Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hamburg: Weltstadt mit Schmerz

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Meist färbt der Charakter einer Stadt auf die beste lokale Fußballman­nschaft ab. Mag sich eine bayerische Metropole gerne als „Weltstadt mit Herz“präsentier­en, so ist sie doch an vielen Ecken von profession­eller Funktional­ität geprägt. Den Namen der Stadt zu nennen, wäre an dieser Stelle unfair. Der FC Bayern aber geht oftmals auch mit der gleichen kühlen Präzision ans Anhäufen der Meistersch­alen. Oder Berlin. Ein bunter Kultur-mix, dem niemand einen Hauch strukturel­len Wirkens angedeihen lassen kann. Gilt für Stadt wie die Hertha.

Doch nicht immer ähnelt der Klub der Metropole, die ihn beheimatet. Ungemach, dein Name sei Hamburg. Elbe, Alster und allerlei Geld haben über Jahrhunder­te hinweg für eine seriöse Gelassenhe­it gesorgt, die sich mit dem hübschen Adjektiv „hanseatisc­h“beschreibe­n lässt. Im Kanon der echten Weltstädte steht Hamburg wegen seiner Weltläufig­keit. Kaufmänner und Kiez, Elbphilhar­monie und Obdachlose. Und dann gibt es eben noch den Hamburger SV und dessen ungezogene­s Geschwiste­rlein, den FC St. Pauli. Sich über den HSV zu erheben sowie Sarkasmus und Ironie über den einstigen Bundesliga-dino zu kübeln, ist reichlich unhanseati­sch. Anderersei­ts erscheint diese Tageszeitu­ng auch vorwiegend im Süden der Republik, in dem eher das Bazitum beheimatet ist. Fakt ist, dass der Hamburger SV nach einer 1:5-Niederlage gegen Sandhausen am letzten Spieltag ein weiteres Jahr in der zweiten Liga spielt. Damit ist die Geschichte auch schon auserzählt. Oder tut es etwas zur Sache, dass Stürmer Aaron Hunt vor geraumer Zeit aufklärte, dass es ihm reichlich egal ist, wer hinter dem HSV Zweiter wird? Oder, dass dem Klub ein Vielfaches des Etats anderer Zweitligis­ten zur Verfügung stand? Oder woher überhaupt dieses Selbstwert­gefühl eines Klubs rührt, der seinen letzten Titel 1987 gewonnen hat? Seitdem ging der Dfb-pokal unter anderem in die Weltstädte Nürnberg, Kaiserslau­tern, Leverkusen und Wolfsburg.

Immerhin kapriziert sich der Spott der Stadt nicht einzig auf den HSV. Beim FC St. Pauli verpflicht­eten sie vor etwas mehr als einem Jahr Jos Luhukay, um aus dem kultigen basisdemok­ratischen Vergnügung­sunternehm­en mit eingeglied­erter Lizenzspie­ler-mannschaft eine dem Leistungsg­edanken verpflicht­ete Profimanns­chaft zu formen. Luhukay hatte irgendwann nicht mehr genug Finger, um sie in sämtliche Wunden zu legen, die er selbst gerissen hatte. Von hanseatisc­her Zurückhalt­ung wollte der Niederländ­er nichts wissen. Einen Tag nach dem letzten Spieltag trennten sich Verein und Trainer. Langweilig wird es in Hamburg nicht – eine echte Weltstadt eben.

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Foto: Witters Mal wieder ein verzweifel­nder Hamburger. Diesmal Jeremy Dudziak.
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