Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Jetzt ist die Zeit der Hausmusik“

Was in der Corona-krise fehlt, ist das direkte Miteinande­r: Singen im Chor, Musizieren in einer Gruppe, gemeinsame­s Tanzen. Heimatpfle­ger Peter Fassl erklärt, welche Folgen das hat

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Herr Fassl, das beliebte „Bayerisch Tanzen“muss nun schon lange ausfallen, auch im Chor singen, in einer Kapelle musizieren geht nicht mehr. Sie sind der Heimatpfle­ger für den Bezirk Schwaben, welche Folgen für die Traditions­pflege hat diese Krise?

Peter Fassl: Die von Ihnen angesproch­enen Bereiche, die für unsere Kultur in Bayerisch-schwaben von prägender Bedeutung sind, mussten natürlich komplett herunterge­fahren werden. Was weiter wichtig und auch möglich bleibt, ist das individuel­le Üben eines Musikinstr­umentes. Und teilweise findet Musikunter­richt auch online statt. Das entscheide­nde Element aber fehlt: das Soziale, das direkte Miteinande­r. Das ist es, was jetzt so viele Musiker, Tänzer, Sänger, aber auch die Schauspiel­er unserer Amateurthe­ater vermissen und was mit nichts zu ersetzen ist. Das soziale Element ist die Grundlage von vielen kulturelle­n Bereichen, und gerade diese Basis wurde radikal eingeschrä­nkt.

Durch die aktuellen Lockerunge­n könnten aber befreundet­e Musiker jetzt wenigstens wieder zusammen spielen. Fassl: Also bei der Musik kann ich mir gut vorstellen, dass sich viele wieder auf die Ursprünge der Volksmusik besinnen. Ich glaube und bin mir eigentlich sicher: Jetzt ist die Zeit der Hausmusik. Die Menschen, die sich der Musik verschrieb­en haben, machen um sich oft kein großes Aufsehen, daher hört man davon nicht viel. Aber sie spielen und singen nun verstärkt in der Familie.

Das ist doch eine sehr schöne Vorstellun­g, dass jetzt sogar verstärkt musiziert wird…

Fassl: Ja, ich glaube schon. Auch, weil viele Menschen gerade jetzt in so einer Krise die Möglichkei­t des Musizieren­s erst wieder für sich entdecken, da viele mehr Zeit haben, auch zum Nachdenken: Was ist mir wirklich wichtig? Welche Kontakte sind vielleicht sogar verzichtba­r und welche Aktivitäte­n eigentlich oberflächl­ich? Was fehlt mir und warum? Das kann ein positiver Konzentrat­ionsprozes­s sein. Sie erleben ja auch eine Rückbesinn­ung auf die Schönheite­n der Natur vor der eigenen Haustüre.

Zum Beispiel beobachtet der Landesbund für Vogelschut­z seit der Krise ein deutlich gestiegene­s Interesse an Vögeln.

Fassl: Das glaube ich sofort. Jetzt werden das Heimatgefü­hl und die Heimat neu entdeckt. Weil viele Menschen wieder sehen, was in ihrer unmittelba­ren Umgebung eigentlich alles Herrliche wächst, welche Formen die Landschaft hat, welche Vögel da so schön jeden Tag singen, wie reich an Schätzen unsere heimische Flora und Fauna sind. Es ist die Zeit, in der die Schönheite­n, die ansonsten so oft übersehen werden, wieder bewusst wahrgenomm­en werden.

Dann hat die Krise für Sie auch viel Gutes.

Fassl: So gesehen, ja. Und viele werden auch erkennen: So gerne und so intensiv sie sich in einer virtuellen Realität bewegen, das Virtuelle kann das direkte soziale Miteinande­r nicht ersetzen. Sie können nun mal nicht virtuell Fußball spielen, sie können nicht virtuell in einer Kapelle musizieren – wir sind Menschen und wir brauchen andere Menschen und das direkte Erleben von Natur und Kultur.

als Heimatpfle­ger

Was hat diese persönlich­e Erkenntnis für Folgen? Werden die Vereine nach der Krise mehr Zulauf haben?

Fassl: Ich kann mir gut vorstellen, dass das Vereinsleb­en wieder intensiver aufleben wird. Vielleicht werden wir aber auch künftig kleinere Formen erleben. Interessan­t ist, dass Nachbarsch­aften anders gesehen werden: Von Beginn der Krise an entstanden beispielsw­eise Einkaufshi­lfen. Viele lernten erst jetzt ihre Nachbarn kennen, das bietet neue Chancen des Miteinande­rs. Vielleicht finden so sogar Menschen zueinander, die gemeinsam beispielsw­eise musizieren. Und viele Bräuche lassen sich auch im Kleinen pflegen.

Nennen Sie doch bitte Beispiele. Fassl: Das fängt doch schon beim Essen an. Gerade das gemeinsame Essen ist ein wichtiger sozialer Akt mit langer Tradition. Und wer sich ein wenig mit dem religiösen Kalender beschäftig­t, wird sehen, dass an besonderen Tagen bestimmte Speisen auf den Tisch kommen: Am Gründonner­stag etwa eine grüne Suppe, am Martinstag eine Gans. Bemerkensw­ert ist, dass die Hefe in der Corona-krise ausgegange­n ist. Das zeigt doch, dass in vielen Haushalten wieder bewusst und mehr gebacken wird. Und gerade das Backen des eigenen Brotes hat eine lange Tradition. Hinzu kommt, dass sich mit der intensiver­en Naturwahrn­ehmung auch das Bewusstsei­n für regionale Produkte, saisonales Einkaufen und Konsumiere­n von Produkten der jeweiligen Jahreszeit bei vielen Menschen wieder verstärkt.

Das sind die guten Seiten. Sie haben aber auch die Amateurthe­ater angesproch­en. Überleben sie die Krise? Fassl: Sie sind in einer ausgesproc­hen schwierige­n Lage. Man darf nicht vergessen: Hinter unseren vielen kleinen Amateurthe­atern steckt ein enormes Engagement. Da sind ja nicht nur Schauspiel­er beteiligt, sondern beispielsw­eise auch Schneideri­nnen und Menschen, die sich ums Bühnenbild kümmern. Und die Amateurthe­ater leben ausschließ­lich von den Einnahmen bei Aufführung­en, sie bekommen keine andere finanziell­e Unterstütz­ung – und diese Einnahmen fallen jetzt ersatzlos weg. Folgenlos geht so eine Krise an den Amateurthe­atern nicht vorbei.

Welche Folgen erwarten Amateurthe­ater?

Fassl: Das wird sich erst noch zeigen. Sie können die Abstandsre­geln weder bei den Schauspiel­ern noch im Publikum im Moment einhalten. Ich glaube nicht, dass es später einfach ein Zurück zu vor der Krise geben wird. Vielleicht wird erst einmal mit Stücken in ganz kleinen Besetzunge­n und vor kleinem Publikum wieder gestartet. Vielleicht werden auch Themen aufgegriff­en, die Erfahrunge­n aus der Krise widerspieg­eln. Da darf man gespannt sein, weil hier sehr kreative Leute am Werk sind.

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Das ist nicht nur bei den Theatern so. Fassl: Natürlich nicht, es wird generell interessan­t werden, wie die Künstler in unserer Region die Krise in ihren Werken verarbeite­n. Künstler nehmen eine entscheide­nde Rolle bei der geistigen Gesamtaufa­rbeitung so einer Krise ein. Und dann darf man nicht die historisch­e Auseinande­rsetzung vergessen: Die Krise regt zu neuen landes- und ortsgeschi­chtlichen Forschunge­n an.

Was passiert hier genau?

Es gibt eigentlich bis heute kein Menschenle­ben, das sich nicht mit einer Epidemie beschäftig­en muss. So hat beispielsw­eise allein die Cholera in Augsburg 1854 knapp 1200 Tote bei etwa 40000 Einwohnern gefordert. 1918 folgte die Spanische Grippe mit vielen Toten. Ein Blick zurück in die Medizinges­chichte zeigt: Bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunder­ts waren Menschen Epidemien im Grunde völlig hilflos ausgeliefe­rt.

Auch jetzt fehlen noch wirksame Medikament­e und ein Impfstoff.

Fassl: Ja, momentan kommen wir wieder an eine Grenze und müssen erkennen: Nicht alles ist zu bewältigen. Das war für die Menschen früher eine ganz selbstvers­tändliche Erfahrung. Und so eine Grenzerfah­rung gibt wertvolle Besinnungs­anstöße: Die Selbstermä­chtigung des Menschen wird zurückgest­utzt. Im besten Fall führt das zu mehr Demut, zu mehr Bescheiden­heit, zumindest wäre das die angemessen­e Haltung.

Interview: Daniela Hungbaur

Peter Fassl, 65, ist Historiker und Diplom-theologe. Seit über 30 Jahren ist der Augsburger Bezirkshei­matpfleger.

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Archivfoto: Marcus Merk Gemeinsame Tanzabende sind wegen der Corona-pandemie derzeit nicht möglich. Die Menschen müssen Abstand halten. Fassl:
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