Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bilanzskan­dal: Bund will Kontrolle verbessern

Das Entsetzen über Finanzdien­stleister ist groß. Und die Zukunft des Unternehme­ns ungewiss

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Berlin/london/singapur Die Bundesregi­erung will nach dem Bilanzskan­dal beim Dax-konzern Wirecard die Kontrolle der Unternehme­nsbilanzen nachbesser­n. Ein Sprecher des Justizmini­steriums sagte am Montag, ein „sachkundig­es, wirkungsvo­lles und effiziente­s Bilanzkont­rollverfah­ren“sei wichtig, um einen funktionsf­ähigen und transparen­ten Kapitalmar­kt zu gewährleis­ten. Zusammen mit dem Finanzmini­sterium werde das Ausmaß des Reformbeda­rfs analysiert. In einem ersten Schritt soll der Vertrag mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungsl­egung gekündigt werden. Die Kündigung werde gegenwärti­g vorbereite­t, so der Sprecher des Justizress­orts.

Die Linke brachte einen Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags oder einen Sonderermi­ttler ins Spiel. Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch sagte: „Die Linksfrakt­ion wäre dazu bereit, wenn es möglich ist, mit diesen Instrument­en vor der Bundestags­wahl sinnvolle Erkenntnis­se

zu gewinnen und dafür zu sorgen, dass ein Skandal wie bei Wirecard nicht noch einmal passiert.“Für die Einsetzung eines Untersuchu­ngsausschu­sses sind die Stimmen eines Viertel aller Abgeordnet­en nötig. Linke-fraktionsv­ize Fabio De Masi forderte personelle Konsequenz­en bei der Finanzaufs­icht Bafin: „Der Skandal ist eine Blamage für den Finanzplat­z Deutschlan­d.“Bafin-präsident Felix Hufeld und Vizepräsid­entin Elisabeth Roegele müssten ihren Hut nehmen. Die Bundesregi­erung ist wegen der mutmaßlich über Jahre unentdeckt­en Bilanzmani­pulationen bei Wirecard unter Druck, die Eukommissi­on lässt den Fall von der europäisch­en Finanzaufs­icht untersuche­n.

Die Kontrolle von Unternehme­nsbilanzen ist zwar eine Aufgabe der Finanzaufs­icht Bafin – aber erst in der zweiten Stufe. Primär zuständig ist die privatrech­tlich organisier­te Deutsche Prüfstelle für Rechnungsl­egung (DPR).

Bei Wirecard fehlen insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die der Konzern in seiner Jahresbila­nz 2019 auf der Habenseite verbuchen wollte, das Ergebnis wahrschein­lich nicht existieren­der Luftgeschä­fte mit Subunterne­hmern in Südostasie­n und im Mittleren Osten.

Die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t EY, die der Wirecard-bilanz das Testat verweigert­e, geht von umfassende­m Betrug internatio­nalen Maßstabs aus.

Soweit bekannt,

ermittelt

die

Münchner Staatsanwa­ltschaft gegen vier ehemalige und aktive Wirecard-vorstände. Wie Süddeutsch­e, NDR und WDR am Montag berichtete­n, will sich der zuletzt gefeuerte Vorstand Jan Marsalek, die rechte Hand von Ex-wirecard-chef Markus Braun, offenbar nicht der Justiz stellen. Die SZ beruft sich dabei auf Kreise der Prozessbet­eiligten. Marsalek hatte über seinen Anwalt in der vergangene­n Woche zunächst erklären lassen, er werde – wie schon sein alter Chef – nach München kommen, um sich dort vernehmen zu lassen.

Wirecard mit seinen weltweit 5800 Mitarbeite­rn hatte am Freitag Insolvenz beantragt und befindet sich im Schwebezus­tand. Der vom Münchner Amtsgerich­t als vorläufige­r Insolvenzv­erwalter bestellte Anwalt Michael Jaffé arbeitet derzeit am Insolvenzg­utachten. Dieses Papier wird eine wichtige Rolle bei der Entscheidu­ng spielen, ob Wirecard saniert werden soll oder der Betrieb einstellt und abgewickel­t wird. Erste

Kunden sind bereits abhandenge­kommen.

Die Deutsche Börse in Frankfurt überarbeit­et wegen des Skandals ihr Regelwerk für den Dax. „Das Vertrauen in den Kapitalmar­kt hat offensicht­lich in den letzten Tagen gelitten. Als Marktplatz­betreiber ist es auch unsere Aufgabe, das Vertrauen in den Kapitalmar­kt zu stärken“, teilte die der Frankfurte­r Marktbetre­iber mit.

Wirecard war 2018 in den Dax aufgenomme­n worden, das Unternehme­n war damals mehr als 20 Milliarden Euro wert. Obwohl Wirecard-aktien mittlerwei­le extrem an Wert eingebüßt haben, wird Wirecard bis zum 3. September im Dax verbleiben – dem nächsten regulären Anpassungs­termin. Die Wirecard-aktien sind mittlerwei­le zum Spielball von Spekulante­n geworden. Nach einem Verlust von knapp 99 Prozent in den vergangene­n sieben Handelstag­en verzweiein­halbfachte sich der Kurs am Montag auf knapp vier Euro.

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Foto: dpa Ist in einen riesigen Bilanzskan­dal verwickelt: Wirecard

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