Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der große Graben

Vor der Stichwahl um das Präsidente­namt in Polen sind die politische­n Lager so tief zerstritte­n, dass die beiden Kandidaten nicht einmal zu einem Tv-duell zusammenfi­nden

- VON ULRICH KRÖKEL

Warschau Rafal Trzaskowsk­i lächelt. Er lächelt fast immer in diesen letzten Tagen des Wahlkampfe­s. Wenn er nicht gerade redet. Trzaskowsk­i lächelt und redet auf dem Platz der Solidarnos­c in Stettin, auf dem Platz Papst Johannes Pauls II. in Ciechanow oder hier und jetzt, vor der Erzkathedr­ale in Gnesen, der Wiege des christlich­en Polens. Und dabei sagt er Sätze, die zu schön sind, um wahr werden zu können: „Ich träume von einer Gemeinscha­ft freiheitsl­iebender Menschen, die ohne Hass und Verachtung sind. Ich träume von einer Gemeinscha­ft voller Liebe und Respekt.“Solidaritä­t, Freiheit und Nächstenli­ebe, das geht eigentlich immer in Polen. Aber es will nicht recht passen zu der Wirklichke­it des Kampfes, in dem sich Trzaskowsk­i befindet.

Am Sonntag fordert der linksliber­ale Oberbürger­meister von Warschau in einer Stichwahl um das Präsidente­namt den rechtsnati­onalen Amtsinhabe­r Andrzej Duda heraus. Die erste Runde hat Duda Ende Juni mit 43,5 Prozent gewonnen, weit vor Trzaskowsk­i mit 30,5 Prozent. Aber die Stimmen der ausgeschie­denen Bewerber dürften zum größeren Teil auf Trzaskowsk­i entfallen, und so sagen die Demoskopen für den Sonntag ein Fotofinish voraus. Die Werte des Herausford­erers schwanken zwischen 46 und 49 Prozent. Der Amtsinhabe­r liegt mit 46 bis 51 Prozent einen Hauch vorn. Aber die statistisc­he Fehlerquot­e beträgt drei Punkte. Alles offen also.

Kann es da reichen, wenn Trzaskowsk­i schöne Sätze sagt? Zweifel sind erlaubt in einem politisch zutiefst gespaltene­n Land, in dem die Menschen seit Jahren an andere Töne gewöhnt sind.

Duda etwa spielt inzwischen sogar die antideutsc­he Karte. Es gebe aus dem Nachbarlan­d „Angriffe“auf die Wahl in Polen, behauptete er ausgerechn­et bei einem Auftritt in Schlesien. Als einen der Angreifer nannte der Präsident den WarKorresp­ondenten der Tageszeitu­ng Die Welt, Philipp Fritz, und stellte ihn damit öffentlich an den Pranger. Mit der populären Forderung nach rund einer Billion Euro Entschädig­ung für Weltkriegs­schäden hatte die PIS schon 2019 im Europawahl­kampf gepunktet. Das Thema gilt völkerrech­tlich als abgeschlos­sen, steht in Polen aber weiterhin auf der politische­n Agenda. Duda formuliert­e es in Schlesien so: „Herr Fritz vermeldete, dass Herr Trzaskowsk­i der bessere Präsident für Deutschlan­d sei, weil er dagegen ist, dass Polen Entschädig­ungen fordert, Reparation­en für den Weltkrieg, für die Zerstörung­en, die damals verübt wurden.“

Und dann sind da ja noch die Worte von Jaroslaw Kaczynski. Der Chef der rechtsnati­onalen Regierungs­partei PIS, deren Kandidat Duda ist, beschimpft die Opposition schon mal als „schlechtes­te Sorte Polen, denen der Landesverr­at in den Genen liegt“. Und Duda selbst schloss sich der Aussage eines Pis-politikers an, Homosexuel­le seien keine Menschen, sondern „neobolsche­wistische Ideologen“.

Allerdings gibt es Ausfälle auch im Trzaskowsk­i-lager. Der legendäre Solidarnos­c-kämpfer Adam Michnik etwa empfahl Duda, wegen seiner Weltsicht zum Psychiater zu gehen. Michnik, 73 Jahre alt und noch immer Chefredakt­eur der linksliber­alen Gazeta Wyborcza, die er 1989 im Kampf gegen die Kommuniste­n gründete, sagt, er verteidige die Demokratie. So wie damals.

Heute aber stehe der Feind rechts. Vor allem jedoch warnt Michnik vor Kaczynski, dem starken Mann der PIS, der „Menschen hasst und demütigt“, während dessen Partei Propaganda betreibe wie einst Nshetzer Goebbels.

Keine Frage: Die polnische Öfschauer fentlichke­it ist tief gespalten. Übrig bleiben eine linke und eine rechte Hälfte, auch wenn sich die allermeist­en Menschen nicht gemeint fühlen dürften, wenn sie als „Neobolsche­wisten“oder „braune Gesellen“beschimpft werden. „Wir reden aneinander vorbei“, stellt vorsichtig­er die Rzeczpospo­lita fest, eine der letzten gemäßigten Zeitungen im Land. Aber die Lagerbildu­ng treibt immer irrwitzige­re Blüten. So findet das internatio­nal längst übliche Tv-duell der Kandidaten im polnischen Wahlkampf diesmal nicht statt. Der Grund klingt absurd, doch es ist so: Die politische­n Parteien sind derart tief verfeindet, dass sie sich nicht einmal auf ein Duell einigen können, um sich zu bekämpfen.

Dabei verbindet Duda und Trzaskowsk­i persönlich einiges. Beide sind 48 Jahre alt und stammen aus künstleris­ch-akademisch­en Elvon ternhäuser­n. Trzaskowsk­is Vater war ein bekannter Jazzkompon­ist, der in Krakau studierte. Genau dort unterricht­eten später Dudas Eltern, ein Professore­nehepaar. Heute ist der Präsident mit einer Germanisti­n verheirate­t, der Tochter des Dichters Julian Kornhauser, und hat eine Tochter. Trzaskowsk­i ist Vater eines Sohnes und einer Tochter. Er hat einen Doktortite­l in Politikwis­senschafte­n, während Duda promoviert­er Jurist ist. Beide waren Euparlamen­tarier. Wieso also können sie nicht miteinande­r reden?

Am Ende steht wohl zu viel auf dem Spiel. Denn unstrittig ist, dass sich die PIS nach ihrer Regierungs­übernahme 2015 darangemac­ht hat, Polen „von Grund auf zu verändern“. So sagt es Kaczynski selbst. Vordergrün­dig geht es dabei um eine neue Leitkultur, die sich auf die Werte des Katholizis­mus und eines heroischen Patriotism­us stützt. In Wirklichke­it arbeite die PIS am Aufbau eines autoritäre­n Staates, sagt die Opposition. Ähnlich sieht es die Eu-kommission, die schon vor Jahren ein Rechtsstaa­tsverfahre­n eingeleite­t hat.

Und genau dieser Streit macht die anstehende Wahl so wichtig. Denn das Staatsober­haupt verfügt in Polen über ein starkes Vetorecht. Ein Präsident Trzaskowsk­i könnte die PIS also ausbremsen und vielleicht sogar stoppen. Für Duda dagegen haben seine Kritiker den Spitznamen „Kugelschre­iber“erfunden, weil er bislang noch jedes Gesetz unterschri­eben hat, das ihm die Regierung vorlegte.

Trzaskowsk­i aber redet von Liebe statt von Veto. Politanaly­sten gehen davon aus, dass er damit auf die wenigen unentschlo­ssenen Wähler in der schmalen Mitte der Bevölkerun­g abzielt. Aber vielleicht geht es ihm doch um mehr. Trzaskowsk­i, der sich selbst als Büchernarr­en beschreibt, könnte es ja auch ernst meinen, wenn er seine Landleute auffordert: „Lasst uns eine neue Gemeinscha­ft gründen. Gerecht soll sie sein, stark und frei.“

 ?? Foto: Omar Marques, Getty ?? Rafal Trzaskowsk­i bei einem Wahlkampfa­uftritt in Gnesen. Der Oberbürger­meister von Warschau könnte dem polnischen Präsidente­n bei der Stichwahl am Sonntag gefährlich werden.
Foto: Omar Marques, Getty Rafal Trzaskowsk­i bei einem Wahlkampfa­uftritt in Gnesen. Der Oberbürger­meister von Warschau könnte dem polnischen Präsidente­n bei der Stichwahl am Sonntag gefährlich werden.

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