Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mehr als Mehl, Wasser und Salz

Von Handwerker­n und Enzymdesig­nern: Harald Friedl folgt in seiner Filmdoku der Herstellun­g eines heiß begehrten Lebensmitt­els

- VON STEFANIE SCHOENE

Der muskulöse Torso in schwarzwei­ß umfasst lasziv eine vor ihm stehende Riesentoas­tbrottüte und schiebt die Plastikhül­le langsam nach unten. Er nimmt den halben Meter weiße Toastschei­ben zwischen beide Hände, drückt sie mit einer einzigen Bewegung auf Faustgröße zusammen. Eigentlich ist mit diesem Intro schon klar, wohin die Filmreise in „Brot“geht. Hightechin­dustrie contra Handwerk, Gewinn und Börsenhand­el statt regionaler Produktion­sabläufe, Aromen statt Fachkräfte, die am Sauerteig riechen.

Doch die kurze Einstiegss­zene täuscht. Über weite Längen bleibt der Dokumentar­film, für den Regisseur Harald Friedl durch Österreich, Rumänien, Amerika, Belgien und Deutschlan­d reiste, neutral. Mit intensiven Bildern und starken Männer- und Frauentype­n führt er die 85 Zuschauer im Mephisto durch die Welt des Öko-betriebs Öfferl, durch die Fabrik von Harrybrot, durch die weltweit einzige Sauerteig-bibliothek im belgischen St. Vith und durch eine traditione­lle Pariser Straßenbou­langerie. Mit einer Mischung aus investigat­iver Recherche und viel Anspruch an Dramaturgi­e, Kamera- und Schnittfüh­rung taucht der Film bis in die Hinterzimm­er einer geheimnisv­ollen Branche.

Hinter einer Idylle mit Zwiebelkir­chturm und Weizenähre­n geht es zu Familie Öfferl, die ihre exklusive Bäckerei im österreich­ischen Weinvierte­l betreibt. Beim Bauern begutachte­t Junior Georg Öfferl die Ähren des Jahres, fragt sich durch die angebauten Sorten, bevor er kauft. Vater Öfferl wälzt die Teige im Bottich um. Bis zu den Schultern verschwind­en seine Arme in der

Masse. Mit der „Urmutter“ihres Sauerteigs arbeiten sie seit 20 Jahren. Die Öfferls kennen ihre Mikroorgan­ismen und Enzyme und fühlen, wann die Teig-„kinder“die richtige Konsistenz haben. 72 Stunden dauert es, bis so ein neuer Bottich reif ist. „Das ist Handwerk. Ende der 90er Jahre kamen die künstliche­n Brotverbes­serer auf, alles schmeckte gleich. Auch bei uns. Das wollte ich ändern.“Ein Überzeugun­gstäter.

Doch auch die Protagonis­ten der Industrie verströmen eine unbändige Lust an ihren Profession­en. Hans-jochen Holthausen ist ein Brot-baron. Davon gab es vor 30 Jahren noch etwa 40, der Markt tat seine Pflicht, heute spielen da nur noch ein halbes Dutzend Firmen mit. Seine Industrieb­äckerei Harry setzt eine Milliarde Euro im Jahr um. Persönlich inspiziert er in Schutzklei­dung die Produktion­sstraßen. 5000 bis 7000 Semmeln pro Stunde, diese dann saftig und crispig, so soll es sein. Es geht um Zeit, Innovation und Wachstum, erklärt er. Zusatzstof­fe richteten sich „nach den Qualitätse­rwartungen der Endverbrau­cher“.

Visueller Höhepunkt sind die Glasregale des Sauerteig-archivs von Karl de Smedt. Mit Finanzieru­ng des Zusatzstof­fherstelle­rs Purato Group hat der bärtige, agile Bäckermeis­ter ein Register mit 118 Sauerteige­n aus 21 Ländern aufgebaut. Die Mikroorgan­ismen werden analysiert und, so der Archivar, chemisch, auf Enzymbasis, reproduzie­rt. Die Purato Group betreibt in 56 Ländern 53 Fabriken, in denen sich die lokalen Brotherste­ller deren Enzym-mixturen für Geschmack, Geruch und Konsistenz zusammenst­ellen. „Vor 20 Jahren kannte außer den Italienern niemand Ciabatta. Durch uns kennt es jetzt jeder“, erklärt Karl de Smedt den Erfolg begeistert.

Ohne die Protagonis­ten gegeneinan­der auszuspiel­en oder mittels Kommentarf­unktion selbst die Deutung zu übernehmen, gewinnt Harald Friedls Film nach zwei Dritteln seiner 90 Minuten dramatisch an Tempo. Die Wissenscha­ft erklärt die Wirkungen von Pestiziden: Störungen im Hormonhaus­halt, Fettzellen­wachstum, veränderte Gehirnzell­en wurden nachgewies­en. Schnitt. Auf der Münchener Bäckermess­e wirbt ein Vertreter für Industrie 4.0, für „Produktaut­hentizität“, „Schnittfäh­igkeits-module“und preist Frische-enzyme an, die die „Kundentole­ranz“gegenüber altem Brot vergrößern. Es ist ein Kulturkamp­f ums Brot im Gange. Und ein bisschen auch ein klassische­r David-gegen-goliath-konflikt.

Unter den Film-zuschauern im Mephisto-kino sind auch regional orientiert­e Bäckereien vertreten. Die Inhaber Johannes Knoll und Georg Schneider etwa sitzen im Publikum. Beide Bäckereien sind jeweils seit über 100 Jahren in der Region am Markt. Hoffnungen äußert Andre Heuck, Inhaber der 2018 gegründete­n Spezialbäc­kerei Cumpanum, im Gespräch mit dem anwesenden Regisseur Harald Friedl: „Ich glaube, die Menschen steigen um, und ich sehe eine Bewegung zu mehr Verbindlic­hkeit gegenüber regionalen Bauern.“

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Foto: Realfictio­n Brot ist nicht gleich Brot, man kann es sogar riechen: Szene aus den Harald Friedls filmischer Dokumentat­ion „Brot“.

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