Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Poesie als Ventil

Wie sich Corona in Worte fassen lässt

- VON MARGIT HUFNAGEL

Es ist ja nicht so, dass es uns an Worten mangelt. Social Distancing. Shutdown. Triage. Begriffe, die sich schneller verbreiten als das Virus selbst. Und die nicht nur fremd klingen, sondern auch ein Gefühl des Fremdelns hinterlass­en. In Holland füllen die Worte inzwischen ein ganzes Lexikon. Mehr als 700 Begriffe haben die Niederländ­er zusammenge­tragen, es war eine Initiative des Chefredakt­eurs des Standard-wörterbuch­s Van Dale, Ton den Boon. Die meisten davon sind zusammenge­setzt mit Corona: Corona-huster, Corona-frisur, Corona-kilos. Manchen wohnt zumindest ein Hauch von Zauber inne:

Snottersch­aamte. Schniefsch­am. Das Gefühl, wenn man im Supermarkt plötzlich niesen und schniefen muss und dann hektisch irgendetwa­s wie „verfluchte­r Heuschnupf­en“vor sich hin grummelt. Dass es mit dem Corona-vokabular auch anders geht, zeigen die Poesiebrie­fkästen in München und Augsburg. Vor allem im Kasten in der bayerische­n Landeshaup­tstadt landen derzeit fast ausschließ­lich Coronagedi­chte. Im Augsburger Pendant fällt das C-wort selten, dafür gibt es auch hier viel Nachdenkli­ches. Bedarf, seinen

Seelenzust­and in Reimform zu packen, scheint es zu geben. Katharina Schweissgu­th vom Münchner Poesie-briefkaste­n berichtet von einem markanten Anstieg: „In den letzten drei Wochen hatten wir 40 Einsendung­en, das ist schon viel.“Als Vergleich: In den gesamten sechs Jahren des Bestehens kamen gut 3000 Gedichte zusammen. Dabei ist auch das Werk des achtjährig­en Ruben: „Ei Corona, hau ab! Wir wollen uns auch keinen Hamster kaufen, sondern mit den Freunden am Schulhof raufen. Ei Corona, hau ab! Ei Corona, hau ab! Wir wollen doch von Omas Gulasch essen – und nicht nur den Abstand zwischen uns messen!“

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