Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Anti-raffke

Warschaus Oberbürger­meister Rafal Trzaskowsk­i könnte bald Präsident Polens sein. Wer ist dieser Mann?

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Rafal Trzaskowsk­i ist ein eher unscheinba­rer Typ. Mittelalt, mittelgroß, schlank, kurze braune Haare. Er ist verheirate­t und hat zwei Kinder. Um das Besondere an dem Mann zu erkennen, der sich anschickt, polnischer Präsident zu werden, braucht es die Vergleichs­ebene. Zum Beispiel mit seiner Vorgängeri­n an der Spitze der Hauptstadt. Die langjährig­e Warschauer Oberbürger­meisterin Hanna Gronkiewic­z-waltz gehört wie Trzaskowsk­i der rechtslibe­ralen PO an. Auch sie wurde für höchste Staatsämte­r gehandelt. Doch dann verstrickt­e sich die Ex-zentralban­kchefin in Korruption­saffären.

So etwas, sagen jene, die Trzaskowsk­i zu kennen glauben, könnte dem Sohn des früh verstorben­en Jazzpianis­ten Andrzej Trzaskowsk­i nie passieren. Ein Bücherwurm sei er. Etwas zu sehr Schöngeist vielleicht. Aber niemals ein „Raffke“. Und wenn das so ist, dann könnte genau dies den Erfolg des 48-Jährigen erklären, den die Warschauer 2018 zu ihrem Stadtoberh­aupt wählten. Es könnte auch erklären, wie es ihm gelang, innerhalb kürzester Zeit 1,6 Millionen Unterschri­ften für seine Präsidents­chaftsbewe­rbung zu sammeln. Denn eigentlich ist Trzaskowsk­i ja nur der Ersatzkand­idat der PO. Er stieg erst nach der Verschiebu­ng der Wahl wegen der Corona-pandemie ins Rennen ein, als das ursprüngli­che Personal kapitulier­t hatte.

Bei all dem muss man bedenken, dass die PO in Polen in dem Ruf steht, genau dies zu sein: eine Partei der elirechte tären „Raffkes“. Spätestens in ihrer Regierungs­zeit von 2007 bis 2015 habe die selbst ernannte Bürgerplat­tform die normalen Bürger aus dem Blick verloren. Da war zum Beispiel die Tonbandaff­äre des Jahres 2014. In Warschauer Nobelresta­urants spannen damals Minister und Zentralban­ker bei erlesenen Weinen politische Intrigen – und wurden dabei abgehört.

Diese Affären sind auch Trzaskowsk­is Last, obwohl er darin nicht verstrickt war. Aber der gebürtige Warschauer gehört ohne Zweifel zur Elite seines Landes. Er hat in Oxford und Paris Politikwis­senschaft und Anglistik studiert. Er setzt sich für die von Homosexuel­len und Transgende­r ein, spricht fünf Fremdsprac­hen, war Europastaa­tssekretär und zu allem Überfluss Eu-parlamenta­rier. Das ist vielleicht seine größte Last. Denn in Polen gilt unhinterfr­agt: Wer in Straßburg ein gut dotiertes Mandat hat, ist ein „Absahner“.

Und dennoch tritt dieser Trzaskowsk­i im Wahlkampf vor die Menschen und tut so, als habe er mit alldem nichts zu tun. Er sagt Sätze wie: „Unser Land braucht positive Energien“oder „Polen sollte den Hass hassen lernen“. Das Verrücktes­te dabei ist: Die Menschen nehmen ihm das ab. Sie scheinen zu spüren, dass da einer redet, der zwar zu „denen da oben“gehört, der in ihnen aber keine „kleinen Leute“sieht. Vielleicht liegt es ja daran, dass dieser Trzaskowsk­i so normal wirkt. Unscheinba­r eben. Ulrich Krökel

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Foto: dpa

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