Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mit Kindern auf Expedition zu winzigen Tieren

Beim Familienau­sflug in den Stadtwald kann man Wasserflöh­e, Kaulquappe­n und andere Lebewesen entdecken. Auch Erwachsene kommen bei der Tour auf ihre Kosten. Warum am besten ein Küchensieb ins Gepäck gehört

- VON EVA MARIA KNAB

Flöhe. Oje. Man denkt an die lästigen kleinen Blutsauger, die Hunden und Katzen im Fell sitzen. Es gibt aber auch ganz andere, harmlose Flöhe. Familien mit Kindern können sie auf einem Ausflug in den Stadtwald entdecken. Dort sind die Bäche und Weiher voll von interessan­ten Lebewesen. Man muss nur die passende Ausrüstung dabeihaben, damit man die Winzlinge richtig sehen kann.

Biologe Norbert Pantel nimmt uns mit auf die Neun-bäche-tour durch den Siebentisc­hwald. Sie wird im Programm „Wasserlebe­n“des städtische­n Landschaft­spflegever­bandes angeboten. Pantel hat sie aus gutem Grund ausgesucht: Sie macht Kindern und Erwachsene­n gleicherma­ßen Spaß. Einerseits kann man eine kleine Expedition in die heimische Natur unternehme­n und Tiere beobachten, die man normalerwe­ise nicht wahrnehmen würde. Anderersei­ts erfährt man auf dem Rundgang, warum der Stadtwald und seine Bäche für das Leben der Menschen in Augsburg schon immer enorm wichtig waren.

Unser Ausgangspu­nkt für die

Tour ist die Sportanlag­e Süd. Nicht weit entfernt verläuft der Zigeunerba­ch. Er mündet in den Stempflese­e und tritt an der Nordseite wieder aus. An der Fußgängerb­rücke über den Zigeunerba­ch kommen kleine Entdecker auf ihre Kosten. Dort befindet sich eine Keschersta­tion, an der man winzige Wasserlebe­wesen genauer erkunden kann. Norbert Pantel packt aus seinem Rucksack ein Küchensieb, eine durchsicht­ige Plastikbox und eine Becherlupe aus der Kinderspie­lzeugabtei­lung aus.

Mit dem Kescher fährt er auf dem Grund des Baches im Schlamm und Kies entlang, dort, wo das meiste Leben ist. Die trübe Brühe kippt er in den Plastikbeh­älter. Dann kommt der große Moment: Wenn sich der Schlamm vom Wasser abgesetzt hat, kommen unter der Lupe seltsame Tierchen zutage: Köcherflie­genlarven etwa. Sie sind geniale Baumeister. Mit einem Spinnfaden kleben sie aus Sand, Blättern und anderen Materialie­n einen Köcher zusammen. Jedes dieser Röhrchen sieht anders aus. In der Unterwasse­r-behausung wohnten sie und seien darin perfekt getarnt, sagt Pantel. Wer nicht genau weiß, welche Tiere er da vor sich hat, sollte sich auf einer etwas verwittert­en Tafel am Bachufer die Bilder ansehen.

Pantel erzählt, wie es zu dem sonderbare­n Namen Zigeunerba­ch kam. Die wahrschein­lichste Erklärung sei, dass in früheren Jahrhunder­ten in der Gegend regelmäßig weit gereiste Rinderhirt­en lagerten. Sie trieben Ochsenherd­en aus der Puszta zur Fleischver­sorgung nach Augsburg. Diese bewaffnete­n Söldner seien in den Augen der Einheimisc­hen seltsam gekleidet gewesen und hätten wohl Lager ähnlich wie das fahrende Volk gehabt. Wir Hobby-naturforsc­her schütten unsere Köcherflie­genlarven nun wieder behutsam genau an derselben Stelle ins Wasser zurück, an der wir sie entnommen haben. „Das ist wichtig“, erklärt der Biologe. Denn der Augsburger Stadtwald ist ein großes und wertvolles Naturschut­zgebiet und soll bei den Familien-touren keinen Schaden nehmen.

Interessan­te Bäche gibt es viele auf dieser Tour – da ist etwa der Lochbach. Er ist eigentlich ein künstliche­r Lechkanal und wurde vor Jahrhunder­ten angelegt, um Augsburger Mühlen, Schmieden und später Wasserkraf­twerke zu versorgen. Oder der Brunnenbac­h. Er gilt als der wohl wichtigste Quellbach in der Geschichte Augsburgs. Bis 1841 floss er direkt und strikt getrennt zu den Lechkanäle­n bis zu den Wassertürm­en am Roten Tor. Von dort aus wurde sein Trinkwasse­r in die Stadt verteilt.

Mit dem Fahrrad geht es ein Stück weiter auf einen Waldweg, der von den Sieben Tischen an der Sportanlag­e Süd abzweigt. Dort liegt eine neuere Station auf der Tour – einer der Augsburger Himmelswei­her. Ursprüngli­ch war er ein Bombenkrat­er aus dem Zweiten Weltkrieg. Im Siebentisc­hwald finden sich noch viele solcher Sprenglöch­er. Einige wurden abgedichte­t, mit Wasser befüllt und zum Feuchtbiot­op umgestalte­t. Nun wimmelt es in und an den Himmelswei­hern von Amphibien und Kleinlebew­esen.

Wenn Pantel mit seinem Küchensieb durchs Wasser fährt, scheint es zu brodeln. Das kommt von den Unmengen an Kaulquappe­n, die vor dem Kescher flüchten wollen. Unter der Becherlupe ist zu sehen, dass sie schon kleine Vorderbein­e ausgebilde­t haben. Nicht mehr lange, dann werden sie komplett verwandelt als Jungfrösch­e aus dem Tümpel hüpfen. Auch an dieser Station appelliert Pantel an kleine und große Naturforsc­her: „Man muss die Kaulquappe­n zurück ins Wasser setzen und darf sie auf keinen Fall mit nach Hause nehmen.“Denn auch Amphibien sind geschützt, und einige heimische Arten sind selten geworden. Mit etwas Glück kann man in dem Tümpel auch winzige Wasserflöh­e fangen, die mit ihren Ruderbeinc­hen lustig aussehen. „Sie beißen nicht und saugen kein Blut, sonder ernähren sich von Plankton“, beruhigt der Biologe.

Schlimmes lässt die nächste Station auf der Tour befürchten: der Galgenabla­ss am Grenzgrabe­n. Glaubt man Experten, ist an Vermutunge­n, dort könnte eine mittelalte­rliche Richtstätt­e für Verbrecher gelegen haben, allerdings nichts dran. Der Name beschreibt eine Konstrukti­on des Wasserbaus. An der Stelle befand sich einmal eine Schleuse. Sie regulierte die Wassermeng­e im Siebenbrun­ner Bach. Dafür war eine Bretterwan­d nötig, die an einem Gerüst hing, das einem Galgen glich. Heute ist der Galgenabla­ss aus einem anderen Grund eine besondere Stelle im Stadtwald, wie Pantel erläutert. „Er ist eine der 22 Welterbe-stationen in Augsburg.“Das Monument historisch­er Wasserbauk­unst ist eine Kreuzung von zwei Bächen. Der Bemerkensw­erte dabei: Ihr Wasser vermischt sich nicht.

Weiter geht es auf der Rundtour in Richtung Lech. Dort lag der alte Floßhafen. Zum Gütertrans­port war er einmal ähnlich wichtig wie heute die Autobahn. An der Stelle des Hafens ist heute ein mit Schilf bewachsene­s Biotop. Wir sehen eine Entenmutte­r mit ihren Küken schwimmen. Nicht weit entfernt kann man mit etwas Glück Biber beobachten.

Unser Experte Norbert Pantel lässt mit seinen Geschichte­n Bilder in unseren Köpfen entstehen – von Augsburg, wie es früher war. Über Jahrhunder­te hinweg transporti­erten Flöße auf dem Lech die unterschie­dlichesten Güter von und nach Augsburg. Um das Jahr 1600 legten bis zu 3500 in der Stadt an. Erst im 19. Jahrhunder­t übernahm nach und nach die Bahn den Gütertrans­port. Kurios sei dabei vor allem eines gewesen, betont Pantel: Die Flößerei am Lech verlor immer mehr an Bedeutung. Trotzdem baute man in Zeiten der Eisenbahn in Augsburg ab 1910 noch einen Floßhafen.

 ??  ?? Die Urlaubs- und Ferienzeit wird in diesem Jahr anders aussehen, als viele sich das vorgestell­t haben. Reisen ins Ausland sind zwar möglich, aber nur unter Corona-regeln. Was tun also in der freien Zeit, wenn man lieber zuhause bleiben will? Wir stellen Ausflugszi­ele in Augsburg und der Umgebung vor. Wir zeigen Ihnen Orte, die historisch interessan­t sind, die man mit Kindern ansteuern kann oder die einfach ungewohnte Einblicke in die eigene Heimat geben.
Die Urlaubs- und Ferienzeit wird in diesem Jahr anders aussehen, als viele sich das vorgestell­t haben. Reisen ins Ausland sind zwar möglich, aber nur unter Corona-regeln. Was tun also in der freien Zeit, wenn man lieber zuhause bleiben will? Wir stellen Ausflugszi­ele in Augsburg und der Umgebung vor. Wir zeigen Ihnen Orte, die historisch interessan­t sind, die man mit Kindern ansteuern kann oder die einfach ungewohnte Einblicke in die eigene Heimat geben.
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Biologe Norbert Pantel zeigt am Zigeunerba­ch, wie man kleine Lebewesen mit einem Sieb aus dem Wasser fischt. Wenn sich der Schlamm im Wasser abgesetzt hat, kann man Köcherflie­genlarven sehen.
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Fotos: Jan-luc Treumann

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