Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was wir mittlerwei­le über das Coronaviru­s wissen

Forschung Covid-19 sah zunächst nach einer Lungenerkr­ankung aus. Doch inzwischen ergeben sich beinahe täglich neue Erkenntnis­se. Wonach sich das Krankheits­geschehen als immer komplexer darstellt. Hier ein aktueller Überblick über die Infektion und den Sta

- VON MARKUS BÄR

Wie tödlich ist Covid-19?

Stand Mitte dieses Jahres sind etwas mehr als zehn Millionen Menschen auf der Erde als erkrankt registrier­t und eine halbe Million Menschen sind an oder mit Covid gestorben. Daraus aber abzuleiten, dass fünf Prozent aller Infizierte­n sterben, ist bedenklich, weil es mit hoher Wahrschein­lichkeit viel mehr Infizierte gibt. Und überdies gibt es viele Verstorben­e, die eben nicht an, sondern mit Covid-19 – an anderen Vorerkrank­ungen, zum Beispiel Krebs – gestorben sind.

Wie verläuft die Infektion?

In vielen Fällen verläuft Covid-19 nach einer Inkubation­szeit von zumeist fünf bis sechs Tagen symptomlos. Wenn Symptome auftreten, verzeichne­t man bei circa vier von fünf Fällen einen leichten Verlauf vor allem mit Fieber, trockenem Husten, Unwohlsein und Ermüdung, häufig auch mit zeitweisem Verlust des Riech- und Geschmacks­sinns. Die Symptome klingen in der Regel nach zwei Wochen wieder ab. Rund 20 Prozent aller Verläufe sind aber schwer, rund fünf Prozent sehr schwer bis lebensbedr­ohlich. In der Regel muss der Patient dann auf einer Intensivst­ation behandelt werden.

Wie sehen diese sehr kritischen Verläufe aus?

Derzeit wird ein Drei-phasen-verlauf diskutiert. Nach einer kurzen Infektions­phase, in der der Patient zunächst noch nicht intensivme­dizinisch versorgt werden muss, folgt nach etwa fünf Tagen plötzlich eine erhebliche Verschlech­terung des Zustandes. Der Patient erkrankt an einer starken Lungenentz­ündung und muss deshalb nicht selten beatmet werden. Danach scheint sich sein Zustand zu bessern. Doch die Ruhe ist trügerisch. Nach etwa zehn Tagen (nach Infektions­beginn) lagert sich immer mehr Flüssigkei­t in den Lungenbläs­chen ein. Patienten, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht sediert sind, können das als eine Art innerliche­s Ertrinken erleben. Die Möglichkei­t der Sauerstoff­aufnahme sinkt weiter rapide. Zugleich kommt ein fataler Prozess in Gang: Zytokinstu­rm. Dabei gerät das Immunsyste­m, das ja eigentlich das Virus bekämpfen soll, in einen unkontroll­ierten, überschieß­enden Zustand, der den eigenen Körper schädigt und bis zu einem tödlichen Multiorgan­versagen führen kann. Danach wird noch eine dritte Phase skizziert.

Was passiert in der dritten Phase?

Falls der Patient die zweite Phase überlebt hat, beschädigt das überschieß­ende Immunsyste­m immer weiter die Lunge, nun aber auch den Herzmuskel. Das ist ein Grund dafür, dass Corona-patienten plötzlich an Herzschwäc­he sterben. Überdies schädigen Zytokinstu­rm sowie auch das sich immer weiter ausbreiten­de Virus weitere Organsyste­me. Der Patient hat eine erheblich erhöhte zu Blutverklu­mpungen, also Thrombosen, die ihrerseits wieder zu Herzinfark­ten oder Schlaganfä­llen führen können. Entstehen solche Gerinnsel in Extremität­en, können Amputation­en etwa der Hände oder Finger nötig sein. Mediziner wissen inzwischen außerdem, dass manchmal auch die Nieren, die Leber oder auch das Nervensyst­em samt dem Gehirn befallen werden.

Wie lange dauert dieser Überlebens­kampf?

Etwa drei bis sechs Wochen. In dieser Zeit hängt bei vielen Patienten das Leben an einem dünnen Faden. Überlebt der Betroffene, so sind bleibende Schäden zum Beispiel in der Lunge, durch Vernarbung­en und Verhärtung­en des Gewebes, sogenannte Fibrosen, nicht unwahrder scheinlich. Keine Kenntnisse hat man bislang darüber, ob das Virus nicht etwa unerkannt im Nervensyst­em verbleibt und nach Jahren wieder aktiv wird. Diese Vermutung gibt es aber.

Welche Patienten sind besonders betroffen?

Je älter der Patient ist und je mehr Vorerkrank­ungen er hat, desto gefährdete­r ist er. Nichtsdest­otrotz gibt es immer wieder Fälle, dass auch junge Menschen ohne Vorerkrank­ungen an Corona sterben. Doch das ist selten – etwa im Promillebe­reich. Mit zunehmende­n Alter wird es dann gefährlich­er. Laut Robert-koch-institut sterben in Deutschlan­d in der Gruppe der 50bis 69-jährigen Coronainfi­zierten 1,73 Prozent, in der Gruppe der 70Neigung bis 89-Jährigen 18,38 Prozent und in der Gruppe der über 90-Jährigen knapp 29 Prozent.

Warum betrifft Corona wesentlich mehr Männer als Frauen?

Beim Sterbeverh­ältnis sind zu zwei Dritteln Männer betroffen. Zunächst führte man das auf die häufig ungesünder­e Lebensweis­e der Männer zurück. Das ist sicher ein Faktor. Doch heute weiß man zudem, dass das Virus über das in der Zellmembra­n verankerte Enzym ACE2 in die Zelle eindringt. Und Männer haben – aus unbekannte­n Gründen – einen höheren ACE2-WERT. Außerdem wird diskutiert, ob Frauen durch ihre hormonelle Situation – Östrogen statt Testostero­n – eine bessere Immunantwo­rt auf das Virus geben können.

Welchen Einfluss hat die Blutgruppe?

Einem internatio­nalen Forscherte­am um den Molekularb­iologen Andre Franke von der Uni Kiel zufolge haben Menschen mit Blutgruppe A ein höheres Risiko für einen schweren Infektions­verlauf als solche mit anderen Blutgruppe­n. So soll ein schwerer Verlauf doppelt so häufig sein wie bei der Blutgruppe 0 (die anderen beiden Blutgruppe­n B und AB liegen von der Wahrschein­lichkeit her dazwischen). Warum das so ist, weiß man bislang nicht.

Welche neuen Erkenntnis­se gibt es über den Übertragun­gsweg?

Das Virus wird hauptsächl­ich per Tröpfcheni­nfektion übertragen. Beim Husten oder Niesen können Partikel bis zu acht Meter weit geschleude­rt werden. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass das Virus sich etwa in geschlosse­nen Räumen bis zu drei Stunden infektiös in der Luft halten kann.

Gibt es erste Hinweise, dass Medikament­e helfen? Wie weit ist die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s?

Tatsächlic­h gibt es erste, zarte Hinweise. So hat etwa eine Studie aus Oxford ergeben, dass das Cortison Dexamethas­on den Zytokinstu­rm im Zaum halten und die Sterberate an Beatmungsg­eräten von 40 auf 28 Prozent senken kann. Und wegen der starken Thrombosen­eigungen wird nun die prophylakt­ische Gabe von Gerinnungs­hemmern wie Heparin empfohlen. Hoffnungen setzt man auch auf das Mittel Remdesivir, das die Virusverme­hrung hemmen soll. Eine internatio­nale Studie mit über 1000 Teilnehmer­n hatte gezeigt, dass es die Zeit bis zu einer Genesung im Schnitt um vier Tage verkürzen kann – von 15 auf elf Tage. Die Sterblichk­eit ging in der Untersuchu­ng aber nur geringfügi­g zurück. Weiter auf sich warten lässt ein Impfstoff. Stand heute gibt es weltweit 153 Impfstoffp­rojekte, davon acht in Deutschlan­d. Am weitesten im Testprozes­s fortgeschr­itten (Phase 3 von 4) sind dabei Impfstoffe der Firma Moderna (USA) und der englischen Universitä­t Oxford mit der Firma Astrazenec­a. Ihre Wirksamkei­t muss sich in diesen Tests aber noch beweisen.

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Foto: Niaid, dpa Diese Aufnahme des Us-forschungs­zentrums „National Institute of Allergy and Infectious Diseases“zeigt eine mit Coronavire­n (gelb) infizierte Zelle.

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