Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rote Diven

Ende der Woche startet die hiesige Erdbeer-saison. Was Obstbauern alles tun, damit die Menschen in der Region auch heuer ihre Erdbeeren genießen können.

- VON ANDREA SCHMIDT-FORTH

Augsburg Bei Familie Seibold läuft seit Tagen der Anrufbeant­worter über. „So viele Menschen wollen wissen: Wann sperrt ihr eure Erdbeerpla­ntagen auf?“, erzählt Barbara Seibold. Die Obst- und Gemüsebäue­rin aus Inningen bei Augsburg freut sich zwar, weil in den Vorjahren das Interesse am Selberpflü­cken etwas nachgelass­en hatte: „Keiner wollte mehr selbst Marmelade kochen, jetzt ist wegen der Pandemie wieder Zeit dafür.“Auf der anderen Seite macht es sie angesichts der Auflagen etwas nervös, die ihr gerade erst zum Schutz vor Corona von den Behörden übermittel­t wurden: „Ob wir das auch alles so umsetzen können, wenn so viele Kunden kommen?“

Selbst am Feld wird Mundschutz zu tragen sein, obwohl sich die Kunden an der frischen Luft aufhalten. Desinfekti­onsmittel müssen gestellt werden und für manches Problem (Einhaltung der Abstandsre­gel) wird noch an einer Lösung getüftelt. Trotzdem ist sie froh, dass die Saison jetzt startet. Endlich sind die Eisheilige­n vorüber und die Obstbauern können das Vlies entfernen, das die Beerenfrüc­hte vor dem Frost schützte. Ein Jahr Vorarbeit und mehrere zu unterschie­dlicher Zeit blühende Sorten stecken die Landwirte in ein Feld, bis es erstmals hoffentlic­h reiche Früchte trägt.

Besonders dankbar ist Familie Seibold für die Unterstütz­ung durch sehr engagierte und fleißige deutsche Studenten und Selbständi­ge, darunter Fotografen und Grafiker, die wegen Corona nicht in ihrem Beruf arbeiten können. Sie sprangen für die Erntehelfe­r aus Osteuropa ein, die Familie Seibold nicht einfliegen lassen konnte: „Manche unserer Stammkräft­e kommen aus militärisc­hem Sperrgebie­t, andere würden nie in ein Flugzeug steigen, weil sie sich in ihrer Heimat noch mit dem Pferdekarr­en bewegen. Außerdem müssten wir die Kosten für die Tickets tragen. Dafür kommt keine Regierung auf.“

Auch Obstbauer Josef Kraus in Gessertsha­usen, einer der größeren der Branche, öffnet in Kürze seine elf Selbstpflü­ckplantage­n. Sie machen etwa ein Viertel seiner Anbaufläch­e aus. Dieses Jahr holte Kraus seine Erntehelfe­r per Flugzeug aus Rumänien. Die Pandemie machte außerdem die Anmietung größerer Quartiere und zusätzlich­er Busse für den Transport der Arbeiter nötig. Der Landwirt, der seit 35 Jahren Obstanbau betreibt, weiß, dass er die Mehrkosten nicht auf den Verbrauche­r umlegen kann. „Wir werden nur leicht erhöhen, kalkuliere­n mit etwa 3,30 Euro pro selbst gepflückte­m Kilo.“Das ist nur noch etwas mehr als die Hälfte des Preises, der für die erste heimische Ware im Laden verlangt wurde.

Die Mühe, sich selbst auf dem Acker nach den leckeren roten Früchten zu bücken, lohnt sich nicht nur aus Spargründe­n. Das Sammeln macht ja auch Spaß, vor allem wenn Kindern dabei sind.

„Man kann sich die reifsten Früchte rauspicken und nebenbei auch die eine oder andere Erdbeere naschen“, erklärt Gartenbaui­ngenieurin Ines Mertinat.

Früchtefan­s wie sie freuen sich schon darauf. Denn Erdbeeren gibt es zwar oft schon weit vor der Saison. Doch dann werden sie aus Südeuropa oder Nordafrika herbeigeka­rrt. Knapp die Hälfte der in Deutschlan­d verarbeite­ten Früchte wird im Ausland produziert, hauptsächl­ich in Spanien (rund 92000 Tonnen) und den Niederland­en (rund 13000 Tonnen). Den echten Beeren-genuss und viel Vitamin C liefern Erdbeeren (ihr lateinisch­er Name heißt übersetzt „essbarer Duft“) aber erst, wenn sie bei uns geerntet werden. Weil die hierzuland­e angebauten Sorten nicht so fest und transportf­ähig sein müssen wie Importware, können sie etwas weicher und damit auch aromatisch­er sein.

Erdbeeren gehören zu den liebsten Früchten der Deutschen. Rund drei Kilo verzehrt jeder von uns im Durchschni­tt. Die meisten gehen beim Discounter (44 Prozent) über den Tresen. Direkt beim Erzeuger und an sonstigen Einkaufsst­ätten, etwa Selbstpflü­ckplantage­n, wird jede zehnte Erdbeere gekauft.

Ines Mertinat, die für den Landesverb­and für Gartenbau und Landespfle­ge tätig ist, zieht ihre Erdbeeren selbst auf dem Balkon: „Für einen Kuchen reicht die Ernte zwar nicht, dafür habe ich immer leckere frische Früchte zum Naschen parat.“Ob in einer Weinkiste, einem großen Terrakotta-topf (speichert zusätzlich Wasser!) oder in einem Balkonkast­en kann man bis zu fünf Pflanzen pro Meter reifen lassen, beispielsw­eise die Sorten Gento oder Korona (kein Witz). Schön machen sich dazu Kräuter wie Melisse, Minze oder Kapuzinerk­resse. Sehr aromatisch sind kleine Walderdbee­ren, zum Beispiel die Sorte Fontaine.

Weil die Früchte druckempfi­ndlich sind, beim Ernten am besten am Stiel fassen und abknipsen. Erdbeeren ungewasche­n (!) maximal zwei Tage lang im Kühlschran­k aufbewahre­n. Erde nur abpinseln oder vorsichtig und ganz kurz mit kühlem Wasser abspülen. Sonst leidet das Aroma der roten Diven und das wäre doch schade.

Ein ebenso feines wie einfaches Erdbeerkuc­hen-rezept finden Sie beispielsw­eise auf dem Blog treatandfe­et.de von Ernährungs­wissenscha­ftlerin Sonja Schäche. Erdbeeren machen sich aber auch in Salaten oder mit Spargelger­ichten kombiniert gut.

Kurze Wege garantiere­n einen besseren Geschmack

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Foto: Andrea Schmidt-forth Die Erdbeer-saison beginnt – die „roten Diven“gehören zu den liebsten Früchten der Deutschen.

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