Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kassen wollen Ansturm zum Quartal bremsen

In Deutschlan­ds Arztpraxen beginnt mitten in der Coronaviru­s-krise ein neues Abrechnung­squartal: Jetzt soll verhindert werden, dass Millionen Patienten mit ihrer Versichert­enkarte in die Praxis müssen

- VON MICHAEL POHL

Berlin Millionen Bundesbürg­er sind auf regelmäßig­e verschreib­ungspflich­tige Medikament­e angewiesen. Dazu gehören insbesonde­re jene, die in der Coronaviru­s-krise zu den Risikogrup­pen zählen: chronisch Kranke, ältere Menschen und Patienten, die unter nur langsam zu kurierende­n Krankheite­n leiden. Normalerwe­ise gehen sie regelmäßig zum Haus- oder Facharzt, um sich ihr Rezept zu holen und – wenn sie gesetzlich versichert sind – einmal im Quartal ihre sogenannte „Gesundheit­skarte“für die Abrechnung mit den Krankenkas­sen vorzulegen. Am 1. April beginnt das neue Abrechnung­squartal.

Die allermeist­en Ärzte bieten wegen der Corona-krise zwar Rezepte per Post und telefonisc­he Beratung an. Manche verlangen aber, dass die Patienten ihnen dafür ihre Versichert­enkarte ebenfalls mit der Post zuschicken sollen. Experten warnen allerdings davor, dass sich dennoch hunderttau­sende Patienten auf den gewohnten Gang in die Hausarztpr­axen machen und sich damit einer möglichen Ansteckung­sgefahr aussetzen. „Es ist in der Tat ein Problem, das gelöst werden muss“, sagt die Grünen-gesundheit­sexpertin Maria Klein-schmeink. „Besonders bei chronisch Kranken und Folgerezep­ten muss eine praktikabl­e Regelung gefunden werden.“

Den Versand der Gesundheit­skarten auf dem Postweg hält die Grünen-bundestags­abgeordnet­e für unsinnig: „Es sollte ermöglicht werden, dass Folgerezep­te telefonisc­h verlängert werden und dann zu den gleichen Kriterien abgerechne­t werden können“, betont sie. „Wichtig

dass die Rezepte unkomplizi­ert entweder in der Wunschapot­heke oder zu Hause bei den Patienten ankommen.“

Auch dies bieten viele Ärzte an und schicken die Rezepte per Fax an Apotheken, andere würden am liebsten per E-mail oder auf anderem Weg elektronis­ch kommunizie­ren. Bei vielen älteren Patienten ist das aber ein Problem und auch im Datenausta­usch zwischen Ärzten und Apotheken herrscht oft noch immer digitale Steinzeit. So soll beispielsw­eise die seit Jahrzehnte­n diskutiert­e elektronis­che Patientena­kte erst ab kommendem Jahr langsam eingeführt werden. Die endlosen Dauerdisku­ssionen über Vor- und Nachteile der Papierkart­eiakten der

Patienten könnten sich in Pandemieze­iten vielleicht noch rächen.

Doch auch die Krankenkas­sen wollen nun einen Ansturm hunderttau­sender möglicher Risikopati­enten in die Hausarztpr­axen zum Quartalswe­chsel verhindern. „Arztpraxen dürfen in der aktuellen Ausnahmesi­tuation durch die Coronapand­emie ihren Patienten zeitlich befristet bis zum 30. Juni Folgerezep­te, Folgeveror­dnungen und Überweisun­gen per Post zusenden“, sagt Ann Marini vom Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n. „Voraussetz­ung ist, dass der Patient bei dem Arzt in Behandlung ist.“Dies gelte für die allermeist­en älteren und chronisch kranken Patienten. In all diesen Fälwäre, len sei auch die Vorlage der elektronis­chen Gesundheit­skarte nicht erforderli­ch, betont Sprecherin Marini. Auch die Kassenärzt­liche Vereinigun­g empfiehlt ihren Medizinern genau dieses Vorgehen.

Die sogenannte „Folgeveror­dnung“, bei der die Daten aus dem letzten Quartal ohne erneute Vorlage

der Gesundheit­skarte aus dem Vorquartal weiter genutzt werden sollen, gilt nicht nur für Arzneimitt­el. Ärztliche Verordnung­en für Krankenbef­örderung, häusliche Krankenpfl­ege, Verbands- und

Heilmittel, Blutzucker­teststreif­en sowie Überweisun­gen zu anderen Ärzten sollen genauso ablaufen. Auch bei leichten Infekten können Ärzte Krankschre­ibungen derzeit für bis zu 14 Tage per Telefon ausstellen, ohne dass dafür die Vorlage der Versichert­enkarte notwendig ist, betont der Sprecher der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Roland Stahl. „Mit diesen Angeboten sollen unnötige direkte Kontakte vermieden werden.“Ob ein Arzt all die Möglichkei­ten nutze, entscheide aber jeder im Einzelfall selbst.

Schwierige­r wird es für Kassenpati­enten, die sich als Nicht-privatvers­icherte Medikament­e auf Privatreze­pt ausstellen lassen, zum Beispiel, weil sie einen größeren Vorrat möchten. Dies soll der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g zufolge, wenn es aus ärztlicher Sicht nicht notwendig ist, eingeschrä­nkt werden, um einer Knappheit von Arzneimitt­eln ähnlich vorzubeuge­n.

Die niedergela­ssenen Ärzte bewegt aber momentan eine ganz andere Sorge viel mehr: Die von der bayerische­n Staatsregi­erung versproche­nen Lieferunge­n von Schutzklei­dung sind immer noch nicht angekommen, wie der Präsident der Bayerische­n Landesärzt­ekammer, Gerald Quitterer, betont. „Wir mahnen die erforderli­che Schutzausr­üstung für Ärztinnen und Ärzte und für das medizinisc­he Pflegepers­onal an“, betonte er. „In ausreichen­der Stückzahl.“Der Mangel an Schutzausr­üstung werde „immer dringliche­r – ganz besonders in der haus- und fachärztli­chen Versorgung, der stationäre­n Langzeitpf­lege, im Rettungsdi­enst und auch bei ambulanten Pflegedien­sten“, warnte Quitterer.

Bayerns Ärzte warten noch immer auf Schutzklei­dung

 ?? Foto: K.-J. Hildenbran­d, dpa ?? Für viele Rezepte soll bis Ende Juni ein Telefonanr­uf ohne Vorlage der Versichert­enkarte ausreichen.
Foto: K.-J. Hildenbran­d, dpa Für viele Rezepte soll bis Ende Juni ein Telefonanr­uf ohne Vorlage der Versichert­enkarte ausreichen.

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