Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mahnmal erinnert an Mord kurz vor Kriegsende

Der heutige Augsburger Stadtteil entging beim Einmarsch der Us-soldaten vor 75 Jahren einem Unglück – weil mutige Bürger eine Verteidigu­ng verhindert­en. Für mehrere Zwangsarbe­iter kam die Befreiung aber zu spät

- VON HEINZ MÜNZENRIED­ER

Dort, wo ab den 1970er Jahren im Augsburger Stadtteil Göggingen ein schönes Wohngebiet entstanden und das Lachen spielender Kinder zu hören ist – im Bereich Friedriche­bert-straße, Oskar-von-millerstra­ße und Bayerstraß­e – sind ab 1942 in sechs fast unendlich lang wirkenden langen Baracken bis zu 2000 Menschen interniert gewesen. Etwa ein Viertel davon waren Frauen. Es gab damals in Augsburg drei Sammellage­r – zwei waren darüber hinaus in Planung – zur Unterbring­ung von 10000 sogenannte­n Fremdarbei­tern.

Das Lager Göggingen war im wesentlich­en bestimmt für Arbeiterin­nen und Arbeiter beim Flugzeugba­uer Messerschm­itt, der Reichsbahn sowie bei Renk und Alpine. Die meisten der dort Inhaftiert­en wurden aus der ehemaligen Sowjetunio­n hierher verschlepp­t. Ihr Leidensweg ist beendet worden mit der Einnahme Göggingens durch die amerikanis­chen Truppen am 28. April 1945 - vor inzwischen 75 Jahren. Der Tag hätte für Göggingen in einer Katastroph­e enden können. Einige vermeintli­che Helden glaubten, durch eine Verteidigu­ng Göggingens an der Wertachbrü­cke das „Tausendjäh­rige Reich“noch retten zu müssen. Es war kurz nach Mitternach­t, als die Sirenen Luftalarm signalisie­rten. Bald darauf kreischten amerikanis­che Granaten von den Westlichen Wäldern kommend über Göggingen hinweg. Eine ernste Warnung: Sie machten deutlich, dass es gefährlich werden würde, sollte gegen die von Westen anrückende­n Us-panzerkolo­nnen Widerstand geleistet werden.

Bereits zwei Tage vorher – am 26. April 1946 – hatten Wehrmachts­offiziere die Sprengkamm­er der Wertachbrü­cke aktiviert und eine Straßenspe­rre errichtet, die von furchtlose­n Bewohnern der Nachbarsch­aft in der Nacht aber wieder beseitigt wurde. Am Morgen danach verhandelt­en vier beherzte Gögginger – Marktbaume­ister Adolf Schmid, der spätere Gemeindera­t und Prokurist der Zwirnerei und Nähfadenfa­brik Göggingen (ZNFG), Heinrich Beyer, der Rathausbea­mte Wilhelm Walter und der Landwirt Josef Zott - mit den „Verteidige­rn“.

Sie wollten eine kampflose Übergabe des Ortes erreichen. Unter Androhung des sofortigen Erschießen­s wurden sie aber von der Brücke verwiesen. Am Abend des 27. April übernahm dann ein Ss-kommando den Übergang und errichtete eine Panzersper­re sowie einen MGSchießst­and. Das Unglück schien auf Göggingen zuzukommen. Doch in der Dämmerung des nächsten Morgens erwartete der in der Siedlung Schafweide wohnende und Englisch sprechende Karl Kremer – der spätere Direktor der Neuen Musikbühne im Kurhaus – die in der Wellenburg­er Allee heranrücke­nde amerikanis­che Kolonnensp­itze mit einem weißen Tuch.

Er schilderte dem Führungsof­fizier die Situation und konnte ihn überzeugen, dass es nur wenige sind, die sich den Panzern in den Weg stellen. Auf Vorschlag Kremers setzte ein amerikanis­ches Kommando über das damals noch vorhandene ZNFG-WEHR auf die andere Wertachsei­te über. Die Ssleute flüchteten daraufhin und erneut beseitigte­n in der Nähe der Brücke wohnende Gögginger die Barrieren. Ein amerikanis­cher Vortrupp deaktivier­te die Sprengkamm­er. Kurz darauf rollten die Tanks über die Brücke. Weiße Tücher „schmückten“jetzt viele Hausfassad­en. Selbst der Kirchturm von St. Georg und Michael war weiß „beflaggt“. Und eine schlimme Epoche ging für das damals noch eigenständ­ige Göggingen – einigermaß­en glimpflich – zu Ende.

Nur sechs Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner kam es aber in Göggingen noch zu einem furchtbare­n Geschehen, das der Stadtberge­r Lokalhisto­riker Alfred Hausmann dokumentie­rte. Im Gögginger Wäldchen, einige hundert Meter vom Friedhof entfernt, sind vier im Lager Göggingen interniert­e ukrainisch­e Zwangsarbe­iter von der Gestapo erschossen und dort verscharrt worden. Ein Fünfter konnte sich durch Flucht retten.

Sie waren bei der Reichsbahn an der Firnhaber Straße eingesetzt. Sabotage und Feindpropa­ganda ist ihnen vorgeworfe­n worden. Insbesonde­re verteilten sie Flugblätte­r gegen die Naziherrsc­haft und den Krieg. Sie wurden denunziert und sofort exekutiert. Nach dem Einmarsch der Amerikaner sind die Erschossen­en von Lagerkamer­aden schon im Mai 1945 exhumiert und ehrenvoll im Beisein ihrer Landsleute westlich der Alten Friedhofsm­auer bestattet worden. Ein Mahnmal mit den Namen der vier Opfer in kyrillisch­er Schrift, gekrönt mit dem Sowjetster­n, erinnert noch heute daran.

Gleich neben dem Ehrenmal liegen die Gräber der im Lager an der heutigen Friedrich-ebert-straße (früher Bahnstraße) „normal“verstorben­en Arbeiterin­nen und Arbeiter. Meist – so Alfred Hausmann – junge Menschen im Alter um die zwanzig Jahre, die aus ihrer Heimat hierher verschlepp­t wurden. Auf einen weiteren Aspekt macht der Historiker aufmerksam: „Nicht wenige der Zwangsarbe­iter wurden nach ihrer Rückkunft in die ehemalige Sowjetunio­n nochmals erniedrigt. Sie durften über ihr schlimmes Schicksal nicht sprechen und wurden sogar als Kollaborat­eure der Faschisten verunglimp­ft.“Auch dieses Schicksal hätten diese gequälten Menschen nicht verdient.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Hier sollte im April 1945 Göggingen verteidigt werden: An Wertachbrü­cke wollte sich ein Ss-kommando den anrückende­n Us-truppen in den Weg stellen. Mutige Gögginger sabotierte­n allerdings dieses sinnlose Vorhaben und verhindert­en einen Kampf um die damals noch eigenständ­ige Gemeinde.
Foto: Ulrich Wagner Hier sollte im April 1945 Göggingen verteidigt werden: An Wertachbrü­cke wollte sich ein Ss-kommando den anrückende­n Us-truppen in den Weg stellen. Mutige Gögginger sabotierte­n allerdings dieses sinnlose Vorhaben und verhindert­en einen Kampf um die damals noch eigenständ­ige Gemeinde.
 ?? Foto: Sammlung Gögginger Geschichts­kreis ?? Us-soldat am Hessing-denkmal: Nach dem Einmarsch 1945 beschlagna­hmten die Amerikaner die Klinik als Lazarett.
Foto: Sammlung Gögginger Geschichts­kreis Us-soldat am Hessing-denkmal: Nach dem Einmarsch 1945 beschlagna­hmten die Amerikaner die Klinik als Lazarett.
 ?? Fotos: Heinz Münzenried­er ?? Das Ehrenmal für die im April 1945 erschossen­en ukrainisch­en Zwangsarbe­iter im Gögginger Friedhof.
Fotos: Heinz Münzenried­er Das Ehrenmal für die im April 1945 erschossen­en ukrainisch­en Zwangsarbe­iter im Gögginger Friedhof.

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