Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gustave Flaubert: Frau Bovary (109)

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VMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

ielleicht glaubte sie ihm auch wirklich. Er deutete ein Geheimnis an, von dem die Ehre und das Leben eines dritten Menschen abgehangen hätte.

„Das ist ja nun gleichgült­ig“, sagte sie und sah ihn traurig an. „Ich habe schwer gelitten!“Rudolf meinte philosophi­sch: „So ist das Leben!“

„Hat es wenigstens Ihnen Gutes gebracht, nach unserer Trennung?“fragte sie.

„Ach, nichts Gutes und nichts Schlechtes!“

„Dann wäre es vielleicht besser gewesen, wenn wir damals nicht voneinande­r gegangen wären?“„Ja! Vielleicht!“„Glaubst du das?“fragte sie, indem sie aufseufzen­d ihm näher trat. „Ach Rudolf! Wenn du wüßtest! Ich habe dich sehr lieb gehabt!“

Jetzt war sie es, die seine Hand ergriff. Eine Zeitlang saßen sie mit verschlung­enen Händen da wie damals, am Bundestage der Landwirte. In einer sichtliche­n Regung seines

Stolzes kämpfte er gegen seine eigene Rührung. Da schmiegte sich Emma an seine Brust und sagte:

„Wie hast du nur glauben können, daß ich ohne dich leben sollte! Ein Glück, das man besessen, vergißt man nie! Ich war ganz verzweifel­t! Dem Tode nahe! Ich will dir alles erzählen, du sollst alles erfahren. Aber du! Du hast mich nicht einmal sehen mögen!“

In der Tat war er ihr seit drei Jahren ängstlich aus dem Wege gegangen, in jener natürliche­n Feigheit, die für das starke Geschlecht charakteri­stisch ist. Emma sprach weiter, unter zierlichen Sendungen ihres Kopfes, schmeichle­rischer als eine verliebte Katze.

„Du liebst andre! Gesteh es nur! Ach, ich begreife das ja auch und entschuldi­ge diese anderen! Du hast sie verführt, wie du mich verführt hast. Du bist der geborene Verführer! Hast alles, was uns Frauen verrückt macht. Aber sag! Wollen wir von neuem beginnen? Ja? Sieh, ich lache! Ich bin glücklich!… So rede doch!“Sie sah entzückend aus. Eine Träne zitterte in ihrem Auge, wie eine Wasserperl­e nach einem Gewitter im Kelch einer blauen Blume.

Er zog sie auf seine Knie und strich mit der Hand liebkosend ihr Haar, über das der letzte Sonnenstra­hl wie ein goldner Pfeil hinwegflog, funkelnd im Dämmerlich­t. Sie senkte die Stirn, und er küßte sie leise und sanft auf die Augenlider.

„Du hast geweint?“fragte er. „Warum?“

Da schluchzte sie laut auf. Rudolf hielt das für einen Ausbruch ihrer Liebe, und da sie kein Wort sagte, nahm er ihr Schweigen für eine letzte Scham und rief aus:

„O, verzeih mir! Du bist die einzige, die mir gefällt. Ich war ein Tor, ein Schwächlin­g! Ein Elender! Ich liebe dich! Ich werde dich immer lieben! Aber was hast du? Sag es mir doch!“Er sank ihr zu Füßen.

„So höre!… Ich bin zugrunde gerichtet, Rudolf! Du mußt mir dreitausen­d Franken leihen.“„Ja… aber…“

Er erhob sich langsam, und sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an.

„Du mußt nämlich wissen,“fuhr sie schnell fort, „daß mein Mann sein ganzes Vermögen einem Notar anvertraut hatte. Der ist flüchtig geworden. Wir haben uns Geld geliehen. Die Patienten bezahlten nicht. Übrigens ist der Nachlaßkon­kurs meines Schwiegerv­aters noch nicht zu Ende. Wir werden bald wieder Geld haben. Aber heute fehlen uns dreitausen­d Franken. Deswegen sollen wir gepfändet werden. Und zwar gleich, in einer Stunde! Ich baue auf deine Freundscha­ft, und deshalb bin zu dir gekommen!“

„Aha!“dachte Rudolf und ward plötzlich blaß. „Also darum ist sie gekommen!“Nach einer kleinen Weile sagte er gelassen: „Verehrtest­e, soviel habe ich nicht!“

Er log nicht. Er würde ihr die Summe wohl gegeben haben, wenn er sie da gehabt hätte, obgleich es ihm wie den meisten Menschen unangenehm gewesen wäre, sich großmütig zeigen zu müssen. Von allen Feinden, die über die Liebe herfallen können, ist eine Bitte um Geld der hartherzig­ste und gefährlich­ste.

Sie sah ihn erst lange fest an; dann sagte sie:

„Du hast sie nicht!“Und mehrere Male wiederholt­e sie: „Du hast sie nicht!… Ich hätte mir diese letzte Schmach also ersparen können! Du hast mich nie geliebt! Du bist nicht mehr wert als die andern!“

Sie verriet sich und ihre Frauenehre. Rudolf unterbrach sie und versichert­e, er sei selbst in Verlegenhe­it.

„Ach! Du tust mir sehr leid…“, sagte Emma. „Ja, ungemein!“

Ihre Augen blieben an einer damasziert­en Büchse hängen, die im Gewehrschr­ank blinkte.

„Aber wenn man arm ist, dann kauft man sich keine Flinten mit Silberbesc­hlag, kauft man sich keine Stutzuhr mit Schildpatt­einlagen, keine Reitstöcke mit goldnen Griffen!“Sie berührte einen, der auf dem Tische lag. „Und trägt keine solche Berlocken an der Uhrkette!“Ach, er ließ sich sichtlich nichts abgehen. Das bewies allein das Likörschrä­nkchen im Zimmer. „Ja, dich selber, dich liebst du! Dich und ein gutes Leben! Du hast ein Schloß, Pachthöfe, Wälder! Du reitest die Jagden mit, machst Reisen nach Paris! Und wenn du mir nur das gegeben hättest!“Sie sprach immer lauter und nahm seine mit Brillanten geschmückt­en Manschette­nknöpfe vom Kamin. „Diesen und andern entbehrlic­hen Tand! Geld läßt sich schnell schaffen! Aber nun nicht mehr! Ich will nichts davon haben! Behalt alles!“Sie schleudert­e die beiden Knöpfe weit von sich. Sie schlugen gegen die Wand. Ein Goldkettch­en zerbrach.

„Ich, ach, ich hätte dir alles gegeben, hätte alles verkauft. Mit meinen Händen hätte ich für dich gearbeitet, auf der Straße hätte ich gebettelt, nur um von dir ein Lächeln, einen Blick, ein einziges Dankwort zu erhaschen. Aber du! Du bleibst gemütlich in deinem Lehnstuhl sitzen, als ob du mir nicht schon genug Leid zugefügt hättest! Ohne dich – das weißt du sehr wohl! – hätte ich glücklich sein können! Wer zwang dich dazu? Wolltest du eine Wette gewinnen? Und dabei hast du mir eben noch gesagt, daß du mich liebtest! Ach, hättest du mich doch lieber davongejag­t! Meine Hände sind noch warm von deinen Küssen, und hier auf dem Teppich, hier auf dieser Stelle hast du gekniet und mir ewige Liebe geschworen! Du hast mich immer belogen und betrogen! Mich zwei Jahre lang in dem süßen Wahn des herrlichst­en Gefühls gelassen! Und dann der Plan unsrer Flucht! Erinnerst du dich daran? An deinen Brief, deinen Brief! Er hat mir das Herz zerrissen! Und heute, wo ich zu diesem Manne zurückkehr­e, zu ihm, der reich, glücklich und frei ist, und ihn um eine Hilfe bitte, die der erste beste gewähren würde, wo ich ihn unter Tränen bitte und ihm meine ganze Liebe wiederbrin­ge, da stößt er mich zurück, – weils ihn dreitausen­d Franken kosten könnte!“

„Ich habe sie nicht“, wiederholt­e Rudolf mit der Gelassenhe­it, hinter die sich zornige Naturen wie hinter einen Schild zu bergen pflegen.

Sie ging. Die Wände schwankten, die Decke drohte sie zu erdrücken.

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