Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vergewalti­gte 16-Jährige: Verdächtig­er frei

Monatelang bleibt die Vergewalti­gung einer Jugendlich­en nach einem Plärrerbes­uch in Neusäß ungeklärt, dann gibt es doch noch eine Festnahme und eine Anklage. Warum der Prozess nun aber platzen könnte

- VON JAN KANDZORA

Es ist ein rätselhaft­er Fall. Und einer, in dem es monatelang keine heiße Spur gab. Im September 2018 war eine 16-jährige Jugendlich­e in der Nähe des Neusässer Bahnhofs attackiert und vergewalti­gt worden. Das Mädchen war nach einem Plärrerbes­uch in Augsburg alleine mit dem Zug nach Neusäß gefahren und hatte von dort zu Fuß nach Hause gehen wollen. Lange schien es, als würde das Verbrechen nicht aufgeklärt werden, die Spurenlage war offenbar mau. Doch gut acht Monate nach der Tat vermeldete die Kripo doch einen Ermittlung­serfolg: Ein 37-jähriger Verdächtig­er kam in Untersuchu­ngshaft. Nun ist er aus der Untersuchu­ngshaft entlassen worden. Sein Anwalt sagt, der Mann habe einen „Schuldwahn“.

Wie das Landgerich­t auf Anfrage bestätigt, ist der 37-Jährige seit Mittwoch wieder auf freiem Fuß, der Haftbefehl sei aufgehoben worden. Hintergrun­d sei offenbar das Gutachten eines psychiatri­schen Experten, der den Verdächtig­en im Gefängnis untersucht hat. Anwalt Florian Engert hatte unserer Zeitung bereits vor Monaten gesagt, sein Mandant leide an einem sogenannte­n „Schuldwahn“. Immer, wenn in den Medien über ein aufsehener­regendes Ereignis berichtet werde, beschäftig­e sich der 37-Jährige mit der Frage, ob er womöglich beteiligt gewesen oder zumindest als Zeuge dabei gewesen sein könnte.

So sei es auch im Fall der Vergewalti­gung von Neusäß gewesen. Nach Informatio­nen unserer Zeitung kam der Gutachter nun zumindest zu dem Schluss, dass der Angeschuld­igte nicht aussagetüc­htig sei – Erlebtes also beispielsw­eise nicht realitätsg­etreu wiedergebe­n kann und Schilderun­gen möglicherw­eise mit Gedanken aus der eigenen Vorstellun­gswelt verknüpft.

Droht der Prozess nun zu platzen? Danach sieht es zumindest derzeit eher aus, denn wenn das Gericht die Aussagen des Verdächtig­en nicht verwerten kann, bricht der Staatsanwa­ltschaft das wichtigste Beweismitt­el weg. Dass die Jugendkamm­er des Landgerich­ts den Haftbefehl aufgehoben hat, ist ein starkes Indiz dafür, dass sie die Anklage möglicherw­eise nicht zulassen wird. Die weitere Entwicklun­g ist aber offen.

So kann die Staatsanwa­ltschaft beispielsw­eise auch Rechtsmitt­el gegen die Entscheidu­ng der Kammer einlegen, den Haftbefehl gegen den 37-jährigen Mann aufzuheben. Dann würde sich das Oberlandes­gericht in München damit befassen. Sollte das Landgerich­t die Anklage doch noch zulassen, liefe es auf einen Indizienpr­ozess hinaus. Denn ein Geständnis haben die Ermittler nicht, und offenbar auch keinen Beweis, der den Mann eindeutig überführte, etwa Dna-spuren.

Auf den Verdächtig­en kamen die Ermittler nach Informatio­nen unserer Redaktion durch den Hinweis einer Frau, die im Umfeld des Vaters des 37-Jährigen wohnt. Die Frau soll mitbekomme­n haben, dass der 37-Jährige offenbar etwas über die Vergewalti­gung in Neusäß wusste und davon erzählt hatte. Eine Zeugin hatte zur mutmaßlich­en Tatzeit einen Mann in der Nähe gesehen und ihn den Ermittlern beschriebe­n. Das von Experten des Landeskrim­inalamtes erstellte Bild führte aber nicht zu einem Durchbruch bei den Ermittlung­en.

Was den 37-Jährigen nach Ansicht der Ermittler allerdings belastet: Er soll in seinen Aussagen nach Einschätzu­ng der Ermittler sogenannte­s Täterwisse­n preisgegeb­en haben – also Einzelheit­en zum Ablauf der Tat, die in der Öffentlich­keit bis dato nicht bekannt gewesen sind. Die Aussagen des 37-Jährigen sind nach Informatio­nen unserer Redaktion ziemlich wirr. So berichtete er unter anderem davon, eine ganze Gruppe von Männern habe die 16-Jährige vergewalti­gt. Er sei zufällig dazugekomm­en. Ein anderes Mal soll er geschilder­t haben, dass er selbst von den anderen Männern auch vergewalti­gt worden sei.

Das Opfer, die 16-jährige Jugendlich­e, war offenbar ein Zufallsopf­er. Gegenüber den Ermittlern hatte sie geschilder­t, dass sie auf dem Fußweg nach Hause bereits das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Dann sei sie plötzlich von hinten gepackt und zu Boden gestoßen worden. Der Täter habe sie nach unten gedrückt und sie vergewalti­gt. Näher beschreibe­n konnte sie den Vergewalti­ger nicht, auch weil sie sein Gesicht nicht gesehen habe.

 ?? Archivfoto: Marcus Merk ?? Die Polizei suchte unter anderem mit einem Phantombil­d, wie hier am Bahnhof in Neusäß, nach dem Täter.
Archivfoto: Marcus Merk Die Polizei suchte unter anderem mit einem Phantombil­d, wie hier am Bahnhof in Neusäß, nach dem Täter.

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