Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die App würde zu Recht eine Totgeburt“

Die Bundestags­abgeordnet­e Anke Domscheit-berg kritisiert Regierung für das Vorgehen bei der Entwicklun­g eines Corona-trackings

- Anke Domscheit-berg, 52, ist Publizisti­n, Aktivistin und Bundestags­abgeordnet­e und netzpoliti­sche Sprecherin der Linken.

Frau Domscheit-berg, haben Sie dem Robert-koch-institut (RKI) heute schon Ihre Daten gespendet?

Anke Domscheit-berg: Nein. Diese Datenspend­e-app kann man ja nur auf einer Smart Watch oder einem Fitnessarm­band installier­en. Ich habe weder Smart Watch noch Fitnessarm­band, weil meine Gesundheit­sdaten mir dort nicht sicher genug sind. Man weiß nie, wo diese Daten wirklich landen und sie sind mir zu sensibel, um sie über ein Gerät zu teilen. Aber selbst bei der RKI-APP alleine hätte ich schon Bedenken, mir fehlt da das Vertrauen.

Wie hätte das RKI Ihr Vertrauen gewinnen können?

Domscheit-berg: Das RKI hätte den Quellcode vorher öffentlich machen müssen, als Open Source. Zum einen, damit It-experten und Datenschüt­zer die Möglichkei­t bekommen, Schwachste­llen der App aufzudecke­n. Zum anderen, damit sich jeder davon überzeugen kann, dass die App vertrauens­würdig ist – und zwar, bevor sich Menschen die Anwendung runterlade­n. Das sollte Standard sein bei solchen Apps.

Aber erhöht ein Veröffentl­ichen des Quellcodes nicht die Gefahr von Hackerangr­iffen?

Domscheit-berg: Nein, wieso? Wenn die App sauber entwickelt ist, bringt das Verfahren nur Vorteile, weil man dadurch potenziell­e Einfallsto­re finden und noch rechtzeiti­g schließen kann. Aber das scheint niemand zu wollen. Auch nicht bei der neuen App.

Die sogenannte Tracing-app, mit der die Nachverfol­gung von Infektions­ketten möglich sein soll. Gesundheit­sminister Jens Spahn hatte sie für Mitte April angekündig­t, mittlerwei­le spricht er von Mai …

Domscheit-berg: Genau. Auch da wird es knapp. Wenn Experten den Quellcode vor Herausgabe an die Bevölkerun­g im Mai analysiere­n sollen, ist es jetzt allerhöchs­te Zeit, ihn zu veröffentl­ichen. Ich fürchte aber, dass diese Transparen­z nicht gewollt ist.

Haben Sie das den Verantwort­lichen gesagt?

Domscheit-berg: Das würde ich gerne. Der Digitalaus­schuss des Bundestage­s, dem ich angehöre, hat Dorothee Bär, Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung im Bundeskanz­leramt, zu einer Fragestund­e gebeten. Sie hat keine Zeit. Ebenso wie Kanzleramt­schef Helge Braun. Die Einladung an Spahn ist ausgesproc­hen, aber noch nicht beantworte­t. Wir haben da als Abgeordnet­e das Gefühl, am langen Arm zu verhungern. Ich bin gespannt und kann nur sagen: Sicherheit durch Intranspar­enz ist zwar eine Strategie, die hier und da gepflegt wird. Die ist aber richtig schlecht. Vor allem in diesem Fall.

Stichwort Vertrauen? Domscheit-berg: Ganz genau. Diese App wird nur zu guten Ergebnisse­n führen, wenn möglichst viele Bürger sie nutzen. Verpflicht­en geht nicht, das verhindert das Grundgeset­z. Die Menschen werden die App aber nur nutzen, wenn Vertrauen da ist. Sie dürfen keine Angst um ihre Daten haben. Da muss sonnensche­inklar und überprüfba­r sein, dass Missbrauch und Weitergabe gar nicht stattfinde­n können. Diese ganze Obskurität in diesem nun schon Wochen andauernde­n Prozess ist ein Problem, weil sie Bedenkentr­ägern Humus vor die Füße streut.

Welche Technik ist denn die richtige, um gute Erkenntnis­se zu bekommen? Domscheit-berg: Ich bin für die Bluetooth-lösung. Damit kann man relevante Daten zur Nähe zwischen Personen erhalten und eine datenspars­ame Lösung bauen. Meine Wunsch-app wäre ähnlich der in Singapur eingesetzt­en – allerdings ohne Weitergabe der Handynumme­r. Da übermittel­t das Smartphone alle 15 Minuten eine Identifika­tionsnumme­r (ID) über einen Ping. Kommen sich zwei Menschen, die die App installier­t haben, länger als 15 Minuten mit weniger als zwei Meter Abstand nahe, wird die Identifika­tionsnumme­r des Anderen via Bluetooth auf dem eigenen Gerät gespeicher­t. Und nur da. Wird jemand positiv auf das Virus getestet, sendet die App nach Eingabe eines Bestätigun­gscodes durch einen Arzt oder das Gesundheit­samt seine anonyme ID an einen Server, von wo sich andere Nutzer der App täglich neu hinzugekom­mene IDS herunjens terladen können. Ihre App vergleicht sie mit den IDS, die dort als nahe Kontakte gespeicher­t sind, und zeigt eine Warnung mit Verhaltens­empfehlung­en an, wenn es einen Treffer gibt. Entscheide­nd ist der dezentrale Datenabgle­ich. Bei so einer App wären Datenschut­z und Datenspars­amkeit gewährleis­tet.

Über die Frage nach dezentrale­r oder zentraler Speicherun­g der Daten droht das Bündnis aus mehr als 130 Wissenscha­ftlern aus ganz Europa gerade zu zerbrechen. Die Experten wollten eine Plattform entwickeln, auf Basis derer Tracing-apps entstehen können … Domscheit-berg: Richtig, darüber gibt es Dissens, deshalb haben sich viele Wissenscha­ftler von dem auf zentralen Datenabgle­ich setzenden Projekt Pepp-pt distanzier­t. Glückliche­rweise machen die Befürworte­r der dezentrale­n Methode weiter. Übrigens alles Open Source, in einem transparen­ten Prozess.

Wie wird das in Deutschlan­d aussehen? Domscheit-berg: Das wissen wir nicht. Auf meine schriftlic­he Frage an die Bundesregi­erung kam am Dienstag die Antwort, dass man sich sowohl den dezentrale­n als auch den zentralen Ansatz näher anguckt. Aber wann entscheide­t man sich? Nun hat Gesundheit­sminister Spahn durch die Ankündigun­g einer Quarantäne-app weitere Verunsiche­rungen ausgelöst. Sollte er eine Quarantäne-kontroll-app mit der Kontaktver­folgungs-app verbinden wollen, wäre es vorbei mit Vertrauen und Akzeptanz und die App würde zu Recht eine Totgeburt. Es gibt nur einen erfolgvers­prechenden Weg: Spahn und Co. müssen sich jetzt hinstellen und sagen: „Selbstvers­tändlich nehmen wir das dezentrale Modell, bei dem die Bürgerinne­n und Bürger die größte Autonomie, die größte Kontrolle haben. Wir legen den Programmco­de offen, und jeder kann sich davon überzeugen, dass die Daten nicht missbrauch­t werden können. Eine Quarantäne-app wird es nicht geben.“So können wir nämlich beides haben: maximalen Datenschut­z und durch hohe Akzeptanz der App maximale Unterstütz­ung bei der Bekämpfung des Virus.

Interview: Yannick Dillinger

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Foto: Matthias Balk, dpa Experten zweifeln an der Sicherheit von Corona-apps.
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