanziger draußen, trinken Bier, spielen Gitarre, singen. „’Ne Mischung aus Ferienlager und Gulag“, sagt Reski und lacht. „Es ist cool, mit seinen Freunden zusammenzuarbeiten statt rumzuhocken.“
Und was ist mit Corona? Mit Sicherheitsabständen und Hygienevorschriften? „Wir sagen: oft Händewaschen, keinen Kontakt, nicht aus derselben Flasche trinken“, erklärt Bauer Schweiger. „Ich habe keine Angst.“Er hat ein Problem, das ihn mehr umtreibt: Er rechnet mit „mindestens 50 Prozent“weniger Ernte. Die Absatzentwicklung für die Bauern ist unsicher, die Gastronomie bricht als Abnehmer derzeit weg. Und wer hauptsächlich an Restaurants verkauft, so wie Claudia Westner, Präsidentin des Spargelerzeugerverbands Südbayern, wird gar nicht erst oder kaum ernten. „Vorerst starten wir nicht“, sagt sie. In den Supermärkten mögen die Kunden Klopapier kaufen und sich mit Dosenmais eindecken – ob sie auch mehr frischen Spargel kaufen, muss sich zeigen.
Ähnlich wie den Spargelbauern geht es den Hopfenbauern. Zwar können die Vorräte im Gegensatz zum Spargel auch noch im nächsten Jahr verbraucht werden. Doch „trockene“Biergärten sind für sie der Super-gau. In drei Wochen müssen die Hopfentriebe an den Stöcken um einen Draht gewickelt werden. Die Resonanz der freiwilligen Helfer sei gut, sagt Stefan Gandorfer, Vorsitzender des Hopfenrings in Wolnzach. Aber: „Es wird nicht leicht werden. Die Leute müssen das erst lernen. Das dauert Tage.“
Absatzsorgen, ungelernte Erntehelfer, aber auch jede Menge Hilfsbereitschaft – was für Zeiten! In der Küche an Schweigers Hof raspelt Florian Lindner – 26, Zwei-tagebart – Karotten klein. Eigentlich kocht er in Augsburgs Vorzeigehotel „Drei Mohren“, das ihn jetzt in Kurzarbeit schickt. Im Wechsel mit zwei anderen Köchen versorgt er die Erntehelfer. An diesem Tag gibt es Hühnerfrikassee, Kartoffelgratin, Salat, Reis, Bohnen mit Salamichips und Schweinerücken. Und Grießschnitten für die Veganer. Kantine deluxe. Er sagt: „So anspruchsvoll wie im Hotel koche ich hier aber nicht.“Aber er kocht, und das ist sein Beitrag für die Bauern.
Im Gemeinschaftsraum schaufeln die Helfer in gebührendem Coronamindestschutzabstand das Mittagessen in sich hinein. Die Atmosphäre ist locker. „Wenn jetzt die Stimmung schon mies wäre, wär’s ja gleich doppelt schlecht“, sagt Franz Schweiger. „Viel zu müde für Lagerkoller“, sagt Johanna Reski. Bevor es wieder raus aufs Feld geht, ruhen sich die neuen Spargelstecher auf dem sonnengewärmten Pflaster im Innenhof etwas aus. Die Hosen an den Knien sind verdreckt, die selbstgedrehte Zigarette muss sein. Die Saison geht bis Ende Juni. „Hättet ihr vor ein paar Wochen gedacht, dass wir hier sitzen und so was machen?“, fragt eine von ihnen. Alle schütteln mit dem Kopf.
Die Bauern erleben eine Welle der Solidarität
Auch Hopfen-anbaubetriebe haben große Probleme