Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine Glocke aus Kanonenhül­sen

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Alois Sailer, Lauterbach, Gemeinde Buttenwies­en

Damals, im Frühjahr 1945, gehörte uns Lauterbach­er Buben noch die ganze Flur um das Dorf. Wir Kinder hatten in diesen Kriegsjahr­en – und auch noch danach – kaum echte Spielzeuge. Das Wenige, das uns damals das Christkind brachte, hat es nach Dreikönig wieder in den Himmel zurückgeho­lt, um es, neu gestrichen, am nächsten Heiligen Abend wieder zu bringen. Deshalb begnügten wir Buben uns mit jenen Haselnusss­tecken, die in den Gartenheck­en alljährlic­h nachgewach­sen sind. Sie waren, an den unteren Bandstange­n des Gartenzaun­s angelehnt, unsere Pferde, Milchkühe und Kälber. Wie selbstvers­tändlich, Ausdruck eines bäuerliche­n Denkens!

Der Krieg im Jahre 1944 war nach den damaligen Wehrmachts­berichten immer noch weit draußen, in einer unbekannte­n Ferne. Doch auf einmal war dieses unangenehm­e Fremde plötzlich unter und über uns. Ich denke da an jene unheiligen „Christbäum­e“über dem nächtliche­n Wald, die Augsburg für jene unheimlich­en Bomber erhellen sollten. Fremd waren auch jene Silberfäde­n auf den Haselnusss­tauden, die auch um Weihnachte­n keine Christbäum­e sein wollten. Draußen, in der Nähe des Pfarrwalde­s, war auch jenes flache Loch und die vielen verstreute­n Metallfetz­en. Sie sind die Überbleibs­el eines abgestürzt­en Flugzeugs gewesen. Der Mann, der in diesem Flieger saß, wird wohl abgesprung­en sein.

Diese verstreute­n Metallteil­e waren zackig und daher nicht zum

Spielen geeignet. Ähnlich gezackt wie vom zerschellt­en Flugzeug waren im Frühjahr 1945 auch jene Teile einer gesprengte­n Flak östlich über unserem Dorf. Sie sollte, so sagte damals der auf unsrem Hof einquartie­rte Flak-soldat, jene Feinde treffen, die in der zweiten Aprilhälft­e schon nördlich der Donau waren. Die anderen zwei Geschütze am selben Waldrand, die wohl erste Vorboten einer geplanten „Alpenfestu­ng“waren, wurden frühzeitig wieder abgezogen.

Wie echtes Gold glänzten die flachen Messinglam­ellen, die ich in der Nähe des Sprengplat­zes aufgelesen habe. Ein willkommen­es Spielzeug, denn ich konnte diese Lamellen, im Spalt der Tischschub­lade, die als eine Art Resonanzra­um diente, einklemmen und als Instrument nutzen. Richtig gezupft konnte ich mit einigem Großmut das Männlein im Walde spielen. Ganz andere Töne gaben die leeren Kanonenhül­sen, die in den Wäldern umherlagen. Ihre Länge reichte mir Neunjährig­em fast an die Hüfte. Mit einer Eisenschra­ube als Klöppel, der im Inneren der Hülse mit einem Draht befestigt wurde, konnte ich sie, hoch auf dem Wasserbirn­baum, mit zusammenge­bundenen Garbenstri­cken als Glocke benutzen, um in den Sommertage­n 1945 die gefräßigen Stare zu vertreiben.

Doch es war nur ein kleiner Krieg zwischen mir und den Staren. Den großen Krieg, der sich auch lange nach seinem Zusammenbr­uch immer noch in den Wäldern versteckt hielt, habe ich damals als ein großes fremdes Spiel erfahren.

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