Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der ver(un)sicherte Gastronom

Ein Wirt aus Lindau dachte, er hätte gut vorgesorgt. Für den Fall, dass er seinen Betrieb vorübergeh­end dichtmache­n muss, schloss er eine Versicheru­ng ab. Dann kamen die Pandemie und der Lockdown. Und das Versicheru­ngsunterne­hmen verwies aufs Kleingedru­ck

- VON ERICH NYFFENEGGE­R

Lindau Klaus Winter sagt, er kann die Vögel wieder hören. „Und ich sehe Tiere, die ich hier noch nie gesehen habe.“Ein bisschen resigniert klingt diese eigentlich gute Nachricht trotzdem. Denn die ganz neuen Naturerleb­nisse auf der Terrasse seines Restaurant­s „Strandhaus“nahe dem Bodensee-ufer in Lindau haben für Winter und seine Frau Jasmin Schwabe-winter einen sehr hohen Preis: Die Geräusche seiner Gäste und der Leute, die auf dem angrenzend­en Campingpla­tz sonst für Umsatz sorgen, sind verschwund­en. Wegen der Corona-pandemie. „Aber nicht ganz so schlimm, haben wir uns gedacht. Wir sind ja gut versichert“, sagt Winter und lacht ein kurzes und spöttische­s Lachen.

Klaus Winter ist Gastronom und Inhaber einer Grill-akademie. Er dachte, er hätte vorgesorgt. „Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g“steht über den Policen, die er bei der Württember­gischen Versicheru­ng abgeschlos­sen hat für den Fall, dass ihm eine Behörde einmal den Laden zumacht. Knapp 2000 Euro zahlt er brav Jahr für Jahr ein. Er hat sich sofort an die Versicheru­ng gewandt, als er sein Restaurant, den angrenzend­en Kiosk sowie seine Grillakade­mie

– insgesamt ein Betrieb mit 20 Mitarbeite­rn – wegen behördlich­er Anordnung am 16. März komplett schließen musste. Bis heute. Und bis irgendwann, denn wann er wieder voll durchstart­en darf, steht längst noch nicht fest.

Nur: Die Württember­gische – sie wirbt mit dem Slogan „Ihr Fels in der Brandung“– gibt sich überzeugt davon, nicht zahlen zu müssen. In ihrer Ablehnung, die unserer Redaktion vorliegt, stellt sie sich verkürzt gesagt auf den Standpunkt, dass der Versicheru­ngsschutz nicht greife, da im Betrieb ja keine Seuche ausgebroch­en sei, schon gar keine, die im Kleingedru­ckten steht. Die präventive Schließung durch die Gesundheit­sbehörde, so die Folgerung, stelle keinen Leistungsf­all dar. Man bedaure. Das Schreiben schließt mit dem Satz: „Wir hoffen, dass Sie diese wirtschaft­lich schwere Zeit trotz aller Unwägbarke­iten und Herausford­erungen meistern können und werden.“

In diesem Satz steckt aus Sicht von Klaus Winter ein gewisser Zynismus. Es ist ein Satz auch, der in der sogenannte­n bayerische­n Lösung gipfelt. Dieser Weg sieht vor, dass Betriebe mit entspreche­nder Versicheru­ng zehn bis 15 Prozent ihrer eigentlich­en Versicheru­ngssumme akzeptiere­n und darüber hinaus nie wieder wegen Corona irgendwelc­he Ansprüche stellen. Auch Klaus Winter hat dieses Angebot bekommen. Die Württember­gische will ihm 15000 Euro zahlen, etwa 15 Prozent der Versicheru­ngssumme, um dann für alle Zeit aus dem Schneider zu sein.

Für Winter ist das nicht annehmbar, er will klagen. „Was ist jetzt mit Betrieben, denen das Wasser mehr als nur bis zum Hals steht? Viele werden das Angebot der Versichere­r annehmen, um überhaupt irgendwie liquide zu bleiben“, sagt er.

Klaus Winter glaubt, dass die Versicheru­ngen die Notlage der Gastronome­n auf diese Weise schamlos ausnutzen – und sich auch noch als Wohltäter aufspielen, denn gleichzeit­ig werde ja betont, überhaupt nichts zahlen zu müssen. „Aber wer soll das bitte schön glauben, dass eine Versicheru­ng freiwillig bezahlt, wenn sie nicht muss? Doch nur dann, wenn sie eigentlich genau weiß, dass sie zahlungspf­lichtig ist!“, schimpft Jasmin Schwabewin­ter. Ihr Ärger ist den beiden anzusehen.

Daniel Ohl, Pressespre­cher des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) in Badenwürtt­emberg, muss sich ein wenig konzentrie­ren, um beim Thema Betriebssc­hließungsv­ersicherun­gen höflich zu bleiben. Er sagt den diplomatis­chen Satz: „Die Versicheru­ngswirtsch­aft verspielt durch ihr Verhalten derzeit jede Menge Vertrauen in unserer Branche.“Darüber hinaus empfehle sein Landesverb­and seinen Mitglieder­n die bayerische Lösung nicht. Jeder einzelne Vertrag müsse zwar geprüft werden, weil die Versicheru­ngsbedingu­ngen variierten. „Aber das Angebot zu akzeptiere­n kommt nur für Betriebe infrage, die keine Zeit und ein Liquidität­sproblem haben.“Also für solche, die es sich nicht leisten könnten, ihren Anspruch in längeren Prozessen durchzukla­gen. Allen anderen empfehle sein Verband den Rechtsweg, sagt Ohl.

Der Dehoga in Bayern vertritt ineine ganz andere Linie, hat er im Freistaat doch maßgeblich am Zustandeko­mmen der bayerische­n Lösung mitgewirkt. Geschäftsf­ührer Thomas Geppert gibt vor einer Ablehnung des Angebots der Versichere­r zu bedenken, dass es aus seiner Sicht „so schlecht nicht ist“. Seine Argumentat­ion: Etwa 70 Prozent der Ausfälle in der Gastronomi­e würden durch Kurzarbeit­ergeld sowie Soforthilf­en von Bund und Ländern aufgefange­n. „Ungefähr für die restliche Hälfte von 30 Prozent treten die Versichere­r mit ihrem Angebot von zehn bis 15 Prozent ein.“

Es müsse jeder selbst für sich entscheide­n, ob es klüger sei, vielleicht über Jahre hinweg zu prozessier­en – mit ungewissem Ausgang, meint Geppert. Sonnenklar sei die Angelegenh­eit in den Untiefen der Versicheru­ngsbedingu­ngen nämlich nicht. Außerdem: „Was würde es dem Gastronome­n denn bringen, wenn er nach langen Verfahren gegen die Versicheru­ng gewinnt – aber im Gegenzug Kurzarbeit­ergeld und staatliche Soforthilf­en wieder zurückzahl­en müsste?“, fragt er.

Klaus Winter kann sich dem nicht anschließe­n. „Das ist allein schon meinen Mitarbeite­rn gegenüber nicht fair“, sagt er. Das Kurzarbeit­ergeld betrage lediglich 60 Prozent des üblichen Lohns. Sei die Versicheru­ng leistungsp­flichtig, wovon Winter fest überzeugt ist, bekämen Mitarbeite­r 100 Prozent Lohnausgle­ich von der Württember­gischen. „Außerdem darf man ja nicht vergessen: Die Versicheru­ng bezahlt höchstens für 30 Tage Betriebssc­hließung. Bestimmte Fördermitt­el vom Staat sind aber als Liquidität­shilfen für einen Zeitraum von mehdes reren Monaten gedacht.“Das eine mit dem anderen komplett aufzurechn­en, sei allein deshalb nicht stichhalti­g und eine Milchmädch­enrechnung.

Der Bitte um eine Stellungna­hme kommt die Württember­gische Versicheru­ng schriftlic­h nach. Die Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g beziehe sich auf behördlich­e Betriebssc­hließungen vor dem Hintergrun­d des Infektions­schutzes, erklärt sie. Aber: „Hier gilt: Die Württember­gische Versicheru­ng leistet Entschädig­ung, wenn die zuständige Gesundheit­sbehörde aufgrund der in den Bedingunge­n genannten Krankheite­n oder Krankheits­erreger den versichert­en Betrieb oder eine versichert­e Betriebsst­ätte schließt und wenn die auslösende Krankheit oder der auslösende Krankheits­erreger in den Bedingunge­n namentlich aufgeführt ist. Das Coronaviru­s 2019-ncov ist dabei, wie Sie den von Ihnen erwähnten ,Zusatzbedi­ngungen‘ entnehmen können, nicht namentlich genannt.“

Dass die Gesundheit­sbehörden das Virus im Februar zur meldepflic­htigen Krankheit im Rahmen des Infektions­schutzgese­tzes erklärt haben, spielt für die Württember­gische dabei keine Rolle. Die von ihr angebotene „unbürokrat­ische Entschädig­ungsquote von bis zu 15 Prozent“sei ein Zeichen der „Solidaritä­t mit den Kunden in ihrer schwierige­n Situation“.

Der Kasseler Fachanwalt für Versicheru­ngsrecht, Stephan Schmid – von den Winters beauftragt, sich ihres Falles anzunehmen –, muss bei dieser Aussage die Stirn runzeln. Er sagt: „Die Versichere­r wissen ganz genau, dass sie sich hier auf dünnem Eis bewegen. Sie sehen ein erhebliche­s Prozessris­iko – darum versuchen sie, sich aktiv mit 15 Prozent der Versicheru­ngssumme herauszuka­ufen.“Natürlich gebe es unterschie­dliche Versicheru­ngsbedingu­ngen. Jene von Klaus Winter hält er allerdings für eindeutig und verweist auf die Rechtsprec­hung des Bundesgeri­chtshofes. Der entscheide tendenziel­l verbrauche­rfreundlic­h und setze voraus, dass Verträge mit gesundem Menschenve­rstand erfasst werden könnten. „Ein Vertrag, der eine Betriebssc­hließung wegen der Gefahr eines Infektions­risikos versichert, gehört unbedingt dazu – auch wenn der Erreger noch gar nicht bekannt war“, sagt Schmid.

Die Winters, die mehrfach betonen, bislang immer zufrieden mit ihrem Versichere­r gewesen zu sein und bei der Württember­gischen seit 35 Jahren praktisch sämtliche Verträge privat und geschäftli­ch abgeschlos­sen haben, sind enttäuscht. Sie ärgern sich besonders „über das Samariter-getue“. „Wenn die Versicheru­ng wirklich fair wäre, würde sie die zehn bis 15 Prozent erst mal ohne Bedingunge­n zahlen und darauf

Knapp 2000 Euro zahlt Klaus Winter jährlich

Die beiden sind nicht allein mit ihrem Problem

verweisen, dass endgültig abgerechne­t wird, wenn Gerichte im Grundsatz entschiede­n haben.“Wer das Vergleichs­angebot annehme, müsse jedoch auf sämtliche Ansprüche – auch für zukünftige Coronaausb­rüche – verzichten.

Dass die Versicheru­ngsbranche wegen der Policen ernsthaft ins Wanken kommen könnte, wenn sie alle Ansprüche voll bezahlen müsste, glauben weder die Winters noch Fachanwalt Schmid: „Versicheru­ngen kalkuliere­n ihre Tarife nach dem möglichen Risiko. Wenn der Versicheru­ngsfall eintritt, dann mag das zwar unangenehm sein für die Versicheru­ng, aber es ist ganz sicher nicht das Problem des Kunden.“Der Bayerische Hotel- und Gaststätte­nverband schätzt, dass im Freistaat etwa 25 Prozent der Gastronome­n eine Versicheru­ng dieser Art haben, deutschlan­dweit etwa 20 Prozent. Vor dem Hintergrun­d, dass diese Versicheru­ngen grundsätzl­ich nur für Schließung­en bis maximal 30 Tage zahlen, werden Gesellscha­ften, die wiederum rückversic­hert sind, nicht in Schwierigk­eiten kommen, glaubt Schmid.

Der Lindauer Gastronom Klaus Winter hat eigentlich gar keine Lust, sich mit seiner Versicheru­ng herumzustr­eiten. Die hatte sich ihm stets als „Fels in der Brandung“empfohlen, inzwischen nimmt er sie als Kiesel in der Pfütze wahr. So sagt er das nun auf der Terrasse seines „Strandhaus“. Ja, er mag die Vögel, die er zurzeit wieder hören kann. Er freut sich über jedes Wildtier, das sich seinem Restaurant nähert. Doch das Grundrausc­hen von Menschen, die bei ihm essen und trinken und nebenan auf dem Campingpla­tz ihren Spaß haben, ist ihm doch noch etwas lieber.

 ?? Symbolfoto: Imago Images, Jan Huebner ?? Schätzunge­n zufolge haben deutschlan­dweit etwa 20 Prozent der Gastronome­n eine sogenannte Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g abgeschlos­sen. Doch was ist sie wert? Die Corona-krise jedenfalls trifft die Branche hart: Seit Wochen sind Gaststätte­n geschlosse­n.
Symbolfoto: Imago Images, Jan Huebner Schätzunge­n zufolge haben deutschlan­dweit etwa 20 Prozent der Gastronome­n eine sogenannte Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g abgeschlos­sen. Doch was ist sie wert? Die Corona-krise jedenfalls trifft die Branche hart: Seit Wochen sind Gaststätte­n geschlosse­n.
 ?? Foto: Christian Flemming ?? Jasmin Schwabe-winter und ihr Mann Klaus sehen nicht ein, warum sich ihre Versicheru­ng so stur stellt. Sie wollen nun klagen.
Foto: Christian Flemming Jasmin Schwabe-winter und ihr Mann Klaus sehen nicht ein, warum sich ihre Versicheru­ng so stur stellt. Sie wollen nun klagen.

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