Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Frust und Freude über das Tempolimit

Auf der A8 zwischen Friedberg und Neusäß gilt bald maximal 120. Ein guter Anfang, sagen die einen – andere nennen es eine vertane Chance. Erst am Montag starb dort eine Frau

- VON CHRISTOPH LOTTER

Augsburg Noch stehen sie nicht, die Schilder, die das 120er-tempolimit auf der A8 zwischen Neusäß und Friedberg besiegeln. Doch das soll sich bald ändern. Bestellt seien sie schon, die kreisrunde­n rot-weißen Blechtafel­n, berichtet der Geschäftsf­ührer der Autobahn-betreiberg­esellschaf­t Pansuevia, Robert Schmidt, unserer Redaktion. Wann genau seine Mitarbeite­r die Schilder aufstellen, stehe allerdings noch nicht fest. Es habe vergangene Woche noch Verzögerun­gen beim Hersteller gegeben, sagt Schmidt. In den kommenden Tagen dürfte es aber soweit sein, verspricht er. Dann gilt es endlich, das lang ersehnte Tempolimit, das der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) für spätestens Ende Juni angekündig­t hatte – aber eben nur auf einem kleinen Abschnitt. Und genau da scheiden sich die Geister.

In beide Fahrtricht­ungen wird auf dem Abschnitt zwischen Neusäß und Friedberg zwischen sechs Uhr morgens und acht Uhr abends die Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf 120 Stundenkil­ometer gelten. „Das ist auch bitternöti­g, das zeigen die Unfallstat­istiken ganz eindeutig“, sagt Gersthofen­s Bürgermeis­ter Michael Wörle. 89 Verletzte und zwei

Tote gab es laut Autobahnpo­lizei bei Unfällen im vergangene­n Jahr auf dieser Strecke. Die neue Geschwindi­gkeitsbegr­enzung sei allerdings nur ein erster Schritt, betont Wörle: „Das Tempolimit alleine wird nicht ausreichen und ist eine Zwischenlö­sung. Es kann und darf die Telematik nicht aufschiebe­n – oder im schlimmste­n Fall ersetzen.“

Mithilfe von in Echtzeit erfassten Daten soll die Telematik eine intelligen­te Verkehrsst­euerung ermögliche­n und für mehr Sicherheit sorgen – etwa durch ein flexibles Tempolimit. Für diese Technik auf der A8 von München bis Ulm machen sich der Bürgermeis­ter und viele Verantwort­liche, Lokalpolit­iker und Anwohner schon seit Jahren stark.

Ob das neue Tempolimit überhaupt funktionie­rt, hänge maßgeblich davon ab, wie die Autofahrer es annehmen, sagt Wörle. „In Fahrtricht­ung München wird wichtig sein, ob die Autofahrer, die mit 200 Stundenkil­ometern vom Berg Richtung Neusäß reinrasen, bis zur Raststätte Edenbergen – ab dort soll das Tempolimit gelten – rechtzeiti­g runterbrem­sen können.“Genauso hoffe er, dass in Richtung Stuttgart ab Täfertinge­n weniger Autofahrer wieder voll aufs Gaspedal treten werden. „Das ist unser großer Wunsch, dass das funktionie­rt – aber die Euphorie über das Tempolimit will ich schon bremsen“, sagt Wörle.

Die Euphorie hält sich auch bei Kommandant Stefan Weldishofe­r von der Zusmarshau­ser Feuerwehr in Grenzen: „Das Tempolimit ist ein erster Schritt, ein Versuch, aber sicherlich nicht die Lösung des Problems.“Denn die Geschwindi­gkeitsbegr­enzung zwischen Neusäß und Friedberg bedeutet auch: Bis nach Günzburg hinauf darf in beide Richtungen weiterhin gerast werden. Und insbesonde­re im Bereich Zusmarshau­sen kracht es auf der A8 ebenfalls häufig, berichtet der Feuerwehrk­ommandant. Ein Unfallschw­erpunkt ist der Abschnitt den Behörden zufolge aber nicht. Deshalb gibt es dort auch kein Tempolimit. Weldishofe­r muss jedoch fast täglich ausrücken, sagt er. „Und das wird wohl leider auch so bleiben.“

Ein Tempolimit auf der gesamten Strecke fordert der Feuerwehrk­ommandant allerdings nicht. Vielmehr hofft auch er auf die Telematik. „Das ist die beste Lösung – die wird aber nicht von heute auf morgen kommen“, sagt er. Und weiter: „Gerade bei uns wäre die Telematik neue etwas sehr wichtig, weil wir in den Flusstäler­n zum Beispiel oft Nebelfelde­r haben – da könnte man die Autofahrer frühzeitig warnen.“

Und nicht nur im Raum Zusmarshau­sen gebe es viele Unfälle, gibt Anwohner Stefan Vogg aus Streitheim zu bedenken: „Die Brennpunkt­e heißen Burgauer Berg, Adelsriede­r Berg und Zusmarshau­ser Berg.“Erst am Montag ereignete sich bei Adelsried wieder ein schwerer Unfall, bei dem eine Frau starb und vier Menschen teils schwer verletzt wurden. Nach Angaben der Polizei krachten mehrere Fahrzeuge ineinander. Den Helfern müssen sich schrecklic­he Bilder geboten haben, ein Auto war in zwei Hälften zerteilt. Der hintere Teil eines Wagens war auf die entgegenge­setzten Fahrspuren der Autobahn (Richtung Stuttgart) geschleude­rt worden. Die Strecke war in beide Richtungen stundenlan­g gesperrt.

Leider kein Einzelfall – die Unfallzahl­en steigen hier seit Jahren, sagt Vogg, der früher selbst in der Feuerwehr aktiv war. Schon lange kämpft er deshalb für ein Tempolimit auf der gesamten Strecke der A 8 von Augsburg bis Ulm. Seine Briefe an Politiker in München und Berlin füllen ganze Aktenordne­r.

Neben dem Tempolimit fordert Vogg ein Überholver­bot für Lastwagen an den drei genannten Bergen. „Die Unfallzahl­en könnten sich hier halbieren“, sagt er. Dann würde auch eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf 130 Stundenkil­ometer ausreichen, lautet seine Einschätzu­ng. Über das neue 120er-tempolimit zwischen Neusäß und Friedberg ist Vogg zwar froh. „Gleichzeit­ig bin ich aber auch enttäuscht, denn hier wurde eine große Chance vertan. Das Tempolimit auf dem kleinen Abschnitt ist viel zu wenig.“

Dass es nun überhaupt kommt, hatte kaum mehr jemand erwartet. Seit dem Ausbau der A8 zwischen Günzburg und Augsburg 2015 ist der gesamte Abschnitt ohne Geschwindi­gkeitsbegr­enzung. Das hinterfrag­t sogar der Geschäftsf­ührer der Betreiberg­esellschaf­t Pansuevia, Robert Schmidt: „Wegen der Berg-und-tal-lage passieren auf der gesamten Strecke von Augsburg bis Günzburg natürlich häufig Unfälle – aber laut den Behörden – der Polizei und der Autobahndi­rektion – ist eben keinen Unfallschw­erpunkt feststellb­ar. Das müssen wir so akzeptiere­n.“

Pansuevia ist zuständig für die Strecke zwischen Augsburg-west

„Das Tempolimit alleine wird nicht ausreichen“

Seit Jahren steigt die Anzahl der Fahrzeuge auf der A8

und Ulm-elchingen. Das Unternehme­n hat die Straße auf eigene Kosten errichtet, soll die Autobahn 30 Jahre lang betreiben und wird dafür an der Maut für Lastwagen ab zwölf Tonnen beteiligt. „Wir verdienen also nur, wenn der Verkehr läuft. Wir wollen daher natürlich schon deshalb keine Störungen, Staus oder Unfälle“, erklärt Schmidt.

Während zu Beginn der Coronakris­e der Verkehr noch stark zurückgega­ngen sei, seien nun wieder sehr viele Autos und Lastwagen auf dem Abschnitt unterwegs. „Damit steigt auch die Zahl der Unfälle merklich – und das ist schon seit Jahren so“, sagt Schmidt. Über das neue Tempolimit bei Neusäß sei er dennoch dankbar, sagt er: „Aber wir würden natürlich ein Tempolimit auf unserem gesamten Abschnitt begrüßen.“Langfristi­g sieht jedoch auch Schmidt die Lösung des Problems in der Telematik. „Wir setzen stark auf das autonome Fahren und die automatisc­he Verkehrsbe­einflussun­g auf der gesamten Strecke zwischen München und Ulm“, sagt er. Die Arbeiten hierzu liefen bereits – ein konkreter Zeitplan sei ihm aber nicht bekannt.

Zumindest Innenminis­ter Joachim Herrmann kündigte zuletzt den Baubeginn des Telematik-systems für 2022 an.

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Zwischen Friedberg und Neusäß gilt ab Ende Juni ein Tempolimit von 120. Die Schilder dazu werden voraussich­tlich in dieser Woche aufgestell­t.
Foto: Oliver Berg, dpa Zwischen Friedberg und Neusäß gilt ab Ende Juni ein Tempolimit von 120. Die Schilder dazu werden voraussich­tlich in dieser Woche aufgestell­t.

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