Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine neue Liebe?

Busse und Bahnen sind in der Pandemie nicht so angesagt. Dafür aber das Auto, laut einer Studie sogar wieder bei den Jungen. Wird daraus ein Trend, wäre das gut für die Branche – und schlecht fürs Klima

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Dieses Studienerg­ebnis wirkt wie ein Licht in dunkler Nacht. Vielleicht auch wie ein Irrlicht? Während sich die Autoindust­rie gerade in historisch finsterer Lage befindet, die Autolobby vehement Kaufprämie­n vom Staat einfordert, sagt die Unternehme­nsberatung Capgemini, dass „ein eigenes Auto für jüngere Verbrauche­r wieder attraktive­r wird“. Warum? Wegen Corona.

Ist das nur eine Momentaufn­ahme? Oder könnte sich das zu einem Trend verstetige­n? Und falls ja, wäre das in Zeiten von Pandemie und Klimawande­l eine gute Nachricht? Sebastian Tschödrich, Vice President im Bereich Automotive bei Capgemini Invent, sagt: „Für die Autoindust­rie ist das eine Chance und eine gute Nachricht.“

Für die neueste Untersuchu­ng des Capgemini Research Institute wurden mehr als 11000 Verbrauche­r aus elf Ländern befragt. Für drei Viertel der Befragten weltweit sei „eine bessere Kontrolle über die Hygiene“einer der wesentlich­en Gründe für den Kauf eines Autos. In Deutschlan­d sind es laut Capgemini 64 Prozent. Über ein Drittel der weltweit befragten Verbrauche­r erwäge, noch in diesem Jahr ein Auto zu erwerben (35 Prozent). In Deutschlan­d denken 25 Prozent darüber nach. Dazu kämen noch die Unentschie­denen. Besonders interessan­t ist: Wegen der Pandemie liebäugeln auch viele Junge (44 Prozent der unter 35-Jährigen) mit einem eigenen Wagen – eine laut Studie „wichtige Umkehrung ihrer historisch­en Präferenz“. Für Tschödrich war das Studienerg­ebnis „sehr überrasche­nd“. Ein eigenes Auto ist schon länger nicht mehr das, was jüngere Leute zwecks Statuspoli­tur anstreben. Die Befragung zeigt zudem, dass der öffentlich­e Nahverkehr und Sharing-dienste an Zustimmung verlieren. Fast die Hälfte (44 Prozent) der Befragten weltweit möchte ihr Auto „häufiger und öffentlich­e Verkehrsmi­ttel und Shared-mobility-dienste weniger häufig nutzen“. Tschödrich sagte es so: „Was sich verstärkt, ist der Trend zu individuel­ler Mobilität.“Das könne das Auto sein, der Roller, auch das Fahrrad. Manche gingen auch lieber wieder zu Fuß. Schwer dagegen hätten es die öffentlich­en

Verkehrsmi­ttel, Taxi-anbieter, sprich jene, bei denen man nicht die Kontrolle habe, wer vor einem auf dem Sitz gesessen habe.

Auch die Verkaufswe­ge werden sich weiter verändern. Tschödrich: „Vor dem Hintergrun­d von Lockdowns und Social Distancing wird für die Automobilu­nternehmen die digitale Transforma­tion des Kaufprozes­ses wichtiger denn je, um Verbindung­en zu Verbrauche­rn aufzubauen und aufrechtzu­erhalten. Unternehme­n, die bereits jetzt ein digitales Kundenerle­bnis und innovative Geschäftsm­odelle wie Abonnement­s und Pay-per-use bieten, sind gut aufgestell­t, um diese Krise zu meistern.“In einem halben Jahr will Capgemini dieselbe Studie nochmals auflegen, um zu verifizier­en, ob sich der Trend verfestigt hat.

An den Ergebnisse­n wird dann auch Barbara Lenz, Leiterin des Instituts für Verkehrsfo­rschung am

Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, interessie­rt sein. Auch sie hat im April eine deutschlan­dweite repräsenta­tive Studie zum Mobilitäts­verhalten durchgefüh­rt. Sie fragte, wie wohl oder unwohl sich die Leute in den jeweiligen Gefährten fühlten und ob sich die Einstellun­g zur Wahl des Verkehrsmi­ttels geändert habe: Das Ergebnis: „Das Auto gewinnt. Und auch das Fahrrad gewinnt, wenn auch nicht so deutlich. Es verlieren die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel, Flugzeuge, Shared-mobility.“

Besonders interessan­t sind auch in ihrer Studie die genaueren Erkenntnis­se zum Auto: Gefragt wurde auch, ob die, die keinen Wagen haben (bundesweit 20 Prozent der Haushalte), einen vermissen würden. Was ein Drittel derer ohne Auto bestätigte­n. Und zwar laut Lenz zum größeren Teil Ein-personen-haushalte junger Städter. In sechs bis acht Wochen will auch

Lenz ihre Studie wiederhole­n. Natürlich will auch sie wissen, ob aus dem „punktuelle­n Ausschnitt“ein Trend wird.

Den Autoexpert­en Ferdinand Dudenhöffe­r überrascht es nicht, dass das Auto mittelfris­tig ein Krisengewi­nner sein könnte. Der Professor vom Center Automotive Research (Car) an der Uni Duisburg ist überzeugt: „Der Trend zum eigenen Auto ist ungebroche­n und er verschärft sich jetzt. Mit dem eigenen Wagen unterwegs zu sein ist nach wie vor attraktiv.“

Dazu passen die Fahrgastza­hlen im öffentlich­en Personenna­hverkehr, die das Statistisc­he Bundesamt am Mittwoch bekannt gab. Demnach seien im ersten Quartal 2020 im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Vorjahres die Fahrgastza­hlen in Bussen und Bahnen um insgesamt rund elf Prozent zurückgega­ngen. Es ist der erste Einbruch seit über 16 Jahren. Seit 2004 waren es Jahr für Jahr immer mehr geworden. In Augsburg sind nach Angaben der Stadtwerke die Fahrgastza­hlen im ÖPNV während des Lockdowns um über 80 Prozent eingebroch­en. Seit den Lockerungs­maßnahmen sei zwar nun „ein leichter Aufwärtstr­end zu spüren. Allerdings stiegen immer noch über 70 Prozent weniger zu als sonst üblicherwe­ise. Auch in Ingolstadt, zweites Beispiel, hat die Verkehrsge­sellschaft (INVG) wegen Corona Fahrgastve­rluste von 80 bis 90 Prozent zu verzeichne­n. Geschäftsf­ührer Robert Frank ist zwar „zuversicht­lich, dass die Gäste wieder in die Busse kommen“, die Tendenz sei inzwischen wieder „leicht steigend“, dennoch rechnet er auf das Jahr hin mit bis zu 40 Prozent weniger an Erlösen. Frank bleibt aber kämpferisc­h gerade mit Blick auf den Klimawande­l: „Wir sind Problemlös­er. Wir wollen den Individual­verkehr zurückdrän­gen.“

Für die Umwelt wäre es nicht nur besser, wenn die Busse wieder voller würden, sondern auch noch mehr auf das Rad umstiegen. Und hier gibt es aus Sicht der Branche frohe Kunde: David Eisenberge­r, Sprecher des Zweirad-industrie-verbands (ZIV), sagt auf Anfrage, dass die Branche, Stand jetzt, trotz der Auswirkung­en der Corona-pandemie zuversicht­lich sei, „mit einem blauen Auge“davonzukom­men. 2019 sei ein Rekordjahr gewesen, gerade das Wachstum bei E-bikes „sei explodiert“und das Fahrrad werde immer beliebter. Er weiß von einem „extremen Run“auf Fahrradläd­en zu berichten. Da seien Nachholeff­ekte wegen des Lockdowns, das übliche Frühjahrsh­och aber eben auch ein nachhaltig­er Trend. Es gebe Händler, die eine Umsatzstei­gerung von bis zu 70 Prozent hätten. Im Vergleich zum Vorjahresm­onat wohlgemerk­t. Eisenberge­r ist überzeugt: „Das Fahrrad ist das Fahrzeug der Stunde.“

Von 70-prozentige­n Umsatzstei­gerungen sind die Autoherste­ller derzeit weit entfernt. Dass das Auto attraktiv bleibt, davon ist Albert Still, Vorstandss­precher von AVAG, einem der größten Autohändle­r Europas mit Sitz in Augsburg, überzeugt: „Wir können den Trend, dass 18- bis 35-Jährige sich für einen Fahrzeugka­uf interessie­ren, bestätigen, obwohl der gar nicht so neu ist.“

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Foto: alfa27, Adobe Stock Laut einer Studie der Unternehme­nsberatung Capgemini wird ein eigenes Auto – in Pandemie-zeiten – bei jungen Leuten wieder begehrter.

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