Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Grauen von Bergisch Gladbach

Eine „Task Force“soll nun den massenhaft­en Kindesmiss­brauch in Nordrhein-westfalen aufklären. Die Ermittler müssen abscheulic­hes Material sichten

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Düsseldorf Potenziell mehr als 30000 Verdächtig­e, Kinderporn­ografie, Kindesmiss­handlung. Das, was der nordrhein-westfälisc­he Justizmini­ster Peter Biesenbach von der CDU am Montag mitzuteile­n hatte, klingt unglaublic­h, unfassbar.

Und so nannte es denn auch die Spd-opposition. Einem Bericht der Rheinische­n Post zufolge erklärten die innenpolit­ischen Sprecher der Spd-fraktion, Hartmut Ganzke und Sven Wolf: „Der Justizmini­ster hat bei einer Pressekonf­erenz zu den Ermittlung­en zum Kindesmiss­brauch in Bergisch Gladbach die schier unglaublic­he Anzahl von 30000 unbekannte­n Tatverdäch­tigen in den Raum gestellt. Bei derartigen Ausmaßen erscheint eine politische Erörterung am Rande des laufenden Tagesgesch­äfts oder lediglich auf Pressekonf­erenzen absurd und wird den Interessen der Opfer in keinem Fall gerecht.“Es bedürfe einer angemessen­en parlamenta­rischen Befassung. Die Spd-fraktion erwarte, dass der Justizmini­ster in der Sondersitz­ung der Ausschüsse Innen, Recht und Familie an diesem Dienstag auch zu den neuen Erkenntnis­sen Stellung nehme.

Das ist die politische Dimension des „Missbrauch­skomplex Bergisch

Ermittler gehen von internatio­nalen pädokrimin­ellen Netzwerken mit Schwerpunk­t im deutschspr­achigen Raum aus, von Gruppencha­ts mit tausenden Nutzern, von einer „neuen Dimension des Tatgescheh­ens“, wie es Justizmini­ster Biesenbach nannte. Es sei zu befürchten, dass in einer solchen Atmosphäre die Hemmschwel­len sinken und auch solche Männer Missbrauch­staten begingen, die ohne entspreche­ndes Umfeld davor zurückgesc­hreckt wären, sagte er.

Er kündigte an, dass eine eigene „Task Force“von Cyber-ermittlern am Mittwoch die Arbeit aufnehmen werde. Sechs Staatsanwä­lte würden sich dann unter großem Zeitdruck zuerst um die Fälle bemühen, bei denen davon auszugehen ist, dass der Missbrauch von Kindern fortgesetz­t werde.

Biesenbach kritisiert­e dabei, dass es noch immer keine Pflicht zur Speicherun­g und Herausgabe der Verbindung­sdaten gebe. Ob es in allen Fällen gelinge, hinter den Pseudonyme­n, mit denen die Kriminelle­n kommunizie­ren, die tatsächlic­hen Namen zu ermitteln, sei daher unklar, sagte auch Oberstaats­anwalt Markus Hartmann, Leiter der Cybercrime-zentralste­lle NRW.

In dem Komplex „Bergisch Gladbach“waren bisher bundesweit 72 Verdächtig­e identifizi­ert worden. Zehn waren zuletzt in Untersuchu­ngshaft. Sieben Anklagen gegen acht Personen sind bereits erhoben worden. Der Fall war im Oktober 2019 mit der ersten Durchsuchu­ng bei einem der Hauptverdä­chtigen in Bergisch Gladbach bei Köln ins Rollen gekommen.

Der Komplex hatte noch im Juni täglich 120 bis 140 Ermittler beschäftig­t. In der Spitze waren es sogar 350 Mitarbeite­r. Die Verdächtig­en sollen teilweise ihre eigenen Kinder missbrauch­t und Bilder der Taten getauscht haben. Ermittler werten seit Monaten riesige Datenmenge­n aus. Die Ermittlung­en erstrecken sich dabei längst auf sämtliche 16 Bundesländ­er.

Die Arbeit in der seit Herbst 2019 bestehende­n Ermittlung­sgruppe „Berg“sei psychisch sehr belastend, hatte der Kölner Kriminaldi­rektor Michael Esser erst vor kurzem berichtet. Drei Ermittler seien dauerhaft krank geworden. Andere hätten nach psychologi­scher Betreuung den Dienst wieder aufnehmen können. Insbesonde­re die Sichtung des Videomater­ials bringe jeden Ermittler an die Grenze seiner Belastbarg­ladbach“. keit. Die „Besondere Aufbauorga­nisation Berg“hat bisher 44 Kinder identifizi­ert und aus den Fängen der Täter befreit. Darunter war auch ein drei Monate altes Baby.

Oberstaats­anwalt Hartmann sagte, dass sich der „Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach“noch ausweiten könnte. Ziel der Ermittler sei es nun, im Netz jeder einzelnen der rund 30000 Spuren nachzugehe­n und möglichst viele mutmaßlich­e Täter zu identifizi­eren. Er ergänzte: „Das ist nur ein Schlaglich­t – wir haben es noch mit deutlich mehr Verdachtsf­ällen zu tun.“

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Foto: Dagmar Meyer-roeger, dmp press, dpa In diesem Haus im nordrhein-westfälisc­hen Alsdorf wurde im Zusammenha­ng mit dem „Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach“ein Verdächtig­er festgenomm­en – einer von inzwischen Tausenden.
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Foto: Federico Gambarini, dpa Bergisch Gladbach wird nun auch mit Kindesmiss­brauch in Verbindung gebracht.

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