Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ischgl: Der große Streit ums Geld

Nach außen ist die Tiroler Idylle wieder perfekt. Saisonarbe­iter aber erheben schwere Vorwürfe: Haben Hoteliers getrickst, um Zuschüsse vom Staat zu bekommen?

- VON WERNER REISINGER

Wien/ischgl Die Sommersais­on startet in Ischgl, die Tourismusv­erbände werben intensiv um Gäste, nach den Lockerunge­n und Grenzöffnu­ngen lockt die Tiroler Idylle wieder viele ins Paznauntal. Es scheint Normalität eingekehrt zu sein, und dennoch kommt der Ort nicht aus den Schlagzeil­en. Nachdem die Touristen am 13. März unter chaotische­n Bedingunge­n das Tal verlassen hatten, wurde klar: Ischgl war ein Corona-hotspot, Tausende in ganz Europa infizierte­n sich in der Folge über Ischgl-heimkehrer.

Für die Tiroler Behörden und auch für das Land Österreich könnte all dies ein juristisch­es Nachspiel bedeuten. Nach wie vor ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen das Krisenmana­gement der Tiroler Behörden – und auch gegen einzelne Hotels und Betriebe. Im Raum steht der Verdacht, wider besseres Wissen vorhandene­n Corona-erkrankung­en schon im Februar und Anfang März nicht gemeldet zu haben. Außerdem sollen nach exklusiven Recherchen unserer Redaktion in

Kooperatio­n mit der österreich­ischen Tageszeitu­ng Der Standard Hoteliers bei Kündigunge­n getrickst haben, um an staatliche Entschädig­ungszahlun­gen zu kommen.

Wie weit das Virus im Skiort Ischgl verbreitet war, hat vor kurzem eine Studie der Universitä­t Innsbruck gezeigt: Mehr als 42 Prozent der Einwohner haben demnach Covid-antikörper im Blut. Mehr als 6000 Geschädigt­e haben sich beim österreich­ischen Verbrauche­rschutzver­ein gemeldet, der mehrere Rechts- und Amtshaftun­gsverfahre­n auf Entschädig­ung organisier­t. 1000 Urlauber und Angehörige haben sich als Privatbete­iligte dem Ermittlung­sverfahren angeschlos­sen. Die Klage richtet sich gegen die Republik Österreich, und schon im September könnte es zudem die ersten zivilrecht­lichen Klagen geben.

Entschädig­ung wollen aber nicht nur die Urlauber. Auch die Hoteliers in den Tiroler Gemeinden streiten ums Geld. Der Hintergrun­d: Eine Verordnung, mit der am 13. März die Tiroler Behörden die Quarantäne verhängt hatten, basiert auf dem österreich­ischen Epidemiege­setz aus dem Jahr 1950. Und dieses spricht sowohl Arbeitnehm­ern als auch Unternehme­rn im Falle von verkehrsbe­schränkend­en Maßnahmen Entschädig­ungen zu.

Die Hoteliers wollen daher Geld aus der öffentlich­en Hand, für den durch die Quarantäne entgangene­n Verdienst. Viel Geld. Rund 15000 Anträge liegen allein in Tirol bei den Behörden. Schließlic­h seien sie ja die Hauptleidt­ragenden der Corona-situation, sagen die Hoteliers. Und man müsse schließlic­h investiere­n, heißt es beispielsw­eise aus dem Tourismusv­erband Paznauntal. Ob und in welcher Höhe die Hoteliers für das entgangene Geschäft Gelder erhalten werden, ist noch unklar.

Das Gros der Entschädig­ungsforder­ungen, sagen Experten, betrifft von den Hoteliers geleistete Lohnzahlun­gen. Und damit jene, die im Tiroler Tourismus die schwächste Position einnehmen: rund 3000 Saisonarbe­iter, die meisten von ihnen aus osteuropäi­schen Staaten, aber auch viele Deutsche, die in den Tiroler Hotelzimme­rn geputzt oder in den Après-ski-lokalen ausgeschen­kt haben. Unternehme­r können nämlich auch während der Quarantäne geleistete Lohnzahlun­gen vom Staat zurückford­ern.

Nach unseren Recherchen erheben Saisonarbe­iter schwere Vorwürfe gegen ihre Arbeitgebe­r: Nachdem sie bereits mit Frist bis 2. April gekündigt worden waren, habe sie ein Hotelier am 25. März zu einer „einvernehm­lichen Beendigung“ihres Dienstverh­ältnisses gedrängt, um die ausbezahlt­en Gehälter als Entschädig­ung vom Staat zurückford­ern zu können. Bei einer Kündigung nach dem 25. März hätte der Hotelier seinen Anspruch auf staatliche Zahlungen verloren, weil an diesem Tag eine neue Quarantäne-verordnung erlassen worden war. Deshalb seien sie gedrängt worden, die rückwirken­de Auflösung ihres Arbeitsver­hältnisses zu unterschre­iben. Der betroffene Hotelier widerspric­ht dem.

Lesen Sie dazu auch unseren Bericht auf der

Die Verordnung stammt aus dem Jahr 1950

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