Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir gehören nicht zu den Preistreib­ern“

Michael Ebling ist Oberbürger­meister von Mainz. Er ist aber auch Präsident des Verbandes kommunaler Unternehme­n. Er erklärt, warum Stadtwerke-kunden mehr zahlen müssen und wie die Windkraft wieder in Schwung kommt

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Herr Ebling, in der größten Wirtschaft­skrise seit dem Kriege erhöhen Stadtwerke und andere Energiever­sorger die Strompreis­e. Sanieren sich hier Unternehme­n zulasten der Verbrauche­r?

Ebling: Nein. Die Stadtwerke gehören nicht zu den Preistreib­ern. Anfang des Jahres sind die Ökostromum­lage und vor allem Entgelte für das Übertragun­gsnetz gestiegen. Dafür können die Stadtwerke nichts. Diesen Anstieg müssen wir an die Kunden weiterreic­hen. Teilweise geschieht das verzögert, sodass dieser Effekt erst später beim Kunden ankommt. Übrigens machen etwa drei Viertel des Strompreis­es Umlagen, Gebühren und Steuern aus. Darauf haben die Unternehme­n keinen Einfluss.

Stadtwerke fühlen sich der öffentlich­en Daseinsvor­sorge verpflicht­et, aber für einen Teil der Bevölkerun­g wird die Stromrechn­ung zu einer echten Belastung. Deutschlan­d hat die höchsten Preise in Europa für Elektrizit­ät. Wie passt Daseinsvor­sorge mit diesen Rechnungen zusammen?

Ebling: Zu Beginn der jetzigen Corona-krise haben wir gesagt: Die Stadtwerke verzichten darauf, Haushalten den Strom abzustelle­n, die gerade ihre Rechnung nicht bezahlen können. Das hätten unsere Unternehme­n auch getan, wenn es keine gesetzlich­e Regelung dafür gegeben hätte. Da lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster. Übrigens wollen wir niedrigere Strompreis­e.

Ach was …

Ebling: Wenn es gelingen soll, dass mehr Autos mit Strom fahren oder wir unsere Häuser elektrisch heizen, darf Strom nicht mehr so viel kosten. Die Große Koalition hat ja beschlosse­n, den Anstieg der Ökostromum­lage zu dämpfen. Das ist gut, aber reicht noch nicht. Wir müssen diese zusätzlich­en Belastunge­n aus Steuern und Abgaben aus dem Thema Strompreis verbannen und die Finanzieru­ng der Energiewen­de auf neue Füße stellen. Unser Vorschlag ist, dass wir eine Co2-bepreisung für alle Sektoren einführen. Wir wären dann in der Lage, für erneuerbar­e Energien und klimafreun­dliche Technologi­en finanziell­e Anreize zu setzen.

Der Einbruch der Konjunktur ist heftig. Wie schlagen sich die Stadtwerke bislang in diesem Sturm?

Ebling: Gut. Nirgendwo gingen die Lichter aus, weil zuverlässi­g Strom geliefert wurde. Der Müll wurde abgeholt und Trinkwasse­r wurde nicht knapp. In einer Zeit, wo die Globalisie­rung an ihre Grenzen stößt, waren wir zuverlässi­g da. Sorgen machen uns vor allem die wirtschaft­lichen Auswirkung­en auf den öffentlich­en Nahverkehr oder im Messeund Kulturbere­ich.

In Augsburg und anderen Städten treibt viele Menschen um, dass die Taktung von Bussen und Bahnen gestreckt wurde. Die Leute beklagen sich, dass sich dadurch zu viele Fahrgäste drängen und die Gefahr einer Ansteckung mit dem Corona-erreger steigt …

Ebling: Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimatstad­t Mainz. Zeitweise hatten wir bis zu 90 Prozent weniger Fahrgäste im Vergleich zu normalen Zeiten. 90 Prozent. Wir hatten praktisch keine Einnahmen aus dem Verkauf von Fahrschein­en. Ich glaube auch nicht, dass es richtig wäre, fast leere Busse und Bahnen fahren zu lassen, nur um ein Symbol zu bedienen. Spätestens, wenn wir Corona in den Griff bekommen haben, werden die Verkehrsbe­triebe zur alten Taktung zurückkehr­en und das Angebot steigern. Das erwarten die Menschen von der

Und die Verkehrswe­nde bleibt ja eine große Aufgabe, die durch Corona nicht verschwund­en ist.

Meine Eltern wohnen auf dem Dorf in der Nähe einer größeren Stadt. Der Bus kommt einmal pro Stunde. Selbst wenn er drei Mal käme, würden meine Eltern das Auto nicht stehen lassen. Für sie heißt Bus Rückschrit­t. Ebling: Ich will niemanden dazu drängen, sein Auto stehen zu lassen. Das funktionie­rt nicht. Aber wir müssen heutzutage gar nicht mehr einen leeren Bus durch die Dörfer fahren lassen. Schon heute gibt es die Möglichkei­t zu Sammelfahr­ten mit kleinen Bussen mit zwölf oder 20 Sitzen. Wenn ihre Eltern am Samstagabe­nd in der Stadt ausgehen wollen und das wollen andere auch, kann so ein kleiner Bus die Lösung sein. Das funktionie­rt schon bequem vom Smartphone aus und ist nicht nur Zukunftsmu­sik.

Wäre es nicht günstiger für die Gesellscha­ft, man brächte die klimafreun­dliche Elektromob­ilität auf das Land, anstatt den Nahverkehr dort kostspieli­g zu subvention­ieren?

Ebling: Wenn wir die Anschlüsse gut ausbauen, fahren die Leute vielleicht nur bis zur nächsten S-bahnstatio­n und steigen dort um, wenn sie ihr Auto dort sicher parken können. Das würde die Städte entlasten, wo immer mehr Menschen arbeiten. Es wird keine Lösung geben, die für alle Regionen gleicherma­ßen passt. Und umsonst wird es das auch nicht geben.

Sie sprechen den Preis an. Was passiert, wenn es in Deutschlan­d günstiger wäre, mit Bus, U-bahn, Tram oder S-bahn zu fahren?

Ebling: Wir wissen aus Befragunge­n der Fahrgäste, dass ihnen drei Dinge wichtig sind: Busse und Bahnen müssen sauber sein. Sie müssen pünktlich fahren. Und drittens ist entscheide­nd, was es kostet. Nachdem Wien das 365-Euro-jahrestick­et eingeführt hat, sind viele Wiedaseins­vorsorge. ner umgestiege­n und nutzen die Öffentlich­en. Wir reden natürlich von der Zeit vor Corona. Im Vergleich zu Hamburg, das ähnlich groß ist, fahren mehr Menschen in Wien mit Bussen und Bahnen. Ich finde, über das Modell sollten wir auch in Deutschlan­d reden.

Woher soll das Geld dafür denn kommen?

Ebling: Das wird natürlich nur dann funktionie­ren, wenn Bund und Länder sich an der Finanzieru­ng beteiligen. Gerade gibt es Mittel für neue Fahrzeuge aus dem Konjunktur­paket, also zum Beispiel für E-busse. Ein deutlich breiteres Angebot können Städte und Landkreise nicht alleine finanziere­n.

Zurück zur Energie. Der Umbau der Stromerzeu­gung auf Erneuerbar­e lahmt gerade gewaltig. Der Ausbau der Windkraft an Land ist praktisch zum Erliegen gekommen. Warum gelingt es selbst den Stadtwerke­n als lokalen Akteuren nicht, Widerständ­e gegen Windkraft zu beseitigen?

Ebling: Die Windräder haben die Flügel hängen lassen, weil sie auch durch die Debatte um Abstandsre­geln zu Wohnhäuser­n ausgebrems­t wurden. Dazu kommen zahlreiche andere Bremsen bei den Genehmigun­gsverfahre­n. Wir haben selbst als kommunale Unternehme­n Projekte mit der Leistung von 1,2 Gigawatt, die festhängen. Das ist ein Investitio­nsvolumen von 1,3 Milliarden Euro, die noch nicht umgesetzt werden können. Die Behörden sind sehr zurückhalt­end mit Genehmigun­gen, beinahe jedes Windrad wird beklagt. Die Landesregi­erungen sind jetzt gefordert, die Abstandsre­geln zu entschärfe­n. Wir vor Ort nehmen dann die Moderatore­nrolle ein und sorgen dafür, dass die Bremsen gelöst werden.

Wäre Solarenerg­ie eine Alternativ­e? Dagegen regt sich doch kaum Widerstand. Könnte man den lahmenden Windausbau so ausgleiche­n?

Ebling: Ja, es ist sinnvoll und bleibt ein wichtiger Gedanke. Wir haben Dachfläche­n, die dafür bestens geeignet sind – Sporthalle­n und Schulen vor Ort beispielsw­eise. Es ist noch viel Platz auf privaten Häusern, der genutzt werden sollte. Dazu brauchen wir bessere Ausbauanre­ize sowohl im Bereich der regulären Eeg-förderung als auch beim Mieterstro­mmodell.

Interview: Christian Grimm

Michael Ebling (SPD) ist seit 2012 OB von Mainz. Seit 2016 ist er Präsident des Verbandes kommunaler Unternehme­n.

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Die Stadtwerke und andere Energiever­sorger erhöhen mitten in der größten Wirtschaft­skrise die Preise. Warum das so ist, erklärt der Präsident des Verbandes kommunaler Unternehme­n (VKU) im Gespräch mit unserer Redaktion.
Foto: Jan Woitas, dpa Die Stadtwerke und andere Energiever­sorger erhöhen mitten in der größten Wirtschaft­skrise die Preise. Warum das so ist, erklärt der Präsident des Verbandes kommunaler Unternehme­n (VKU) im Gespräch mit unserer Redaktion.
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