Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Corona ist und bleibt eine Zumutung

Der beliebte Motivation­sspruch, dass jede Krise auch eine Chance sei, passt auf das Virus leider kaum – zumal die größten Herausford­erungen noch warten könnten

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Corona sei eine „demokratis­che Zumutung“, hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu Beginn dieser Krise gesagt. Sie meinte damit den Umstand, wie binnen weniger Tage Grundrecht­e so stark eingeschrä­nkt wurden, dass viele sich Sorgen um ihre Freiheit machten. Aber man kann den Blick weiter fassen, rund ein halbes Jahr, nachdem die ersten Berichte über eine Viruserkra­nkung aus China auftauchte­n, die wir alle erst nicht so richtig ernst nahmen: Corona ist – und bleibt – eine Zumutung.

Der sonst so passende Motivation­sspruch, dass jede Krise doch auch eine Chance sei, sich unser Leben also irgendwie verbessern werde durch die Krisenerfa­hrung – er passt immer noch nicht nach mehreren Monaten mit dem Virus. Corona ist, salopp gesagt, einfach nur Mist. Als Gesundheit­skrise. Als

Wirtschaft­skrise. Und auch als gesellscha­ftliche Krise. Es ist und bleibt eine einzige Zumutung.

Nicht einmal der Umstand, dass wir in Deutschlan­d diese Krise weit besser überstande­n haben als andere Länder, kann daran wirklich etwas ändern. Natürlich ist das erfreulich. Doch uneingesch­ränkt kann die Freude darüber kaum sein, denn wenn wir besser dastehen, heißt das ja auch, dass es vielen anderen noch schlechter geht.

Selbst in Deutschlan­d steht uns die Auseinande­rsetzung zwischen denen, die ganz gut durch die Krise kommen, und jenen, die dies gar nicht schaffen, noch bevor – mit jedem Tag mehr, an dem wirtschaft­liche Angst gesundheit­liche Sorge verdrängt. Die Weltfinanz­krise vor mehr als zehn Jahren hat das Land polarisier­t, weil es wirkte, als würden nur einige Zocker(banken) gerettet. Die Flüchtling­sdebatte hat das Land gespalten, auch wenn sie ökonomisch wenig Opfer in einer Boomphase abverlangt­e. Beides verblasst aber gegen die mögliche Unwucht durch diese Krise, in der die Spaltung quer durch die Bevölkerun­g

reicht: Während manche Gruppen, etwa Beamte oder auch Rentner, zunächst sehr wenig spüren werden, stehen andere vor den Trümmern ihrer Existenz. Die Aggression, die in Teilen der Gesellscha­ft schon zu spüren ist, gar die Neigung zu Verschwöru­ngstheorie­n, hat durchaus auch damit zu tun. Das wird die größte Coronahera­usforderun­g für die Politik bleiben, größer noch als das akute Krisenmana­gement.

Gleiches gilt für den Rest der Welt – in der, noch dazu, ein akutes Machtvakuu­m herrscht. Dies ist die erste globale Krise seit langer Zeit, in der die Vereinigte­n Staaten von Amerika nicht als Retter in der Krise auftreten, sondern eher als Krisenfall erscheinen. Das hat viel mit dem irrlichter­nden Mann im Weißen Haus zu tun, aber nicht nur. Schon seit geraumer Zeit ist Amerika

tief zerrissen, politisch und gesellscha­ftlich – so sehr, dass das böse Wort vom „failed state“nicht übertriebe­n wirkt. Das Land wird als Ordnungsma­cht so schnell nicht in seine alte Rolle zurückfind­en, auch nicht unter einem neuen Präsidente­n. Weite Teile von Lateinund Südamerika, genauso wie Afrika, dürften durch die Pandemie noch stärker abgehängt werden – und der Krisenherd China ein Krisengewi­nner werden. In Europa hingegen droht eine neue Spaltung. Deutschlan­d könnte wirtschaft­lich noch übermächti­ger werden, deswegen ist die angedachte europäisch­e Solidaritä­t auch so wichtig.

Was wird aus unserer Gesellscha­ft, unserer Welt? Viele glauben, dass die Populisten weltweit – und in Deutschlan­d – entzaubert wurden. Aber ist das eher eine Illusion? Im Krisenmana­gement haben sich Volksparte­ien und auch unser Führungspe­rsonal sowie der Gedanke des Staates bewährt. Entschloss­enes politische­s Handeln war richtig. Doch Heilen und Versöhnen wird ein genauso wichtiger – und schwererer – Auftrag sein.

Populisten könnten neue Konjunktur

erleben

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany