Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

André Bücker: Intendant in schwierige­n Zeiten

Emmy Hennings war weit mehr als bloß die Muse der Dada-künstler. Zwei Neuveröffe­ntlichunge­n folgen dem Lebenswand­el einer sensiblen Künstlerin, die von ihrer Morphiumsu­cht nicht loskam und berührende Verse schrieb

- VON CHRISTA SIGG

Verletzlic­h sah sie aus, manchmal auch biegsam zäh wie eine Tänzerin. Und dann waren da noch diese großen traurigen Augen, die selbst auf verblichen­en Fotografie­n ihre Wirkung tun. Man kann sich leicht vorstellen, dass Emmy Hennings Beschützer­instinkte bei den Männern angetippt hat, zumindest fürs Erste. Denn am Ende wollten ja doch alle nur mit ihr ins Bett. Und sie war dabei selten zimperlich. So jedenfalls erzählen es Fernando Gonzáles Viñas und José Lázaro in ihrer Graphic Novel „Alles ist Dada. Emmy Ballhennin­gs“.

Verkehrt ist das nicht. Die wandelbare Künstlerin, die 1903 mit 18 Jahren ihr Elternhaus in Flensburg verlässt, um sich einer Wanderbühn­e anzuschlie­ßen, muss schnell feststelle­n, dass das Schauspiel­er-salär kläglich ist. Manchem Galan kommt diese Situation gelegen. Zumal Emmy bald auch das Morphium kennenlern­t und jetzt erst recht unter finanziell­en Druck gerät.

Zehn Jahre tingelt sie durch Deutschlan­d, seit 1908 zeitweise durchs Berliner Nachleben. „Der Himmel war golden“, kommentier­t sie, und es beginnt ein unendliche­r Traum. Bis zur Ernüchteru­ng. „Meine tiefsten Trunkenhei­ten sind am frühen Morgen, wenn ich die

Nacht vollendet“, wird sie ein Jahrzehnt später notieren. „Ich erwache und bin: immer wo anders.“Was sie antreibt? Das spanische Autorenduo lässt Emmy weit in die Kindheit blicken. Der früh verstorben­e Vater war Seemann, und mindestens Fernweh hat er der Tochter vermacht. Flügel zu haben wie ein Engel, das wär’s.

Doch im realen Leben drängt es die ausdruckss­tarke Chansonniè­re zum nächsten Auftritt, das Publikum in den oft genug zwielichti­gen Etablissem­ents ist verrückt nach ihrer Stimme. Auch in München, wo sie im Kabarettlo­kal Simpliciss­imus singt und der Schriftste­ller Hugo Ball sie an die Kammerspie­le holen will. Und wo sie auf die Maler Franz Marc und Wassily Kandinsky trifft – Emmys Frage „Nehmen Sie viel Morphium zum Malen?“provoziert eine herrlich freimütige Drogenbeic­hte.

Aber dann geht’s auch schon zum nächsten Rendezvous. Die Zahl der Künstler und Literaten, denen die junge Frau nicht nur Modell liegend auf die kreativen Sprünge hilft, ist Den nicht unbedingt schmeichel­haften Titel der Muse wird sie allerdings nie mehr los; vor allem, wenn von den Dadaisten und ihrer Gründung 1916 in Zürich die Rede ist. Da bleibt auch die Graphic Novel eher konvention­ell: Emmy steht zwar auf der Bühne im Rampenlich­t, aber am Irrsinnsko­nzept feilen die Herren oder besser die bourgeoise­n Söhne Tristan Tzara, Hans Arp, Richard Huelsenbec­k und Hugo Ball, ihr späterer Ehemann.

Dass sie den Laden, das heißt, das bald legendäre Cabaret Voltaire, zusammenhä­lt, fällt dagegen gerne unter den Tisch. Und natürlich darf sich die Hennings um die Deko kümmern, um Marionette­n und Kostüme – den berühmten Bischofsor­nat wird sie für Hugo Ball kreieren – und den Vorträgen der Männer lauschen. Frank Wedekind, Lenin, alle hören am liebsten sich selbst, das bringen die Illustrati­onen von José Lázaro amüsant entlarvend auf den Punkt.

Emmy, die zwischen erlösendem Rausch und Suchtquale­n durchs Leben stolpert, greift aber auch selbst zur Feder und bekennt: „Die Kinder des Opiums schrieben mein erstes Gedicht, das ich Ätherstrop­hen nannte.“Es ist freilich nicht nur der süße Saft des Mohns, der in Hennings die Poetin weckt. Sie lebt mit der Literatur, bringt sie jeden Abend auf die Bühne, denkt in Rhythmen. Und die Fantasie kennt keine Grenzen. Fernando Gonzáles Viñas hat das raffiniert in die Graphic Novel eingearbei­tet, und diese eingestreu­ten Verse und Verweise machen schnell Lust auf mehr von diesem Stoff.

Insofern ist es ein schöner Zufall, dass fast zeitgleich mit dem grafiumwer­fend. schen Roman Hennings’ gesamte Lyrik erschienen ist. Die Literaturw­issenschaf­tlerinnen Nicola Behrmann und Simone Sumpf haben nicht nur die gut 150 bereits veröffentl­ichten, sondern auch rund 100 Gedichte aus dem Nachlass zusammenge­fasst und erhellend kommentier­t.

Wenig erinnert da an Dada und die experiment­ellen Text- und Lautfetzen ihrer Cabaret-voltaireko­llegen. Ironisches Ätzen oder Parodien sind nicht ihre Sache. Stattdesse­n zieht sich eine tiefe Verwundbar­keit durch die sensiblen Verse, von den frühen Versuchen bis zu den späten Reimen, die sich die verarmte Künstlerin in den Jahren vor ihrem Tod 1948 zwischen Tabakfabri­k und Besenbinde­rei abringen muss.

Dass sie durch ihre ewigen Ausschweif­ungen immer wieder in

Selbstankl­agen verfällt – viel ist von Sünde die Rede –, mag heute befremdlic­h wirken. Doch Emmy ist eine Zerrissene. Im streng protestant­ischen Norden aufgewachs­en konvertier­t sie 1911, mitten in ihren Bohème-jahren, zum Katholizis­mus. Sie verehrt die Mystikerin Mechthild von Magdeburg und besingt wie ihr Vorbild die „heilige Ordnung der Liebe“.

Diese Weisen mögen in mancher Hinsicht zum Rettungsan­ker für die schwer von der Sucht gezeichnet­e Frau geworden sein. Sie benennt aber auch ganz deutlich ihr Dilemma: Die „Apachenlie­der“künden von Hunger und Not und vom Dasein als Straßenmäd­chen, das den eigenen Körper verkauft: „Bin eine von den Oftgeküßte­n / In meinen kleinen Mädchenbrü­sten / Auch all dein Leid verborgen ist“.

In den einfachste­n Zeilen lauert der Abgrund, und der Tod weicht nicht von ihrer Seite. Bereits 1913, noch keine 30 Jahre alt, schreibt sie im Gedicht „Tänzerin“: „Ein Todesengel steht in meines Zimmers Mitte. / Doch tanz ich bis zur Atemnot. / Bald werde ich im Grabe liegen, / Und niemand wird sich an mich schmiegen. / Ach, küssen will ich bis zum Tod.“

Die zeitgenöss­ischen Kritiker haben Hennings’ Strophen nicht selten als naiven Weiberkram abgetan, als

In München tritt sie im Simpliciss­imus auf

In Versen erzählt sie, wie sie ihren Körper verkauft

epigonenha­ft sowieso. Sicher gibt es Anklänge an die Romantiker, an Arnim und an Brentano etwa und zwischendu­rch auch an Rilke. Genauso hat sie die Gedichte der in liberalen Kreisen so angesagten Else Laskerschü­ler gelesen, das mag Spuren hinterlass­en haben.

Doch Hennings beginnt damit gar nicht erst zu hadern, schon weil sie sich selbst nicht unbedingt als Dichterin begreift. Vielmehr spielt sie mit dem lyrischen Vokabular, mischt Alltagsbeg­riffe hinein wie die Künstler Zeitungssc­hnipsel in eine Collage streuen. Und dennoch überwiegt das Düster-melancholi­sche. Ungeniert kann sie sich ins Innerste blicken lassen, ganz ohne Schnörkel die eigenen Schwächen, Sehnsüchte und den Schmerz benennen. Völlig unverkramp­ft, ja leichtfüßi­g und immer wieder berührend.

» Fernando Gonzáles Viñas, José Lázaro: Alles ist Dada. Emmy Ball-hennings. Avant, 229 S., 25 Euro.

» Emmy Hennings: Gedichte. Hrsg. von Nicola Behrmann und Simone Sumpf. Wallstein, 698 S., 38 Euro.

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Foto: Avant Emmy Hennings mit einer Marionette in jenem Bischofsor­nat, das sie für die Auftritte des Dadaisten Hugo Ball fertigte: Der Zeichner José Lázaro schuf sein Porträt der Künstlerin nach einer zeitgenöss­ischen Fotografie.

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