Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Holz, das bricht

Keiner war brutaler: Andoni Goikoetxea brach Diego Maradona das Bein und wurde zum „Schlächter von Bilbao“. Reue verspürt er bis heute nicht (Serie, Teil 9)

- VON FLORIAN EISELE

Es sind Bilder, bei denen schon das reine Zusehen schmerzt: Die Grätsche kommt mit Anlauf und von hinten. Sie trifft ihr Opfer, Diego Maradona, auf Wadenhöhe. Der Argentinie­r wird mit einer solchen Wucht von den Beinen geholt, dass er mehrere Meter über den Platz geschleude­rt wird. Auf dem letzten Stück dreht sich der damals 22-Jährige um und und rutscht auf den Knien weiter, die Augen ungläubig auf seinen Angreifer gewandt. Nach einer Sekunde des Staunens setzt auch bei ihm der Schmerz ein.

Wie schwer die Verletzung war, dürften alle 120 000 Zuschauer, die an diesem Septembera­bend 1983 den Weg ins Camp Nou in Barcelona gefunden hatten, erahnt haben. Als die Ärzte den Barca-spieler in der Asepeyo-klinik in Barcelona untersucht­en, war klar: Es gab nicht vieles in seinem linken Bein, das noch heil geblieben war. Die Diagnose: Fußgelenk ausgekugel­t, Knochenhöc­ker am Wadenbein zertrümmer­t, Außenband gerissen. Maradona sollte später in seiner Biografie über den Moment des Fouls schreiben: „Ich hörte das Geräusch wie das eines Holzes, das bricht.“

Seinem Peiniger in Diensten von Athletic Bilbao brachte dieses vielleicht brutalste Foul der Fußballges­chichte einen wenig schmeichel­haften Beinamen ein: Andoni Goikoetxea war von nun an „Der Schlächter von Bilbao“. Andere Beinamen lauteten: „Sensenmann“oder „fliegender Rasenmäher“. Zu

vielen, was an diesem Fall bizarr ist, gehört auch das: Goikoetxea wird vom Schiedsric­hter nur mit einer Gelben Karte bestraft. Erst nachträgli­ch wurde der Verteidige­r für 18 Spiele gesperrt.

Treter gibt es im Fußball viele. Jahrzehnte­lang gehörte es mehr oder weniger zum guten Ton, einen Spieler in der Mannschaft zu haben, dessen vornehmlic­hstes Ziel eher die Schien- und Wadenbeine seiner Gegenspiel­er als der Ball waren. Sogar

Fälle, in denen ein Profi zugab, einen Gegenspiel­er mit einem Foul absichtlic­h verletzt zu haben, sind bekannt. Doch keiner war brutaler als Andoni Goikoetxea. Die britische Times kürte ihn in einer Aufstellun­g im Jahr 2007 zum härtesten Verteidige­r der Fußball-geschichte, das deutsche Magazin 11Freunde tat es den Kollegen im Jahr 2013 gleich. Das Foul an Maradona war das schlimmste, aber keineswegs die erste Attacke dieser Art. Zwei Jahre zuvor hatte Goikoetdem xea einen anderen Spieler des FC Barcelona schwer verletzt: Dem damals 21 Jahre alten Bernd Schuster brachte er eine derart schwere Knieverlet­zung bei, dass der Augsburger ein komplettes Jahr ausfiel.

Es waren Fouls, die auch eine symbolisch­e Kraft hatten: Die Ballkünstl­er Schuster und Maradona standen für das Leichte, Anmutige und Schöne im Spiel, während Goikoetxea die personifiz­ierte Antimateri­e zu sein schien. Diese dunkle Seite des Fußballs drohte das Licht, das von Schuster oder Maradona ausging, zeitweise sogar zu ersticken: Lange schien es unklar, ob die beiden Barca-spieler nach den Attacken Goikoetxea­s ihre Karrieren überhaupt fortsetzen würden. Die Mensch gewordene Abrissbirn­e grätschte und trat sein Team 1983 und 1984 hingegen zu zwei Meistersch­aften sowie im Jahr 1984 zu einem Pokalsieg. Im Finale des Pokals löste er eine Massenschl­ägerei aus, wurde aber zur Europameis­terschaft 1984 begnadigt, um für Spanien spielen zu können.

Wer Einsicht oder gar Reue erwartet, hat die Rechnung ohne Goikoetxea gemacht. Als er vor einigen Jahren auf das Foul an Diego Maradona angesproch­en wurde, sagte er: „Maradona wurde danach der beste Spieler der Welt. Und hey: Ich wurde damals nicht mal vom Platz gestellt!“Die Fußballsch­uhe, in denen er dem Argentinie­r das Bein gebrochen hatte, stellte er in einer Vitrine in seinem Wohnzimmer aus. Und für die Bezeichnun­g „Schlächter von Bilbao“bringt der heute 63-Jährige keinerlei Verständni­s auf: „Ich bin kein Tier. Wer mich als Schlächter oder Kriminelle­n bezeichnet, ist ein Terrorist.“

 ?? Foto: Imago ?? Keine Kompromiss­e, kein Mitleid, kein Zurückzieh­en: Andoni Goikoetxea gilt bis heute als der wohl härteste Verteidige­r des Weltfußbal­ls.
Foto: Imago Keine Kompromiss­e, kein Mitleid, kein Zurückzieh­en: Andoni Goikoetxea gilt bis heute als der wohl härteste Verteidige­r des Weltfußbal­ls.

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