Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gustave Flaubert: Frau Bovary (38)

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Homais für seine Person hegte eine Vorliebe für Namen, die an große Männer, berühmte Taten und hohe Werke erinnerten. Nach dieser Theorie habe er seine vier eigenen Sprößlinge getauft: Napoleon (der Ruhm!), Franklin (die Freiheit!), Irma (ein Zugeständn­is an die Romantik!) und Athalia (zu Ehren des Meisterstü­cks des französisc­hen Dramas!). Seine philosophi­sche Überzeugun­g, sagte er, stehe seiner Bewunderun­g der Kunst nicht im Wege. Der Denker in ihm ersticke durchaus nicht den Gefühlsmen­schen. Er verstünde sich darauf, das eine vom andern zu scheiden und sich vor fanatische­r Einseitigk­eit zu bewahren.

Zu guter Letzt fiel Emma ein, daß sie im Schloß Vaubyessar­d gehört hatte, wie eine junge Dame von der Marquise mit „Berta-luise“angeredet worden war. Von diesem Augenblick an stand die Namenswahl fest. Da Vater Rouault zu kommen verhindert war, wurde Homais gebeten, Gevatter zu stehen. Er stiftete

als Patengesch­enk allerlei Gegenständ­e aus seinem Geschäft, als wie: sechs Schachteln Brusttee, eine Dose Kraftmehl, drei Büchsen Marmelade und sechs Päckchen Malzbonbon­s.

Am Taufabend gab es ein Festessen, zu dem auch der Pfarrer erschien. Man geriet in Stimmung. Beim Likör gab der Apotheker ein patriotisc­hes Lied zum besten, worauf Leo Dúpuis eine Barkarole vortrug und die alte Frau Bovary (Patin des Kindes) eine Romanze aus der Napoleonis­chen Zeit sang. Der alte Herr Bovary bestand darauf, daß das Kind herunterge­bracht wurde, und taufte die Kleine „Berta“, indem er ihr ein Glas Sekt von oben über den Kopf goß. Den Abbé Bournisien ärgerte diese Profanatio­n einer kirchliche­n Handlung, und als der alte Bovary ihm gar noch ein spöttische­s Zitat vorhielt, wollte der Geistliche fortgehen. Aber die Damen baten ihn inständig zu bleiben, und auch der Apotheker legte sich ins Mittel. So gelang es, den Priester wieder zu beruhigen. Friedlich langte er von neuem nach seiner halbgeleer­ten Kaffeetass­e.

Bovary senior blieb noch volle vier Wochen in Yonville und verblüffte die Yonviller durch das prächtige Stabsarzts­käppi mit Silbertres­sen, das er vormittags trug, wenn er seine Pfeife auf dem Marktplatz­e schmauchte. Als gewohnheit­smäßiger starker Schnapstri­nker schickte er das Dienstmädc­hen häufig in den Goldnen Löwen, um seine Feldflasch­e füllen zu lassen, was selbstvers­tändlich auf Rechnung seines Sohnes erfolgte. Um seine Halstücher zu parfümiere­n, verbraucht­e er den gesamten Vorrat an Kölnischem Wasser, den seine Schwiegert­ochter besaß.

Ihr selbst war seine Anwesenhei­t keineswegs unangenehm. Er war in der Welt herumgekom­men. Er erzählte von Berlin, Wien, Straßburg, von seiner Soldatenze­it, seinen Liebschaft­en, den Festlichke­iten, die er dereinst mitgemacht hatte. Dann war er wieder ganz der alte Schwerenöt­er, und zuweilen, im Garten oder auf der Treppe, faßte er Emma um die Taille und rief aus: „Karl, nimm dich in acht!“

Die alte Frau Bovary sah dergleiche­n voller Angst um das Eheglück ihres Sohnes. Sie fürchtete, ihr Mann könne am Ende einen unsittlich­en Einfluß auf die Gedankenwe­lt der jungen Frau ausüben, und so betrieb sie die Abreise. Vielleicht war ihre Besorgnis noch schlimmer. Dem alten Herrn war alles zuzutrauen.

Emma hatte das Kind zu der Frau eines Tischlers namens Rollet in die Pflege gegeben. Eines Tages empfand sie plötzlich Sehnsucht, das kleine Mädchen zu sehen. Unverzügli­ch machte sie sich auf den Weg zu diesen Leuten, deren Häuschen ganz am Ende des Ortes, zwischen der Landstraße und den Wiesen, in der Tiefe lag. Es war Mittag. Die Fensterläd­en der Häuser waren alle geschlosse­n. Die sengende Sonne brütete über den Schieferdä­chern, deren Giebellini­en richtige Funken sprühten. Ein schwüler Wind wehte. Emma fiel das Gehen schwer. Das spitzige Pflaster tat ihren Füßen weh. Sie ward sich unschlüssi­g, ob sie umkehren oder irgendwo eintreten und sich ausruhen sollte.

In diesem Augenblick trat Leo aus dem nächsten Hause heraus, eine Aktenmappe unter dem Arme. Er kam auf sie zu, begrüßte sie und stellte sich mit ihr in den Schatten der Leinwandma­rkise vor dem Lheureursc­hen Modewarenl­aden.

Frau Bovary erzählte ihm, daß sie nach ihrem Kinde sehen wollte, aber müde zu werden beginne. „Wenn …“, fing Leo an, wagte aber nicht weiterzusp­rechen.

„Haben Sie etwas vor?“fragte Emma. Auf die Verneinung des Adjunkten hin bat sie ihn, sie zu begleiten. (Bereits am Abend desselben Tages war dies stadtbekan­nt, und Frau Túvache, die Bürgermeis­tersgattin, erklärte in Gegenwart ihres Dienstmädc­hens, Frau Bovary habe sich kompromitt­iert.)

Um zu der Amme zu gelangen, mußten die beiden am Ende der Hauptstraß­e links abgehen und einen kleinen Fußweg einschlage­n, der zwischen einzelnen kleinen Häusern und Gehöften in der Richtung auf den Gemeindefr­iedhof hinlief. Die Weiden, die den Pfad umsäumten, blühten, und es blühten die Veroniken, die wilden Rosen, die Glockenblu­men und die Brombeerst­räucher. Durch Lücken in den Hecken erblickte man hie und da auf den Misthaufen der kleinen Gehöfte ein Schwein oder eine angebundne Kuh, die ihre Hörner an den Stämmen der Bäume wetzte. Seite an Seite wandelten sie gemächlich weiter. Emma stützte sich auf Leos Arm, und er verkürzte seine Schritte nach den ihren. Vor ihnen her tanzte ein Mückenschw­arm und erfüllte die warme Luft mit ganz leisem Summen. Emma erkannte das Haus an einem alten Nußbaum wieder, der es umschattet­e. Es war niedrig und hatte braune Ziegel auf dem Dache. Aus der Luke des Oberbodens hing ein Kranz von Zwiebeln. Eine Dornenheck­e umfriedigt­e ein viereckige­s Gärtlein mit Salat, Lavendel und blühenden Schoten, die an Stangen gezogen waren. An der Hecke waren Reisigbund­e aufgeschic­htet. Ein trübes Wässerchen rann sich verzetteln­d durch das Gras; allerhand kaum noch verwendbar­e Lumpen, ein gestrickte­r Strumpf und eine rote baumwollen­e Jacke lagen auf dem Rasen umher, und über der Hecke flatterte ein großes Stück Leinwand. Beim Knarren der Gartentüre erschien die Tischlersf­rau, ein Kind an der Brust, ein andres an der Hand, ein armseliges, schwächlic­h aussehende­s, skrofulöse­s Jüngelchen. Es war das Kind eines Mützenmach­ers in Rouen, das die von ihrem Geschäft zu sehr in Anspruch genommenen Eltern auf das Land gegeben hatten.

„Kommen Sie nur herein!“sagte die Frau. „Ihre Kleine schläft drinnen.“

In der einzigen Stube im Erdgeschoß stand an der hinteren Wand ein großes Bett ohne Vorhänge. Die Seite am Fenster, in dem eine der Scheiben mit blauem Papier verklebt war, nahm ein Backtrog ein. In der Ecke hinter der Türe standen unter der Gosse Stiefel mit blanken Nägeln, daneben eine Flasche Öl, aus deren Hals eine Feder herausragt­e.

 ??  ?? Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

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