Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auf ein bisschen Kunst?

Kunstwerke versteiger­n, über Literatur sprechen und zum Abschluss plaudern Intendant und Pfarrer: Das sehr unterhalts­ame Format der Club & Kulturkomm­ission

- VON STEFANIE SCHOENE

Richtige Kunst am richtigen Platz. „Dieser Rainer Kaiser würde perfekt über Ihr Sideboard im Flur passen? Dann bieten Sie mit.“Munter plaudernd preisen Christophe­r Kochs und Eva Kruscher an diesem Freitagabe­nd im Livestream „Kunst für Kunst“der Club & Kulturkomm­ission (CUKK) Fotografie­n, Ölund Acrylbilde­r an. Die Werke werden noch während der Vorstellun­g bei ebay eingestell­t, bieten kann jeder. Die Startgebot­e liegen jeweils weit unter den üblichen Normalprei­sen. Das Bild „Doppelherz“von Rainer Kaiser zum Beispiel – jenes fürs Sideboard mit 1,40 Meter Länge – startet bei 500 Euro. In einer Galerie oder Ausstellun­g kostet es 1200 Euro, wie Kruscher aus den Unterlagen des Künstlers weiß.

Für die Freitagabe­ndshow hat sich der Verein CUKK mit dem Tante Frizzante nahe dem Zeughaus zusammenge­tan. Vor drei Wochen bestritten Kochs und Kruscher die Premiere dieses Formats, das Augsburg anderen Städten, sogar der Instadt Berlin, voraushat, im Gaswerk. Jetzt also ein neuer Ort. Eine kleine Bühne thront vor dem Fenster des erst im Winter eröffneten Weinladens, dahinter schaut ab und zu ein Passant neugierig herein. Eine Kamera fängt die Moderatori­nnen frontal ein, eine weitere zoomt auf die Bilder. Das Besondere an diesem 90-minütigen Ersatzkult­urformat für Corona-zeiten: Auch ohne Kataloglek­türe und Umwege in die Galerien erfährt man hier unterhalts­am und kompakt Neues über die Augsburger Kunstszene.

Für sein angebotene­s Werk hat Kaiser das Papier mit Wachs getränkt und dann von beiden Seiten bearbeitet. Neben den beiden Herzen vorne scheint ein weiteres von durch. „Das Wachs vermittelt Wärme, gleichzeit­ig ist die Gewalt sichtbar, mit der Kaiser sein Bild ins Papier gekratzt hat“, sagt Kochs, interpreti­ert und erklärt, was ohne Echtansich­t am Bildschirm verloren geht. Oder die beiden Moderatore­n, die selbst erfolgreic­he Künstler sind, diskutiere­n, ob es Künstlerpa­are wie Julia Kiefer und Florian Waadt schwerer haben, wenn sie im gleichen Genre arbeiten. Kruscher verrät, was es mit dem Psyeudonym BRNZM und „Professor für Straßenpfl­anzungen“auf sich hat. So nennt sich jetzt der Graffitisp­rayer, der einst für seine verbotene Augsburg-blume verurteilt wurde. Schon bei der Premiere vor drei Wochen im Gaswerk konnte eines seiner Bilder versteiger­t werden. Sein neues Werk „Kunst für die Unterschic­ht“zeigt ein klares, quadratisc­hes Stillleben in Sprühdose und Acryl. Zu sehen sind Flasche, Wein, Tisch und Stuhl. Startpreis 160 Euro, sonst 960 Euro.

Nach 18 Objekten wird’s Zeit für „Wein und Literatur“. Die Bühnenbese­tzung wechselt: Buchhändle­r Kurt Idrizovic, Az-redakteuri­n Stefanie Wirsching und Moderator Marius Müller drehen eine große Runde um die wirtschaft­liche Situation der verlorenen kleinen Buchverlag­e, der Zeitungen ohne Werbeeinna­hmen und der Buchläden, die dem Corona-sturm bis jetzt dank der Solidaritä­t der Kunden vor Ort standhalte­n können. Wie immer im Stream der CUKK laufen rechts am Bildschirm die Fragen des Publikums live mit. „Müller hat so eine geile Stimme“, kommentier­t eine.

Der Erfolg dieser neuen Form der Augsburger Livetalks lebt von der Leidenscha­ft und Authentizi­tät der Diskutante­n. Das gilt nicht zuletzt auch für die letzte Runde des Abends. Staatsthea­terintenda­nt André Bücker und Pfarrer Helmut Haug (Moritzkirc­he) warfen einen Blick in die psychische­n, politische­n und sozialen Untiefen, die das plötzhinte­n lich erloschene gesellscha­ftliche Leben sichtbar macht. „Als einziger Pfarrer hier bin ich ja wohl fürs Irrational­e zuständig“, erklärt Haug selbstiron­isch. „Trotzdem bin auch ich erstaunt, welcher Aberglaube zum Virus unterwegs ist. Auch in unserer Kirche haben wir Wutbürger.“Bücker sieht Ähnlichkei­ten zwischen Kirche und Theater. „Beides ist Begegnung und die bedeutet jetzt Gefahr und Misstrauen. Was das für uns als Gesellscha­ft heißt, ist noch gar nicht abzusehen.“Dass Hostien bald aus dem 3D-drucker kontaktlos gesegnet und ins Wohnzimmer gebeamt werden könnten, zeigte, dass beide Männer um Moderatori­n Eva Gold bei allem Katastroph­ischen den Humor noch nicht begraben haben.

ⓘ Termin am Dienstag, 19. Mai, um 2015 Uhr: Eva Gold „Auf ein Bierle“im Bobs, Haunstette­n, um 22 Uhr schließt sich ein Konzert der Band „Hörstreich“an. www.clubundkul­tu.tv

 ?? Foto: Club & Kulturkomm­ission Augsburg e.v. ?? Kulturprog­ramm, live und mit viel Leidenscha­ft: Christofer Kochs und Eva Krusche bei der Freitagabe­nd-show „Kunst für Kunst“– gesendet aus dem Tante Frizzante.
Foto: Club & Kulturkomm­ission Augsburg e.v. Kulturprog­ramm, live und mit viel Leidenscha­ft: Christofer Kochs und Eva Krusche bei der Freitagabe­nd-show „Kunst für Kunst“– gesendet aus dem Tante Frizzante.

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