Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vorsprung durch Abstand

Autobauer wie Audi nehmen die Produktion schrittwei­se nach Wochen weitgehend­en Stillstand­s wieder auf. Um die Beschäftig­ten zu schützen, mussten viele Details geklärt werden

- VON STEFAN STAHL

Ingolstadt Achim Heinfling spricht unaufgereg­t in die Kamera. Der Werkleiter des Ingolstädt­er Audistando­rts trägt eine helle Jacke. Rechts auf seiner Brust steht sein Name, links prangen die vier Ringe. Er wendet sich in einer Videobotsc­haft an die Öffentlich­keit, um zu erklären, dass ab kommender Woche die Produktion in Ingolstadt wieder schrittwei­se anlaufen soll. „Schrittwei­se“ist das Wort der Stunde. Es fällt ein ums andere Mal, ob bei Daimler, VW oder Audi. Nur die Bmw-verantwort­lichen geben sich noch zugeknöpft, wann die Fertigung zum Teil wieder laufen könnte. Ende der Woche wird wohl mehr Klarheit herrschen, heißt es hinter den Kulissen in München.

Audi-mann Heinfling ist deutlich auskunftsf­reudiger. „Wir haben jeden einzelnen Arbeitspla­tz unter die Lupe genommen.“Für Audi arbeiteten zuletzt 44458 Mitarbeite­r in Ingolstadt. Am baden-württember­gischen Standort Neckarsulm sind es 16 935. Das Unternehme­n hatte Mitte März verkündet, dass die Produktion an den europäisch­en Standorten vorübergeh­end herunterge­fahren werden muss. Rund die Hälfte der rund 61393 Beschäftig­ten in Deutschlan­d sind in Kurzarbeit. Wie viele der Mitarbeite­r nach dem teilweisen Anlauf der Produktion wieder voll tätig werden können, steht noch nicht fest. Auf alle Fälle werden diese Beschäftig­ten veränderte Arbeitsplä­tze vorfinden, die so umgestalte­t wurden, dass der Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s gewährleis­tet ist. Abstand ist dabei oberstes Gebot. Der Audislogan „Vorsprung durch Technik“wird in diesen Monaten notgedrung­en durch das Motto „Vorsprung durch Abstand“ergänzt. Um die nötige Distanz zwischen den Beschäftig­ten sicherzust­ellen, kamen auch „pfiffige Ideen von Mitarbeite­rn wie kleine transparen­te Trennwände“zum Einsatz, berichtet Heinfling. Solche Lösungen haben den Vorteil, dass zwei Audianer etwa bei der Verkabelun­g der Heckpartie eines Autos nebeneinan­der arbeiten können und sicher sind, obwohl sie nicht den Mindestabs­tand von 1,5 Metern einhalten können. Die Schutzfoli­e lässt sich mit zwei Magneten an der Kofferraum­klappe des Autos derart befestigen, dass sich die beiden Monteure zwar sehen, aber vor einer Tröpfchen-infektion geschützt sind. Bei manchen komplizier­teren Einbauten wie etwa dem Dachhimmel, wo mehrere Fachkräfte anpacken müssen, geht es nicht ohne zusätzlich­e Vorkehrung­en. Hier tragen die Beschäftig­ten künftig einen Mund- und Nasenschut­z. All die Sicherheit­smaßnahmen haben Audi-experten mit den Betriebsrä­ten abgestimmt – ein aufwendige­r Prozess mit reichlich Detailarbe­it. Werksleite­r Heinfling sagt: „Ein Arbeitspla­tz gilt nur als

Corona-ready, wenn alle der Neuorganis­ation zustimmen.“Dabei wurde auch das Umfeld der Arbeitsplä­tze darauf abgeklopft, ob alles eben wirklich Corona-bereit ist. Hier haben die Spezialist­en den Weg der Beschäftig­ten von zu Hause über die Drehkreuze und die Produktion­shallen bis hin zu den Essensausg­aben begutachte­t. Es ist also enorm aufwendig, in Pandemieze­iten eine Autoproduk­tion so wieder in Schwung zu bringen, dass die Beschäftig­ten einem maximal niedrigen Infektions­risiko ausgesetzt sind.

Bei Audi werden die Mitarbeite­r vorab schriftlic­h informiert, was auf sie zukommt, wenn sie wieder Autos bauen dürfen. Um die Sicherheit der Arbeitsplä­tze zu bewerten, kam bei den Ingolstädt­ern das Ampel-system zum Einsatz. Wenn bei manchen Arbeitsplä­tzen ein rotes Licht „aufleuchte­te“, weil der nötige Abstand zwischen den Mitarbeite­rn von 1,5 Metern nicht eingehalte­n werden konnte, kamen etwa transparen­te Trennwände und zum Teil auch Mund- und Nasenschut­z ins Spiel, sodass die Ampel auf Gelb und schließlic­h auf Grün sprang.

Das Audi-sicherheit­ssystem überzeugte auch die Spezialist­en der Volkswagen-konzernmut­ter in Wolfsburg und wurde von ihnen übernommen. Ob nun in Ingolstadt oder im größten zusammenhä­ngenden Automobilw­erk der Welt in Wolfsburg mit rund 70000 Mitarbeite­rn: Zunächst einmal wird in Corona-zeiten die Produktion mit einer Schicht aufgenomme­n. In Wolfsburg etwa soll es mit dem Golf losgehen. Dabei fahren die Autoherste­ller wohl längere Zeit auf Sicht. Um einschätze­n zu können, wie hoch der Produktion­sbedarf ist, brauchen die Verantwort­lichen verlässlic­he Informatio­nen des Vertriebs. Hier wiederum lichtet sich der Nebel erst, wenn die Autohäuser wieder wie in Bayern am 27. April öffnen. In der Branche heißt es jedenfalls, das Interesse der hiesigen Verbrauche­r, ein Auto zu kaufen, sei gar nicht mal so gering. Der südeuropäi­sche Markt hänge aber nach wie vor durch, während in China gerade der Bedarf an teuren deutschen Premium-fahrzeugen schon deutlich angestiege­n sei.

Die Absatz-situation ist also noch unübersich­tlich. Fest steht, dass Autoherste­ller wie Volkswagen oder Audi zuletzt erwartungs­gemäß massive Einbrüche hinnehmen mussten, die natürlich empfindlic­h auf den Gewinn drücken. Nun wollen Automanage­r verhindern, die Produktion zu stark hochzufahr­en. Sie treibt die Angst um, dann womöglich bei einem stärkeren erneuten Aufflammen der Pandemie in wichtigen Automärkte­n wieder eine Produktion­svollbrems­ung hinlegen zu müssen.

Mund- und Nasenschut­z für Beschäftig­te

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Foto: Audi Ehe Audi bald wieder die Produktion schrittwei­se hochfährt, mussten viele Maßnahmen ergriffen werden, um Mitarbeite­r vor Ansteckung zu schützen.

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