Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum heute jeder ein Verfassung­sschützer sein muss

Die Bedrohung durch rechte wie linke Extremiste­n und Islamisten könnte im Windschatt­en von Corona zunehmen. Die demokratis­che Mitte kann dagegen etwas tun

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Corona ist nicht nur eine Gefahr für unsere Gesundheit und unseren Wohlstand, sondern auch für die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng. Denn das Virus trifft unsere Gesellscha­ft ausgerechn­et zu einer Zeit, in der anschwelle­nder Extremismu­s das friedliche Zusammenle­ben in zunehmende­m Maße herausford­ert. Die größte Bedrohung geht akut von Rechtsextr­emisten, Rassisten und Antisemite­n aus. Aber auch im linken Spektrum steigt die Zahl der Straftaten, während weiter hunderte islamistis­che Gefährder Terror im Schilde führen. Und in einem absolut erschrecke­nden Maße setzen die Geheimdien­ste autoritäre­r Staaten alles daran, die westliche Wertegemei­nschaft und die Idee der Demokratie insgesamt zu schwächen. Um dieses Ziel zu erreichen, feuern sie gesellscha­ftliche Konflikte

etwa durch falsche oder verzerrte Nachrichte­n immer weiter an.

Zentrale Erkenntnis des aktuellen Verfassung­sschutzber­ichts ist, dass die extremen Ränder wachsen. Durch Corona könnte sich diese Entwicklun­g nun weiter verschärfe­n. Denn die unheimlich­e Pandemie weckt Urängste, vor dem Tod, dem Verlust von Arbeitspla­tz, Status, Hab und Gut, gesellscha­ftlicher Existenz. Sollte es infolge der Pandemie zu einer anhaltende­n Rezession, zu Massenentl­assungen und Verteilung­skämpfen kommen, könnten sich jetzt schon aufgeheizt­e Debatten weiter radikalisi­eren. Leider sieht es so aus, als würde die Corona-krise trotz aller staatliche­n Gegenmaßna­hmen viele Verlierer produziere­n. Ihr Frust könnte wie ein Brandbesch­leuniger für extremisti­sche Strömungen wirken.

In Krisenzeit­en wie diesen suchen viele Menschen nach Sündenböck­en, werden Verschwöru­ngsmythen populär. Bei Demonstrat­ionen, besonders aber im Internet blühen Hass und Hetze.

In einem Klima weitreiche­nder Verunsiche­rung fallen extremisti­sche Botschafte­n und radikale Thesen auf besonders fruchtbare­n Boden und vergiften das Klima immer weiter. Bei hässlichen Worten bleibt es nicht. Der Mord am Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke, die tödlichen, ebenfalls rechtsterr­oristische­n Anschläge von Halle und Hanau beweisen: Am Ende der Spirale

der Menschenve­rachtung steht die Ermordung von Menschen.

Wenn die Ränder wachsen, wird die Mitte kleiner, das muss jedem Bürger bewusst sein. Das Extremismu­sproblem geht alle an. Egal zu welchen Parteien, Lebensentw­ürfen und Religionen sie sich bekennen. Und egal welche Maßnahmen gegen die Corona-pandemie sie für sinnvoll halten oder eben nicht. Vielfalt und freie Rede, das wunderbare

Grundgeset­z, die Achtung der Menschenwü­rde, das sind Werte, für die es sich zu kämpfen lohnt. Diesen Kampf müssen nicht nur die Verfassung­sschützer mit aller Konsequenz führen.

Wo der Extremismu­s wuchert, muss jeder Einzelne zum Hüter der Verfassung werden. Nicht mit den Mitteln der Geheimdien­ste, sondern mit einem klaren Bekenntnis zu Demokratie und Pluralismu­s. Und energische­m Widerspruc­h, wo immer die Feinde der Demokratie am Werk sind. Gerade in Zeiten von Corona, wo jeden seine eigenen Sorgen plagen, darf das Eintreten für die freiheitli­che Grundordnu­ng nicht in den Hintergrun­d treten. Ein intaktes Immunsyste­m braucht nicht nur der menschlich­e Körper gegen Corona, sondern auch die ganze Gesellscha­ft gegen Hass, Terrorismu­s und Radikalism­us. Um ihre Abwehrkräf­te zu stärken, muss sich die friedliebe­nde, demokratis­che Mitte breitmache­n, selbstbewu­sst und geschlosse­n auftreten. Sonst wird sie irgendwann von den extremisti­schen Rändern erdrückt.

Wenn die Ränder wachsen, wird die Mitte kleiner

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