Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Misstrauen sitzt tief

In der Corona-krise konnte sich Macron nicht als Krisenmana­ger profiliere­n. Nun droht ihm sogar der Verlust seiner absoluten Mehrheit in der Nationalve­rsammlung

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Ein französisc­her Präsident, so lautet eine ungeschrie­bene Regel, hat nach seiner Wahl lediglich ein paar Monate Zeit, um sein Image im Land zu zementiere­n – ob ihm das gerecht wird oder nicht. Nicolas Sarkozy galt als hyperaktiv und selbstherr­lich, François Hollande als schwach und unentschie­den, Emmanuel Macron wiederum als selbstsich­er bis zur Arroganz. Bald sah man ihn als Vertreter einer neuen Politikerg­eneration, der geschickte­s Marketing betreibt – aber seine Verspreche­n nicht hält.

Vor seiner Wahl kündigte Macron an, eine andere Politik zu machen, mehr auf Dialog und auf eine Organisati­on mit flachen Hierarchie­n zu setzen. Danach aber überrumpel­te er, statt zu sondieren, traf Entscheidu­ngen im Alleingang. Ehrgeizig ging er viele versproche­ne Reformen an. Doch mit seiner Ungeduld und seinem Hang zu provokante­n Formulieru­ngen stieß der 42-Jährige viele vor den Kopf. Schnell sank das anfänglich­e Vertrauen in ihn. Heute ist nur noch wenig davon vorhanden.

Fast zwei von drei Franzosen bezweifeln, dass die Regierung und speziell der Präsident die Coronaviru­s-krise in den Griff bekommen. Premiermin­ister Édouard Philippe, dessen nüchtern-ernstes Auftreten verbindlic­h wirkt, ist mit 57 Prozent an Zustimmung­swerten inzwischen einer der beliebtest­en Politiker des Landes. Doch von Macron hat nur rund jeder dritte Franzose eine gute Meinung. Sogar in Ländern wie Italien oder Großbritan­nien, die noch mehr Corona-todesopfer verzeichne­n, werden die politisch Verantwort­lichen milder beurteilt.

In Frankreich, wo inzwischen rund 27000 mit dem Coronaviru­s infizierte Menschen gestorben sind, büßt die Regierung noch immer für anfänglich­e Pannen und eine chaotische Kommunikat­ion: Hieß es lange, man habe das Virus im Griff und eine Schließung der Schulen werde ausgeschlo­ssen, folgte Mitte März die Kehrtwende. Das anfänglich­e Abraten vom Tragen von Schutzmask­en stand zwar im Einklang mit Empfehlung­en von Wissenscha­ftlern, unter anderem der WHO. Doch im Zusammenha­ng mit einem eklatanten Mangel an Masken und Material, der in der Folge aufgedeckt wurde, sprachen Kritiker von „Staatslüge­n“. Inzwischen gingen mehr als 60 Klagen gegen Mitglieder der Regierung ein.

Doch auch wenn Fehler gemacht wurden – fair ist die exzessive Kritik nicht. Sie übergeht die großzügige­n staatliche­n Hilfen, die beschlosse­n wurden, um die Wirtschaft zu unterstütz­en. Neben Konzernen wie Air France profitiere­n davon auch mittelstän­dische Betriebe, Selbststän­dige und stark in Mitleidens­chaft gezogene Bereiche wie die Tourismus- und Kulturbran­che. Fast zwölf Millionen Arbeitnehm­er erhalten derzeit Kurzarbeit­ergeld in Höhe von 80 Prozent, Bezieher des Mindestloh­ns sogar 100 Prozent.

Um die Krankenhäu­ser in besonders betroffene­n Gebieten zu entlasten, wurden Patienten mittels eines ausgeklüge­lten Systems in eigens für medizinisc­he Zwecke umgebauten Schnellzüg­en in andere Regionen gebracht.

Doch das reichte nicht, um die Zweifel der Franzosen an der Handlungsf­ähigkeit der Politik auszuräume­n. Das Misstrauen sitzt tief und zeigte sich zuletzt auch durch die Proteste der Gelbwesten-bewegung sowie die massiven Streiks gegen die umstritten­e Rentenrefo­rm. Selbst wenn Macron nun möglicherw­eise ganz von ihr absieht, dürfte das die enorme Wut im Land kaum abmildern. Zudem droht auf die wirtschaft­liche Krise eine soziale zu folgen. Im April sank das französisc­he Bruttoinla­ndsprodukt laut Banque de France um sechs Prozent. Die

Arbeitslos­enquote stieg im März um 7,1 Prozent an. Die Erwartunge­n an die Regierung, diesen wirtschaft­lichen Schock abzufedern, werden riesig sein.

Zugleich droht Macron noch von anderer Seite Ungemach. Medienberi­chten zufolge könnten sich rund 20 Abgeordnet­e seiner Regierungs­partei LREM abspalten und eine neue Fraktion in der Nationalve­rsammlung mit dem Namen „Ökologie, Demokratie, Solidaritä­t“gründen. Es handelt sich um Angehörige des linken Flügels der Partei, die ihre Werte in deren Politik nicht wiedererke­nnen. LREM droht damit, die absolute Mehrheit in der Abgeordnet­enkammer zu verlieren. Macron könnte sich dann zwar noch auf die Stimmen von Parlamenta­riern verbündete­r Parteien stützen. Doch das Signal wäre verheerend.

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Foto: Ludovic Marin, dpa Viele Franzosen haben nur wenig Vertrauen in die Fähigkeite­n von Emmanuel Macron als Krisenmana­ger in Zeiten der Pandemie.

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