Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Messerattacke auf Vater: Sohn bleibt in der Psychiatrie
Ein 22-Jähriger wird zwar zu einer Haftstrafe verurteilt. Er wird aber weiter in einer Klinik untergebracht
Der 22-Jährige ist seit Jahren in psychiatrischer Behandlung. Er bildet sich wahnhaft ein, sein Gesicht sei entstellt, er leidet unter einem Waschzwang, zeigt mal ein autistisches, dann wieder ein aggressives Verhalten. Die Diagnosen der Ärzte sind nicht eindeutig, teilweise offenbar sogar falsch. Die Eltern sind überfordert. Im August 2019 kommt es zu einem Streit zwischen Vater und Sohn, weil dieser bei einer Autoreparatur nicht mitgeholfen hat. Und weil der Vater ihm ausreden will, dass sein Gesicht entstellt sei. Der 22-Jährige fühlt sich provoziert und beschimpft, greift zu einem Küchenmesser und sticht achtmal wuchtig auf seinen Vater ein.
Der 56-Jährige kann sich zum Glück wegdrehen, sodass die Stiche in Oberarm und Rücken keine lebensgefährlichen Folgen haben.
Wie ist diese Bluttat zu beurteilen? Die 1. Strafkammer beim Landgericht unter Vorsitz von Christian Grimmeisen hat den jungen Mann nach zweitägigem Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall zu einer Strafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Diese Zeit muss der 22-Jährige aber nicht im Gefängnis absitzen. Das Gericht ordnete gleichzeitig eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an, um die Krankheit medikamentös in den Griff zu bekommen und dem jungen Mann zukünftig ein Leben in Freiheit zu ermöglichen.
Nach der Messerattacke war der 22-Jährige in Untersuchungshaft genommen worden. Weil er im Gefängnis ein auffälliges Verhalten zeigte, wurde er schließlich ins Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren eingewiesen. Der vom Gericht beauftragte forensische Psychiater Oliver
Kistner untersuchte den jungen Mann ausführlich und kam zu der Diagnose einer schizophrenen Psychose mit Zwangserkrankungen und wahnhaften Ideen. Mithilfe eines relativ neuartigen Medikaments hätten die Ärzte die Krankheit inzwischen gut in den Griff bekommen, sagte Kistner in seinem Gutachten am zweiten Prozesstag. Der Angeklagte müsse aber dieses Medikament wohl über lange Zeit hinweg, möglicherweise sogar sein ganzes Leben lang einnehmen, um die Wiederholungsgefahr einer erneuten schweren Straftat zu bannen.
Welche Auswirkungen eine regelmäßige Einnahme habe, zeigten Untersuchungen in derartigen Fällen: Ohne Medikamente führe Schizophrenie fünfmal häufiger zu Straftaten wie Körperverletzungen und Tötungen als bei gesunden Straftätern. Bei Kranken wiederum, die medikamentös behandelt werden, sei die Rate dagegen sogar unterdurchschnittlich. Der Angeklagte habe deshalb „im Gefängnis nichts zu suchen, weil er krank ist“. Er müsse vielmehr weiterhin in der Psychiatrie behandelt und sanft auf ein künftiges Leben in Freiheit vorbereitet werden. Dem Angeklagten billige der Sachverständige „erhebliche verminderte Steuerungsfähigkeit“bei der Tat zu. Eine Schuldunfähigkeit verneinte der Gutachter dagegen, da der 22-Jährige Einsicht in seine Handlung gezeigt habe.
Staatsanwalt Konstantin Huber wertete die Messerstiche als „minderschweren Fall“, der Angeklagte habe sich subjektiv provoziert gefühlt. Die Tat habe sich zudem innerhalb der Familie abgespielt, das Opfer, der Vater, habe kein Interesse an einer Bestrafung seines Sohnes. Er hielt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten für angemessen bei gleichzeitiger Anordnung
der Unterbringung in der Psychiatrie. Udo Reissner, der Rechtsanwalt des Vaters, sagte, sein Mandant fühle sich aufgrund seines Verhaltens auch verantwortlich für die Tat. Er wünsche sich eine gemeinsame Zukunft der Familie in absehbarer Zeit. Verteidiger Florian Engert sprach die schwierige Situation in der Familie an, die mit der Krankheit des Sohnes nicht habe umgehen können. Er plädierte auf zwei Jahre Haft mit Klinik-unterbringung.
Die 1. Strafkammer fand im Urteil einen Mittelweg bei der Strafhöhe, die allerdings wegen der Unterbringung in der Psychiatrie keine allzu entscheidende Rolle spielen wird. Richter Christian Grimmeisen bedeutete dem Angeklagten, dass er bei einer erfolgreichen Behandlung die Perspektive einer baldigen Entlassung habe. Das Urteil wurde sofort rechtskräftig.