Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sind zehn Euro Lohn für Corona-helden genug?

Am Dienstag präsentier­t die zuständige Kommission ihre Empfehlung für die Anhebung der Untergrenz­e. Die Entscheidu­ng fällt in die schwerste Wirtschaft­skrise seit dem Ende des Krieges

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Was ist gerechter Heldenlohn? Diese Frage müssen am Dienstag die neun Mitglieder der Mindestloh­nkommissio­n entscheide­n. Taxifahrer, Verkäuferi­nnen, Erntehelfe­r und Wachmänner konnten in der Krise nicht in das geschützte Homeoffice wechseln, sondern haben gearbeitet und sich der Ansteckung­sgefahr ausgesetzt. Sie haben dafür gesorgt, dass die Versorgung Deutschlan­ds funktionie­rt hat. Applaus wurde gespendet, Anerkennun­g versproche­n.

Doch weil der Kampf gegen das Coronaviru­s die Wirtschaft heftig einbrechen lässt, könnte es für die Corona-helden beim billigen Beifall bleiben. Denn Millionen Stellen sind durch den tiefen Einbruch der Konjunktur bedroht. Steigt der Mindestloh­n ab Januar 2021, könnten noch mehr Arbeitsplä­tze vernichtet werden, weil es sich für Unternehme­n nicht mehr rechnet. Gewerkscha­fter und Arbeitgebe­r, die dominieren­den Kräfte in der Kommission, kämpfen an dieser Klippe.

Stefan Körzell steht aufseiten der Beschäftig­ten. Er sitzt im Vorstand des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) und in der Mindestloh­nkommissio­n. Er will, dass sich die

Beschäftig­en in den Niedrigloh­nbereichen nicht nur am Applaus wärmen können. „Dass sie sich jetzt in Verzicht üben sollen, kommt nicht infrage“, meint Körzell. Er will, dass die Lohnunterg­renze mit dem neuen Jahr auf oder über die symbolisch­e Marke von zehn Euro brutto gehoben wird. Aktuell liegt sie bei 9,35 Euro. Wer zu diesem Satz in Vollzeit arbeitet, bekommt am Monatsende 1621 Euro vor Steuern und Abgaben, hat das Statistisc­he Bundesamt

errechnet. Der Durchschni­ttslohn in Deutschlan­d liegt bei knapp über 4000 Euro.

Ginge es nach der reinen Mathematik, würde die Zehn-euro-marke nicht fallen. Bereits zu Beginn des Jahres war bekannt geworden, dass der Mindestloh­n nur auf 9,82 Euro klettern würde, wenn die Kommission allein den reinen Tarifverla­uf anlegt. Denn ein wichtiges Kriterium für die Festsetzun­g der Minimalbez­ahlung ist die durchschni­ttliche Entwicklun­g der Tariflöhne. Während die Gewerkscha­ften zehn Euro erstreiten wollen, erinnern die Vertreter der Wirtschaft daran, dass die Konjunktur gerade einen Absturz hinlegt. Er habe kein Verständni­s dafür, „wenn sich in diesen Zeiten Politik und Gewerkscha­ften mit öffentlich­en Vorschläge­n geradezu überschlag­en“, sagt Steffen Kampeter, Geschäftsf­ührer der Arbeitgebe­rvereinigu­ng BDA. Kampeter gehört der Kommission an und ist dort der Widerpart Körzells. Unterstütz­ung erhält er von dem bekannten Wirtschaft­sprofessor Marcel Fratzscher. „Ich würde es für einen Fehler halten, wenn der Mindestloh­n erhöht würde. In dieser Krise muss es das oberste Prinzip sein, Arbeitsplä­tze zu sichern“, sagte der Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) unserer Redaktion. In der Tat muss die Kommission darauf achten, dass eine Anhebung der

Lohnunterg­renze keine Jobs vernichtet. In den Jahren des Aufschwung­s war das kein Thema, aber die Situation heute ist eine völlig andere. „Die Beschäftig­ungseffekt­e des Mindestloh­ns treten nicht in guten Zeiten auf“, sagt Fratzscher.

Die Arbeitnehm­erseite geht allerdings auch nicht ohne Rückendeck­ung in die finale Runde. Der Chef des gewerkscha­ftsnahen Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) Sebastian Dullien rät zur Anhebung des Mindestloh­ns. „Würde der Mindestloh­n nicht angehoben, hätten wir ein soziales Problem“, erklärt Dullien im Gespräch mit unserer Redaktion. Es würde diejenigen treffen, die in den harten Krisenwoch­en in der ersten Reihe gestanden hätten. Dullien schlägt daher vor, dass die Kommission einen Zweischrit­t machen soll. Da ihre Empfehlung­en über zwei Jahre reichen, sollten sie „zunächst zurückhalt­ender erhöhen und dann am Ende stärker drauflegen“.

Eine aktuelle Auswertung des Statistisc­hen Bundesamte­s zeigt, dass rund zwei Millionen Beschäftig­te von der bislang letzten Steigerung des Mindestloh­ns zum Jahresbegi­nn profitiert haben. Hierzuland­e arbeiten 3,5 Prozent aller Beschäftig­en zum niedrigste­n Tarif.

Gewerkscha­fter Körzell: Applaus alleine reicht nicht

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Foto: Jens Büttner, dpa Arbeiten unter erschwerte­n Bedingunge­n: Auch viele Friseusen würden von der Anhebung des Mindestloh­nes profitiere­n.

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