Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das Leben war wieder leichter
Isabella Hiemeyer, Augsburg
Im Frühjahr 1945 war ich acht Jahre alt. Es war eine sehr aufregende Zeit und seit dem langen und schrecklichen Großangriff im Februar 1944 war nichts mehr, wie es früher war, alle Menschen lebten ständig in Angst. Wir Kinder konnten nur sehr unregelmäßig zur Schule gehen – oft wusste man nicht, war Unterricht oder fiel er aus.
Sehr lebhaft erinnere ich mich an unzählige Männer in schmutzigen Soldatenuniformen, die zu Fuß oder mit alten Fahrrädern unterwegs waren. Sie klingelten an unserer Haustüre und baten um Kleidung aller Art. In Eile entledigten sie sich ihrer Uniformen – und meist wollten sie auch etwas zu essen. Meine Mutter kochte damals viele Teller Suppe oder gab ihnen Malzkaffee mit Marmeladebro- ten. Sie erklärte mir damals, dass diese Männer Soldaten waren und nun zu ihren Familien nach Hause wollten.
Dann lag plötzlich eine Spannung in der Luft und es hieß, der Krieg sei zu Ende und die Amerikaner würden bei uns einmarschieren. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen, wahrscheinlich wussten die Erwachsenen manches aus den Radionachrichten. Ziemlich überstürzt fuhr meine Mutter mit mir per Zug nach Mindelheim zu meiner Oma, die dort alleine lebte.
Dann ging alles ganz schnell – unzählige olivfarbene Panzer und Laster rollten langsam durch Mindelheim. Es waren Unmengen an Fahrzeugen, auch Jeeps dazwischen, und alle vollgepackt mit Soldaten, Munition und bestimmt viel Proviant für diese vielen Menschen. Die Soldaten schauten ganz freundlich auf uns Kinder am Straßenrand und in den Gärten – und warfen uns Kekse, Orangen und Schokolade zu. Ich fand das alles unglaublich. Es war fast wie im Märchen.
Nach ein paar Tagen wurde das Haus meiner Oma zum Teil beschlagnahmt, unten richteten die Soldaten ein Büro ein, oben durften meine Oma, meine Mutter und ich wohnen bleiben. Als ein höherer
Offizier mit schöner Uniform unsere Wohnung oben besichtigte, entdeckte er im Gewehrschrank meines verstorbenen Opas mehrere Gewehre. Er schaute sehr überrascht. Da war es gut, dass meine Mutter mit ihrem Schulenglisch erklären konnte, mein Opa sei Sportschütze gewesen, und anhand der Bilder und Pokale war es ja gut zu sehen. „Schaffen Sie die Gewehre weg“, meinte der Offizier, „sonst bekommen Sie Schwierigkeiten.“
In der Küche sah er dann ein Körbchen mit Eiern stehen, die wir vom Bauern nebenan hatten. Die wollte er gerne haben, meinte er ganz nett, nahm sie und ging die Treppe runter. Meine Mutter war nach all den Aufregungen total erleichtert, sie hatte befürchtet, dass auch der obere Teil des Hauses von der Armee besetzt werden würde. Doch eines war klar– mit der amerikanischen Besatzung hatten wir in Bayern großes Glück. Eines Morgens entdeckte ich in der Wiese des Bauern neben uns ein kleines Flugzeug. Mehrere amerikanische Soldaten standen ringsum und lächelten mir zu. Nach einer Weile sagte einer in Deutsch, ob ich mitfliegen wollte. Ich solle meine Mama fragen und sie holen. Ich glaube, ich hätte vor diesem Abenteuer Angst gehabt und war ganz froh, dass es meine Mutter nicht erlaubte.
Nach Wochen begann wieder die Schule, ich war zurück in Augsburg und langsam kehrte Normalität ein. Es gab Schulspeisung mit dicker Erbsensuppe und Würsten, aber auch wunderbare Schokolade und Kakao mit Hefenudeln.
Und natürlich das Tollste war, es gab keinen Fliegeralarm mehr, keine gefährlichen Tiefflieger, man hatte keine Angst mehr und durfte abends im Zimmer Licht brennen lassen, ohne die Fensterläden zu schließen. Das Leben und der Alltag waren wieder leichter und lustiger, es gab langsam mehr zu kaufen. Meine Mutter konnte an Feiertagen Kuchen backen und an Weihnachten gab es aus Kunsthonig Lebkuchen.