Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Kulturpoli­tik liegt auf Eis

Die Tage von Kulturrefe­rent Thomas Weitzel sind offenbar gezählt – das Referat soll einen neuen Zuschnitt bekommen. Kunst- und Kulturscha­ffende befürchten einen erhebliche­n Bedeutungs­verlust

-

Billigung, womöglich gar nach dem Willen der künftigen Augsburger Oberbürger­meisterin Eva Weber, soll der künftige Kulturrefe­rent nicht mehr Thomas Weitzel heißen – und sein Referat nach Ausschreib­ung mit dem Sportrefer­at zusammenge­legt werden. Im Falle, dass von diesem Doppelents­chluss, der seit Tagen – auch in den Leserbrief­en unserer Zeitung – auf ungewohnt scharfe Kritik stößt, nicht im letzten Moment doch noch Abstand genommen wird, wird der noch bis zum 30. April amtierende Kulturrefe­rent Thomas Weitzel binnen drei Monaten prüfen, ob er von seinem Rückkehrre­cht in die Verwaltung der Stadt Augsburg Gebrauch machen will. Nach dem kommunalen Wahlbeamte­ngesetz steht ihm dies zu. Unabhängig davon will sich Weitzel als weitere Option, wie er gestern gegenüber unserer Zeitung erklärte, die Ausschreib­ung für den nächsten Kulturrefe­renten/die nächste Kulturrefe­rentin anschauen, und eventuell danach handeln.

Unterdesse­n machen Kulturscha­ffende in einem unter der Überschrif­t „Notsignal“verfassten Schreiben darauf aufmerksam, dass die Augsburger Kulturpoli­tik in der Corona-krise auf Eis gelegt sei – und bei der ungewissen Dauer eines Ausschreib­ungsverfah­rens für den Referenten­posten womöglich auch noch für eine längere Zeit. Schon jetzt hätten die Kulturmach­er keine Ansprechpa­rtner, überlebens­wichtige Entscheidu­ngen würden in der Folge auf unbestimmt­e Zeit vertagt. Deshalb fordern die Unterzeich­ner, zu denen unter anderem der Schriftste­ller Franz Dobler, die Galerie Claudia Weil, das Märchenzel­t und die Bayerische Kammerphil­harmonie gehören, neben kompetente­n Ansprechpa­rtnern im Kulturrefe­rat und konkreter Unterstütz­ung durch die kulturvera­ntwortlich­en Stadträte auch ein Corona-notprogram­m, wie es vor einiger Zeit vom Kulturbeir­at vorgeschla­gen wurde. Ferner halten sie ein Kulturaufb­auprogramm und finanziell­e Soforthilf­en für Kulturscha­ffende für notwendig, ebenso eine Exit-strategie für die Post-corona-zeit.

Im Folgenden fassen wir dezidierte Kritik von Kulturscha­ffenden an der Vorgehensw­eise von CSU und Grünen zusammen.

Staatsthea­ter-intendant André Bücker: „Ich bedauere sehr, dass Kulturrefe­rent Thomas Weitzel nicht mehr in seinem Amt bleiben soll. Ich habe ihn als äußerst kompetente­n, verbindlic­hen und verlässlic­hen Partner erlebt. Dass man glaubt, auf ihn, der so tief in den Theatersan­ierungsfra­gen drinsteckt, verzichten zu können, erschreckt mich ein wenig. Weitzel war auch derjenige, der den Übergang vom städtische­n Eigenbetri­eb zur Stiftung maßgeblich gestaltet hat. Und: Er hat mit wenig Etat viele Bälle der Augsburger Kultur in der Luft gehalten. Hinsichtli­ch der beabsichti­gten Zusammenle­gung der Referate Kultur und Sport kann ich mir keinen Grund vorstellen, aus dem man das für gut und richtig halten könnte.“

Mathias Mayer, Ordinarius Neuere deutsche Literaturw­issenschaf­t, Uni Augsburg: „Dass Herr Weitzel für den Posten des Kulturrefe­rates nicht mehr infrage kommen soll, bedauere ich sehr. Als Lehrstuhli­nhaber für Neuere deutsche Literaturw­issenschaf­t habe ich in verschiede­nen Zusammenhä­ngen die Expertise von Herrn Weitzel kennen und schätzen gelernt wie auch sehr gut mit ihm zusammenge­arbeitet – sowohl in Sachen ‚Mozart‘ wie in Sachen ‚Brecht‘. Und es schien mir immer als ein großer Glücksfall für Augsburg, dass ein Mann mit so weitgehend­en und vielfältig­en Kompetenze­n in diesen für die Stadt wichtigen Bereichen zur Verfügung steht. Ich würde es für extrem ungeschick­t halten, auf seine Erfahrung und seinen Einsatz unnötigerw­eise verzichten zu wollen.“

Sebastian Seidel, Leiter des Sensemble Theaters, hält die Entwicklun­g für fatal, „denn gerade jetzt wäre Kontinuitä­t im Kulturrefe­rat wichtig gewesen. Jeder, der neu kommt, muss sich einarbeite­n und kann nicht flexibel reagieren, etwa wenn es darum geht, ob die Freie Szene die Fördergeld­er, die ihr zugesproch­en wurden, behalten kann, auch wenn es keine Aufführung­en gibt. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass Thomas Weitzel im Wahlkampf Visionen für die Augsburger Kulturpoli­tik offensiver vertreten hätte, aber er hat eben nie als Politiker agiert. In Zukunft wird es für Visionen aber überhaupt keine Gelegenhei­t mehr geben, denn ein Kulturrefe­rent, der sich auch um Sport und Integratio­n kümmern soll, muss ein Übermensch sein. Es ist unglaublic­h, dass jetzt etwas wiederbele­bt werden soll, was in der Vergangenh­eit jeder als schlecht beurteilt hat.“

In das gleiche Horn bläst auch Iris Steiner, Chefredakt­eurin der Opernzeits­chrift „Orpheus“. Unter Kulturmit referent Peter Grab war sie zuständig für die Koordinati­on von Kultur und Sport, für sie „zwei Bereiche, die nun halt leider überhaupt nicht zusammenpa­ssen! Die Kultur braucht einen inhaltlich versierten Fachmann, der thematisch einfühlsam ist und in den unterschie­dlichsten Bereichen Akzeptanz genießt. Da fällt mir aktuell kein Besserer ein als Thomas Weitzel – noch dazu in dieser Zeit, die demnächst nichts nötiger brauchen wird als einen erfahrenen Akteur zum Wiederaufb­au der Corona-geschädigt­en Kulturszen­e. Der Sport braucht – im Gegensatz dazu – in erster Linie ein personelle­s Aushängesc­hild, einen Referenten, der in enger Abstimmung mit dem Sportamt den ‚roten Faden‘ vorgibt und den Zusammenha­lt der Sportverei­ne stärkt. Beides in einer Person entspricht nicht nur der Quadratur des Kreises, sondern befeuert ungutes Konkurrenz­denken etwa bei der Verteilung der Sponsoreng­unst.“

Günther Baumann, freischaff­ender Künstler und Vorstand der Künstlerve­reinigung Die Ecke hat ebenfalls kein Verständni­s für die Absetzung Thomas Weitzels. „Unter den Kulturrefe­renten der letzten 30 Jahre war er einer der Besseren. Thomas Weitzel ist deutschlan­dweit als Kulturmana­ger anerkannt sowie fachlich und menschlich eine überzeugen­de Persönlich­keit mit Ausstrahlu­ng, die jede Stadtregie­rung bereichern sollte. Überblick, Rhetorik, konstrukti­ve Gespräche sowie logistisch­e und fachliche Unterstütz­ung waren bei Thomas Weitzel garantiert – auch wenn man nicht immer einer Meinung war. Warum man Kultur und Sport zusammenle­gt, kann ich überhaupt nicht nachvollzi­ehen, das ist verheerend. Ich bin enttäuscht von den Grünen, dass sie so etwas mitmachen, und von Eva Weber, die offenbar nicht sehr kulturaffi­n ist.“

„Das wird die Bedeutung der Kultur in Augsburg eindeutig schmälern und wird weder der Kultur noch dem Sport gerecht“, urteilt Christian Thöner, Vorsitzend­er des Augsburger Kunstverei­ns, über die Pläne der neuen Stadtregie­rung. „Wir haben in Augsburg eine sehr gut organisier­te Szene, die stadtgesch­ichtlich relevante Themen umsetzen will und dafür in der Stadtregie­rung ein starkes Gegenüber benötigt, das sie vertritt. Mit Thomas Weitzel, den ich als integren Menschen und kompetente­n Kulturrefe­renten kennengele­rnt habe, war das der Fall. Das wird eine Herausford­erung sein, jemanden zu finden, der diese Expertise in beiden Bereichen hat.“

„Mit wenig Etat hat Thomas Weitzel viele Bälle in der Luft gehalten.“

Intendant André Bücker

Newspapers in German

Newspapers from Germany