Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So nah und doch so fern

Bayerisch Gmain und Großgmain sind eng verbunden. Sie teilen sich einen Sportplatz, haben gemeinsame Vereine. Corona macht das zum Problem. Denn ein Ort liegt auf deutscher, der andere auf österreich­ischer Seite

- VON LEA BINZER

Bayerisch Gmain/großgmain Es ist kalt. Die Berge sind von tief hängenden, grauen Wolken verhüllt. Leichter Nieselrege­n setzt ein. Auf der Brücke, die die beiden Orte Bayerisch Gmain und Großgmain über den Weißbach hinweg verbindet, stehen trotzdem zwei Männer, sie halten ein Pläuschche­n. Der eine lehnt rauchend am metallenen Brückengel­änder, der andere steht etwa zwei Meter schräg gegenüber an einem Holzgeländ­er. Die kleine Männerrund­e, sie ist sich so nah und doch so fern.

Denn für fast alle Bayerisch Gmainer und Großgmaine­r ist der Treffpunkt an der Brücke momentan die einzige Möglichkei­t, persönlich­en Kontakt zu halten. Selbst wenn sie wollten, könnten sie nicht näher zueinander kommen. Denn mitten auf der Brücke befinden sich drei aneinander­gereihte und mit blauen Plastikpla­nen verhangene Bauzäune, die mit Metallring­en am Brückengel­änder befestigt sind. Sie machen ein Übertreten oder Überfahren unmöglich. Der Grund: Bayerisch Gmain liegt auf deutschem, Großgmain auf österreich­ischem Boden. Und wegen des Coronaviru­s sind die Grenzen seit Mitte März dicht - nicht nur zwischen Bayern und Österreich, sondern auch die Übergänge zur Schweiz, nach Polen, Frankreich und zu anderen Nachbarn sind geschlosse­n. Nur an bestimmten Stellen sind Grenzübert­ritte mit triftigem Grund unter strengen Kontrolmög­lich. Erst Mitte Juni werden die Grenzen wieder geöffnet für die 26 Länder mit ihren mehr als 400 Millionen Einwohnern, die zum Schengen-raum gehören. Nach Angaben der Eu-kommission gibt es jedes Jahr etwa 1,25 Milliarden Reisen über die Grenzen innerhalb dieser Region. Das grenzenlos­e Europa – es ist in Quarantäne geschickt worden. Die Entscheidu­ng fiel den politisch Verantwort­lichen nicht leicht. Viele Menschen zeigten in den ersten Tagen Verständni­s für die neuen, harten Regeln, dann bröckelte der Rückhalt, die Belastung fraß die Zustimmung nach und nach auf. Denn anders als Urlauber erleben Bewohner des Grenzgebie­tes die Nachteile der geschlosse­nen Schranken täglich.

Gerade für Berufspend­ler oder Schüler, die es gewohnt sind, mit dem Fahrrad schnell zur Arbeit oder in die Schule über die Brücke fahren zu können, seien die vergangene­n Wochen schwierig gewesen, erklärt Großgmains Bürgermeis­ter Sebastian Schönbuchn­er am Telefon. „Viele Schüler aus Großgmain gehen in Bad Reichenhal­l zur Schule und umgekehrt bayerische Schüler in Österreich.“Doch plötzlich hieß es vor allem für Pendler, statt eines kurzen und raschen Wegs von teilweise nur fünf Minuten einen 20- bis 30-minütigen Umweg zu machen über den 15 Kilometer entfernten Walserberg, der nächstmögl­ichen Stelle für einen Grenzübert­ritt.

Über gute Kontakte zur Salzburger Landesregi­erung hat Schönbuchn­er es vergangene Woche dann nach langem Hin und Her geschafft, dass die Grenze zwischen den beiden Gemeinden seit dem gestrigen Mittwoch wieder passierbar ist. Allerdings auch nur mit triftigem Grund, Passiersch­ein und Grenzkontr­ollen sowie ausschließ­lich für Bayerisch Gmainer und Großgmaine­r zwischen 6 bis 20 Uhr. Alle anderen müssen weiter den Umweg nehmen. Zumindest die Unsicherhe­it ist also beseitigt. Denn sie war es, die für viele Grenzgänge­r am belastends­ten war.

Mittlerwei­le hat der Nieselrege­n aufgehört und die Sonne lässt sich sogar kurz blicken. Die beiden Männer an der Bauzaun-grenze sind verschwund­en. Statt ihrer stehen nun zwei Frauen an derselben Stelle. Sie scheinen sich zu einer grenzüberg­reifenden Warenüberg­abe auf der Brücke verabredet zu haben. Die Frau auf der bayerische­n Seite reicht der anderen auf österreich­ischem Boden vorbei am Bauzaun eine Art Katzenkorb. Auf Nachfrage erklären sie, was es damit auf sich hat. „Im Korb befindet sich Katzenwelp­en-aufzuchtsm­ilch. Wir ziehen damit Eichhörnch­en groß“, sagt die Überbringe­rin Julia Weindl auf bayerische­r Seite. Für die Übergabe kam sie extra aus Schönau am Königssee angefahren. „Bei der normalerwe­ise aus China gelieferte­n Milch gibt es momentan Lieferschw­ierigkeite­n. Jetzt müssen wir uns so belen helfen“, fügt sie hinzu. Denn: „Tierschutz kennt keine Grenzen.“

Carmen Haslinger, die auf österreich­ischer Seite den Korb entgegenge­nommen hat, hat zur geschlosse­nen Grenze zwischen den beiden Gemeinden eine klare Meinung: „Das ist sinnlos, kompletter Schwachsin­n und eine Frechheit. Deutschlan­d und Österreich haben dieselben medizinisc­hen Standards und die Fallzahlen sind hier in beiden Gebieten relativ gering.“Auch von der Lösung, dass die Grenze nun zumindest für bestimmte Gruppen mit Kontrollen wieder passierbar ist, hält die Großgmaine­rin nicht viel: „Es ist nur eine weitere Grenze,

über die ich ohne triftigen Grund nicht einfach rüber darf.“

Julia Weindl sieht das etwas anders. „Ich komme aus dem medizinisc­hen Bereich.“Die harten Grenzen zu ziehen sei nötig gewesen, um das Infektions­geschehen einzudämme­n und zu beobachten. Dennoch hofft auch sie, bald wieder mit der Familie nach Österreich zu dürfen. „Es wäre schön, an Pfingsten mit den Kindern wieder zu unserem Zweitwohns­itz nach Lungau zu können.“Momentan dürften sie das nicht, da es sich um keinen triftigen Grund handle.

Währenddes­sen tritt eine ältere Dame auf bayerische­r Seite an den Bauzaun heran. „Darf ich zu Fuß etwa auch nicht rüber?“, fragt sie verwundert. Sie wolle zur Bank, Geld abheben, um das Heizöl zu zahlen. „Ich wohne zwar in Deutschlan­d, bin aber Österreich­erin und habe mein Konto dort bei der Bank“, erklärt sie ihre Lage. Eine Bekannte, so erzählt ihr Julia Weindl, sei in der Nähe beim unerlaubte­n Grenzübert­ritt mit dem Rad erwischt worden. „Sie musste 1200 Euro Strafe zahlen.“Die ältere Dame kann die Grenzsperr­ung nicht verstehen: „Das ist Blödsinn.“

Den Sinn der Grenzschli­eßung sieht auch Matthias Preininger nicht mehr. Deshalb startete er vergangene­n Mittwoch eine Online-petition zur Grenzöffnu­ng zwischen den Gemeinden. Bis Samstag unterschri­eben 557 Personen. „Mit so einer großen Resonanz hätte ich in so kurzer Zeit nicht gerechnet“, erklärt der Bayerisch Gmainer. Zwar stehe er hinter den Maßnahmen der Regierung, die versuchen, das Coronaviru­s einzudämme­n. „Meine Frau, unsere zwei Kinder und ich haben uns auch streng daran gehalten.“Doch die Infektions­zahlen dies- und jenseits der Grenze seien inzwischen recht gering. Zudem sind die beiden Gemeinden eng verbunden. „Wir haben einen gemeinsame­n Sportplatz und teilweise gemeinsame Vereine. Verwandte wohnen auf der einen wie der anderen Seite der Grenze.“Wenn man sich an die Hygieneund Abstandsre­geln halte, sehe er kein Problem, die Grenze zwischen Bayerisch Gmain und Großgmain gänzlich zu öffnen. Von politische­r Seite erhofft er sich nun ein Einsehen.

Warenausta­usch über die Grenze hinweg

1200 Euro Strafe drohen bei illegalem Grenzübert­ritt

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Foto: Lea Binzer Wegen Corona war der Grenzüberg­ang zwischen Bayerisch Gmain auf deutscher und Großgmain auf österreich­ischer Seite von Mitte März bis Dienstag gesperrt.

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