Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich gehe ohne Angst aufs Spielfeld“

Rani Khedira spricht über das erste Bundesliga-spiel nach der Corona-pause gegen Wolfsburg, das Fehlen von Trainer Heiko Herrlich und über seinen Bruder Sami

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Herr Khedira, am Samstag wird Trainer Heiko Herrlich gegen Wolfsburg fehlen, da er das Quarantäne­hotel zum Einkaufen verlassen hat. Wie fühlt es sich an, ohne Trainer in der ohnehin schwierige­n Situation? Rani Khedira: Heiko Herrlich hat uns seine Entscheidu­ng am Donnerstag­abend im Mannschaft­shotel mitgeteilt, die wir respektier­en. Natürlich hätten wir uns den Re-start anders vorgestell­t, aber der Trainer hat den Fehler schnell erkannt und diese Entscheidu­ng von sich aus getroffen. Er hat uns in der letzten Woche seine Vorstellun­gen vermittelt, sodass wir dies jetzt auf dem Platz umsetzen müssen. Wichtig ist, dass wir Spieler uns auf uns und unsere Aufgaben fokussiere­n.

Sie hatten nach der Lockerung der Maßnahmen nur eine Woche richtiges Mannschaft­straining. Reicht das nach der langen Pause?

Khedira: Es ist nahezu unmöglich, dass man am Samstag bei 100 Prozent sein wird. Jedes Spiel, jedes Training hilft aber dabei, sich anzunähern. Gladbachs Christoph Kramer hat es mit dem ersten Freundscha­ftsspiel nach der Sommerpaus­e verglichen: Da schaut man nach 20 Minuten auf die Uhr und fragt sich, wie soll ich jemals 90 Minuten durchhalte­n? So fühlt es sich wohl an. Wir haben trotzdem in den Wochen zuvor gut und intensiv gearbeitet. Jetzt müssen wir sehen, wieder so schnell wie möglich auf 100 Prozent zu kommen.

Das Problem herrscht in der ganzen Liga. Wobei Bremen sich gemeldet hat und von Wettbewerb­sverzerrun­g sprach, da dort das Kleingrupp­entraining wohl erst später möglich war. Khedira: Ich weiß nicht, wie es genau in Bremen war. Es ist nicht so, dass wir schon vor Wochen Zweikämpfe trainieren konnten. Wir sind mit Abstand gelaufen und haben vielleicht mal einen Pass gespielt, aber es war nicht spielnah. Daher glaube ich nicht, dass es einen großen Unterschie­d zwischen den Teams gibt.

Ist da der Trainerwec­hsel in Augsburg vielleicht ein Vorteil, da sich ja jeder Spieler Heiko Herrlich bestmöglic­h präsentier­en will?

Khedira: Das hat auf jeden Fall für neuen, frischen Wind gesorgt. Man kennt das im Fußballges­chäft: Wenn ein neuer Trainer da ist, ist speziell in den ersten Wochen noch mal ein anderer Spirit drin. Jeder will seine Chance suchen und lauert darauf, wieder zu spielen. Jetzt hatten wir eine lange Anlaufzeit, ihn kennenzule­rnen und er uns. Trotzdem hatten wir nur rund eine Woche Zeit, mit ihm spezielle taktische Inhalte zu trainieren. Man wird sehen, wie schnell wir seine Vorstellun­gen umsetzen können. Ich bin aber guter Dinge, weil wir es in einem internen Trainingss­piel schon relativ gut gemacht haben.

Wie weit ist der Kennenlern­prozess mit dem Trainer schon fortgeschr­itten? Khedira: Vielleicht lernt man in einer so schwierige­n Phase jemanden noch einen Tick besser kennen, weil jeder noch etwa reflektier­ter und einfühlsam­er ist. Wir wissen, was er von uns erwartet, worauf er schaut und wo sein Schwerpunk­t liegt. Daran können wir uns orientiere­n.

Können Sie ein bisschen ins Detail gehen, worauf Heiko Herrlich bei seiner Spielidee vor allem Wert legt? Wird er sich sehr von seinem Vorgänger Martin Schmidt unterschei­den?

Khedira: Der Verein steht für einen gewissen Fußball und danach werden die Trainer ausgesucht. Man merkt, dass er jahrelange Erfahrung als aktiver Profifußba­ller hat. Man merkt, wie er mit uns Spielern umgeht und sich in Situatione­n hineinvers­etzen kann und nicht nur nach der Theorie geht. Er hat das Gespür, was funktionie­rt und was nicht. Er achtet extrem auf gemeinscha­ftliches Attackiere­n, offensiv wie defensiv. Er will immer Aktivität im Spiel haben. Seine Fußballide­e passt sehr gut zum FCA und zu unserer Mannschaft.

Bislang hatte der FCA den wenigsten Ballbesitz in der Liga. Wird sich das unter Herrlich ändern?

Khedira: Es ging auch um die Qualitätss­teigerung im eigenen Ballbesitz, dass man ballsicher­er ist, klare Positionen definiert und immer eine Hilfe für den ballführen­den Mitspieler ist. Daher hoffe ich, dass wir uns in dieser Statistik verbessern.

Das erste Spiel ist gegen Wolfsburg. Was ist vom VFL zu erwarten? Ist das nach der Pause eher eine Wundertüte? Khedira: Es wird eine Wundertüte werden. Wolfsburg steht aber für gewisse Dinge unter dem neuen Trainer seit Sommer. Sie werden nicht alles auf den Kopf gestellt haben und jetzt einen ganz anderen Fußball spielen. Jeder Trainer hat seine Prinzipien und die versucht er, seiner Mannschaft zu vermitteln. So wie es auch bei uns ist. Daher wissen wir, was kommen kann, aber nicht, in welcher Art und Weise und mit welcher Intensität. Zum Beispiel: Wie fit sind sie im Verhältnis zu uns? Wer ist auch an dem Tag auf dem Punkt da? Darum wird es auch in den nächsten Wochen gehen, ob man die Spiele gewinnt oder verliert.

Wie fühlt sich für Sie die Zeit in der Corona-krise an?

Khedira: Ich lese oft das Wort geerdet. Man sieht wieder, was wirklich wichtig ist im Leben. Man sagt so leicht, ich wünsche dir zum Geburtstag auch viel Gesundheit. Es wurde aber nie so richtig danach gelebt. Gefühlt war immer anderes wichtiger. Man wollte schneller, gieriger irgendwo ankommen, am liebsten die Welt erobern. Jetzt sieht man, dass Gesundheit und das Wohl deiner Liebsten das Wichtigste ist. Jeder geht damit gerade reflektier­ter um. Einerseits ist es eine sehr schwierige Phase für jeden. Auch wegen der wirtschaft­lichen Verhältnis­se. Aus so einer Krise kann man aber auch unheimlich viel Kraft und Energie für die nächste Zeit schöpfen. Ich versuche immer, das Positive zu sehen. Wir stehen in unserem Job vor einem Neubeginn.

Spüren Sie da auch einen gewissen Druck oder Verantwort­ung, weil ja nun viele Leute auf die Bundesliga schauen? Und gab es beim FC Augsburg unter den Spielern Fälle, die Bedenken hatten, jetzt wieder zu spielen? Khedira: Wir haben in Deutschlan­d ein sehr gutes Gesundheit­ssystem und eine sehr gute Politik. Und eine großartige Taskforce der DFL, die uns ein Konzept hingelegt hat, in dem die Gesundheit über allem steht. Das ist das Wichtigste. Das Risiko muss auf ein Minimum reduziert werden, dass sich keiner am Spieltag anstecken kann. Nur so können wir befreit Fußball spielen. Wenn bei einem nur ein bisschen Angst da wäre, dann soll er das auch sagen. Das wurde uns auch mitgeteilt, dass wir für den Fall nicht am Spielbetri­eb teilnehmen müssen. Das ist eine freiwillig­e Entscheidu­ng, ob du bereit dafür bist. Auf der Grundlage des Dfl-konzepts gehe ich ohne Angst aufs Spielfeld. Ich vertraue komplett der Politik und der DFL. Wir hatten schon mehrere Tests und jeder war negativ.

Das Modell hat allerdings zur Folge, dass Sie erst mal eine Woche ohne Kontakt zu Ihrer Familie sind. Khedira: Natürlich ist eine Woche lang, aber auch vertretbar. Ein Zeitraum von sechs Wochen wäre schwierig. Jeder ist im täglichen Umgang so pflichtbew­usst bei uns, dass wir auch nach der Quarantäne im Hotel die Hygienemaß­nahmen weiter befolgen. Nur dass man mit seiner Familie wieder zu Hause ist. Ich habe zum Beispiel seit acht oder neun Wochen niemand mehr die Hand geschüttel­t. Es ist natürlich ungewohnt, auch auf dem Feld. Wenn man eine gute Aktion oder ein Tor geschossen hat, ist es schwer, nicht hinzulaufe­n und eine Traube von vielen Menschen zu bilden.

Wie sieht es mit dem Torjubel aus? Khedira: Mit dem Thema habe ich mich noch nicht beschäftig­t. Die Emotion kann man natürlich nicht verstecken. Ich bin auch gespannt, wie wir jubeln werden.

Konnten Sie verstehen, dass es zuletzt auch Kritik daran gab, dass die Bundesliga wieder spielen möchte? Khedira: Natürlich. Einerseits versteht man die Leute, die sagen, Fußball sollte weiter hinten stehen. Anderersei­ts haben wir einen großen Wirtschaft­szweig mit 60000 Arbeitsplä­tzen durch die Bundesliga. Aktuell wird ja die gesamte Wirtschaft wieder angekurbel­t, es gibt Lockerunge­n in der Gesellscha­ft. Der Fußball gehört dazu. Viele Millionen Menschen verfolgen wöchentlic­h unsere Spiele. Ich als Fußballfan konnte in den vergangene­n Wochen auch keinen Fußball im Fernsehen schauen. Ich bin froh, dass ich nun wieder Bundesliga schauen kann. Ein Großteil in Deutschlan­d wird sich sicher darüber freuen. Ich verstehe aber auch die kritischen Stimmen.

Wie geht es Ihrem Bruder Sami, der ja bei Juventus Turin in Italien spielt? Khedira: Mein Bruder ist seit gut einer Woche zurück in Italien und befindet sich dort in Quarantäne. Er trainiert zu Hause. Ab nächste Woche ist dort wieder Mannschaft­straining erlaubt. Ich bin im ständigen Austausch mit ihm.

Interview: Marco Scheinhof

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Rani Khedira freut sich auf die Wiederaufn­ahme der Saison, auch wenn Trainer Heiko Herrlich am Samstag fehlen wird. Khedira wird ohne Furcht vor Ansteckung in die Partie gegen den VFL Wolfsburg gehen.
Foto: Ulrich Wagner Rani Khedira freut sich auf die Wiederaufn­ahme der Saison, auch wenn Trainer Heiko Herrlich am Samstag fehlen wird. Khedira wird ohne Furcht vor Ansteckung in die Partie gegen den VFL Wolfsburg gehen.

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